B88/73 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Denkmögliche Anwendung des § 70 Abs. 2 Hochschul-Organisationsgesetz.
Die Bezeichnung "Doktor" ist im Hinblick auf die Bestimmung des § 36 Abs. 1 Allgemeines Hochschul-Studiengesetz, BGBl. 177/1966, als akademischer Grad anzusprechen. Es ist deshalb nach Ansicht des VfGH die Annahme der bel. Beh. keineswegs denkunmöglich, daß der Bf., indem er seinem Namen die Bezeichnung "hon. Dr. of Div." beigefügt hat, einen akademischen Grad unberechtigt geführt und dadurch den Tatbestand des § 70 Abs. 2 H-OG erfüllt hat.
In ständiger Rechtsprechung hat der VfGH erkannt, daß er an ein Erk. des VwGH, mit dem die Beschwerde gegen einen bei beiden Gerichtshöfen des öffentlichen Rechtes angefochtenen Bescheid abgewiesen wurde, gebunden sei und sich über die in diesem Erk. liegende Feststellung, daß der Bescheid keinen rechtswidrigen Inhalt hat, nicht hinwegsetzen könne. Er könne im Rahmen seiner Aufgabe, darüber zu erkennen, ob verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte verletzt worden sind, nicht zu dem Schluß kommen, daß durch den Bescheid solche Rechte verletzt worden sind, weil dies einer Überprüfung des in derselben Rechtssache ergangenen Erk. des VwGH gleichkäme (vgl. z. B. VfGH Slg. 4965/1965, 5545/1967, 5650/1968, 5881/1969 und 6127/1970) .
Der VfGH vermag diese Ansicht nicht länger aufrechtzuerhalten. Schon in seiner bisherigen Rechtsprechung anerkannte der VfGH eine Bindung an ein in derselben Rechtssache ergangenes Erk. des VwGH insofern nicht, als er sich für zuständig erachtete, die Gesetzmäßigkeit und Verfassungsmäßigkeit der Rechtsgrundlagen des angefochtenen Bescheides auch dann zu prüfen, wenn der VwGH - durch Unterlassung der Antragstellung auf Einleitung eines Verordnungsprüfungsverfahrens oder Gesetzesprüfungsverfahrens - zu erkennen gegeben hat, daß er Bedenken dieser Art nicht hegt (z. B. VfGH Slg. 4530/1963, 4908/1965, 5261/1966 und 6199/1970) . Dieser Rechtsprechung liegt die sicher richtige Überlegung zugrunde, daß die Kompetenz des VfGH zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit und Verfassungsmäßigkeit jener generellen Rechtsnormen, die eine Voraussetzung für seine - in welchem Verfahren immer zu treffende - Entscheidung bilden, irgendwie eingeschränkt, insbesondere an die Voraussetzung gebunden wäre, daß eine solche Prüfung bzw. deren Ergebnis nicht auf eine Überprüfung der Rechtsansicht des VwGH - die der Natur der Sache nach hier freilich nur konkludent zum Ausdruck kommen kann - hinauslaufen dürfe. Derartiges kann aber ebensowenig auch den anderen die Aufgaben des VfGH umschreibenden Bestimmungen des B-VG, insbesondere dessen Art. 144, entnommen werden. Dazu kommt, daß der Umfang der verwaltungsgerichtlichen Prüfung nach § 41 Abs. 1 VwGG 1965 von den vom Bf. im Einzelfall geltend gemachten Beschwerdepunkten (§ 28 Abs. 1 Z 4 VwGG 1965) abhängig ist, für den VfGH eine derartige Beschränkung dagegen nicht besteht, ja von vornherein nicht in Frage kommen kann, weil der Bf. von Gesetzes wegen nicht verpflichtet ist, das von ihm als verletzt erachtete verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht bestimmt zu bezeichnen (§§ 15 und 82 VerfGG 1953 sowie Slg. 1396/1931) ; daß ferner dem VwGH nach § 41 Abs. 1 VwGG 1965 die Prüfung des angefochtenen Bescheides nur "auf Grund des von der belangten Behörde angenommenen Sachverhaltes" zusteht, dem VfGH dagegen eine selbständige Beurteilung des maßgebenden Sachverhaltes nicht verwehrt ist (z. B. VfGH Slg. 1412/1931) .
Die vom VfGH bislang angenommene Bindung an ein in derselben Sache ergangenes abweisendes Erk. des VwGH stellt sich danach als eine Beschränkung der Rechtsverfolgungsmöglichkeit der Partei dar, für die eine Rechtfertigung nicht zu finden ist. Letztlich ist aber auch noch in Betracht zu ziehen, daß es nach der bisherigen Rechtsprechung des VfGH von dem rein zufälligen Umstand, welcher der beiden nebeneinander angerufenen Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes früher entschieden hat, abhängig ist, ob der VfGH den angefochtenen Bescheid selbständig oder nur unter Bindung an die Rechtsansicht des VwGH prüfen darf.
Aus all diesen Gründen ist der VfGH im Gegensatz zu seiner bisherigen Judikatur der Auffassung, daß er den bei ihm angefochtenen Bescheid im Rahmen des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 144, Art. 144 B-VG} selbständig zu prüfen hat, obwohl eine gegen ihn nach {Bundes-Verfassungsgesetz Art 131, Art. 131 Abs. 1 Z 1 B-VG} erhobene Beschwerde vom VwGH abgewiesen worden ist.
Der VfGH erachtet, daß ihn das im Gegenstand bereits ergangene Erk. des VwGH nicht dazu berechtigt, den Abtretungsantrag abzuweisen.