B184/73 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Verbot der Einstellung von Rollstühlen im Zuschauerraum eines Theaters, weil die Aufstellung eines Rollstuhles an dem genannten Ort " nur in einem zur Saalentleerung notwendigen Verkehrsweg möglich wäre "; Auftrag an einen Theaterbesucher, mit seinem Rollstuhl den Zuschauerraum des Theaters zu verlassen; bei der dem Bf. gegenüber getroffenen Anordnung handelt es sich um eine prohibitive Maßnahme, die der Verwaltungsmaterie des Theaterwesens zuzuordnen ist. Der Umstand, daß die Gefahrenabwehr der Sicherheit der im Theater versammelten Personen dient, bewirkt nicht, daß die Maßnahme damit zu einer sicherheitspolizeilichen wird (vgl. hiezu Slg. 5910/1969 und dort angeführte Vorjudikatur) .
Bei der Beurteilung der Frage, ob die Bundespolizeidirektion Wien zur Erlassung einer solchen Anordnung gegenüber dem Bf. zuständig war, ist von Art. 15 Abs. 3 B-VG auszugehen. Darnach haben die landesgesetzlichen Bestimmungen in den Angelegenheiten u. a. des Theaterwesens für den örtlichen Wirkungsbereich von Bundespolizeibehörden diesen Behörden wenigstens die Überwachung der Veranstaltungen, soweit sie sich nicht aus betriebstechnischer, baulicher und feuerpolizeilicher Rücksichten erstreckt, und die Mitwirkung in I. Instanz bei Verleihung von Berechtigungen, die in solchen Gesetzen vorgesehen werden, zu übertragen. Dementsprechend hat das Wiener Veranstaltungsgesetz, LGBl. 12/1971, im § 35 Abs. 1 bestimmt, daß die sich nicht auf betriebstechnische sowie bauliche und feuerpolizeiliche Rücksichten erstreckende Überwachung von Veranstaltungen einschließlich der Überwachung von Sperrzeiten jedenfalls ausschließlich der Bundespolizeidirektion Wien zusteht. Zu diesem Zweck ist diese Behörde gemäß § 25 Abs. 1. leg. cit. berechtigt, zu jeder Veranstaltung Probebeamte zu entsenden, um die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften und der auf sie gegründeten Bescheide zu überwachen. Gemäß § 25 Abs. 2 leg. cit. obliegen dem Überwachungsorgan der Bundespolizeidirektion Wien auch die ohne vorausgegangenes Verfahren zu treffenden Maßnahmen zur Sicherung des ordnungsgemäßen Verlaufes der Veranstaltung (Art. II Abs. 6 lit. e EGVG 1950) , insbesondere durch Entfernung von Ruhestörern und, wenn dies nicht möglich ist, durch Unterbrechung oder Einstellung der Veranstaltung. Das Wr. VeranstaltungsG (§ 34) hat die Bestimmungen der hier in Betracht zu ziehenden Vorschriften des Wr. Theatergesetzes i. d. F. von 1930, LGBl. 27/1930, über die Sitzaufstellung (§ 39) und über die Freihaltung der Verkehrswege im Zuschauerhause (§ 49) nicht außer Wirksamkeit gesetzt. Die Übertragung der Überwachung von Veranstaltungen in veranstaltungspolizeilicher (theaterpolizeilicher) Hinsicht auf die Bundespolizeidirektion Wien durch Landesgesetz ist, da sie unmittelbar auf {Bundes-Verfassungsgesetz Art 15, Art. 15 Abs. 3 B-VG} gestützt werden kann, verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. Slg. 5415/1966) . Eines zusätzlichen Übertragungsaktes durch die Bundesregierung nach {Bundes-Verfassungsgesetz Art 102, Art. 102 Abs. 6 B-VG} bedarf es in einem solchen Falle nicht. Die vom diensthabenden Sicherheitswachebeamten gegenüber dem bf. getroffene Anordnung ist daher nicht einer unzuständigen Behörde zuzurechnen; denkmögliche Anwendung der §§ 39 und 49 des Wr. TheaterG.
Kein Verstoß gegen Art. 3 und 8 MRK.
Der VfGH verkennt nicht, daß die bekämpfte Amtshandlung den Bf. hart getroffen hat, er vermag jedoch in dem Verbot, Rollstühle im Zuschauerraum des Theaters in der Josefstadt aufzustellen und den daraus folgenden Auftrag an den Bf., den Zuschauerraum mit seinem Rollstuhl zu verlassen, keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erkennen, zumal der diensthabende Sicherheitswachebeamte außerordentlich höflich, taktvoll und korrekt vorgegangen ist. Daher auch kein Verstoß gegen {Europäische Menschenrechtskonvention Art 3, Art. 3 MRK}.
Es kann aus der Sicht des Bf. dahingestellt bleiben, ob durch den Auftrag an ihn als Theaterbesucher, mit seinem Rollstuhl den Zuschauerraum zu verlassen, überhaupt ein Eingriff in das Privatleben i. S. des {Europäische Menschenrechtskonvention Art 8, Art. 8 MRK} stattgefunden hat, weil die Amtshandlung in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise gesetzlich gedeckt ist.
Die Freihaltung von Verkehrswegen im Zuschauerraum eines Theaters führt zwar notwendigerweise zu Beschränkungen in der Benützung dieser Wege durch die Theaterbesucher. Eine veranstaltungspolizeiliche (theaterpolizeiliche) Anordnung dieser Art dient aber dem Schutz eines von der persönlichen Freiheit verschiedenen Rechtsgutes. Sie ist nicht dazu bestimmt, die persönliche Freiheit einzuschränken und berührt das Grundrecht der persönlichen Freiheit überhaupt nicht (zu diesem Grundgedanken im Bereich anderer Grundrechte siehe die Slg. 3837/1960 und 5616/1967) .
Die Übertragung der Überwachung von Veranstaltungen in veranstaltungspolizeilicher (theaterpolizeilicher) Hinsicht auf die Bundespolizeidirektion Wien durch Landesgesetz ist, da sie unmittelbar auf {Bundes-Verfassungsgesetz Art 15, Art. 15 Abs. 3 B-VG} gestützt werden kann, verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. Slg. 5415/1966) . Eines zusätzlichen Übertragungsaktes durch die Bundesregierung nach {Bundes-Verfassungsgesetz Art 102, Art. 102 Abs. 6 B-VG} bedarf es in einem solchen Falle nicht.