KII-1/73 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Die Erlassung eines Gesetzes über die Errichtung und die Auflassung von Gerichten der untersten Organisationsstufe, die mit einem auf bestimmte Angelegenheiten der Rechtspflege beschränkten Wirkungsbereich ausgestattet sind, sowie die Übertragung eines auf bestimmte Angelegenheiten der Rechtspflege beschränkten Sachbereiches an Bezirksgerichte zur Besorgung in einem mit ihrem Sprengel nicht übereinstimmenden Ortsbereich fällt insoweit in die Zuständigkeit des Bundes, als durch eine damit verbundene Schmälerung des sachlichen Wirkungsbereiches von Bezirksgerichten an deren grundsätzlich allgemeiner Zuständigkeit auf dem Gebiet des Zivilrechtswesens und oder Strafrechtswesens nichts geändert wird. (Es handelte sich um den Entwurf eines Bundesgesetzes über die Errichtung von Bezirksgerichten für Arbeitsrechtssachen sowie eines Vormundschaftsgerichtes und über die Zuständigkeit der Bezirksgerichte in Arbeitsrechtssachen sowie in Vormundschaftssachen und Pflegschaftssachen.) Daß die Erlassung eines dem vorgelegten Entwurf entsprechenden Gesetzes nicht in die Kompetenz der Länder fällt, ergibt sich allein schon aus {Bundes-Verfassungsgesetz Art 83, Art. 83 Abs. 1 B-VG}, wonach die Verfassung und Zuständigkeit der Gerichte durch Bundesgesetz festgestellt wird. Ob aber die vom Entwurf vorgesehenen Regelungen auf Grund dieser Bestimmung vom Bundesgesetzgeber getroffen werden können, hängt davon ab, ob sie von der seine Zuständigkeit beschränkenden Sonderbestimmung des § 8 Abs. 5 lit. d des Übergangsgesetzes vom 1. Oktober 1920 (Fassung BGBl. 368/1925 - im folgenden: ÜG) umfaßt werden. Diese Bestimmung besagt, daß Änderungen in den Sprengeln der Bezirksgerichte durch Verordnung der Bundesregierung mit Zustimmung der Landesregierung verfügt werden, auf andere Art also nicht bewirkt werden können. Es ist daher zu prüfen, ob der Entwurf eine" Änderung in den Sprengeln der Bezirksgerichte "vorsieht. Dabei ist, weil auch der VfGH an eine von ihm getroffene Kompetenzfeststellung gebunden ist (z. B. Slg. 4027/1961) , von dem im BGBl. unter 314/1969 kundgemachten Rechtssatz des Erk. Slg. 5977/1969 auszugehen, wonach " eine Errichtung, Auflassung oder Zusammenlegung von Bezirksgerichten, soweit sie mit einer Änderung der Sprengel verbunden ist, ..... gemäß § 8 Abs. 5 lit. d ÜG vom 1. Oktober 1920 i. d. F. des BGBl. 368 vom Jahre 1925 nur durch Verordnung der Bundesregierung mit Zustimmung der Landesregierung verfügt werden " kann.
Unter Berücksichtigung der Begründung des Erk. Slg. 5977/1969 ergibt sich aus diesem Rechtssatz einerseits, daß nicht nur eine unmittelbare Änderung in den Sprengeln von bestehenden Bezirksgerichten nach § 8 Abs. 5 lit. d ÜG zu beurteilen ist, sondern daß dasselbe auch für jede andere Maßnahme gilt, die - wenngleich nur mittelbar - eine Änderung von Bezirksgerichtssprengeln bewirkt. Es ergibt sich aus ihm aber gleichermaßen auch, daß § 8 Abs. 5 lit. d ÜG nur Maßnahmen erfaßt, die eine Änderung der bestehenden territorialen Verfassung der Bezirksgerichte zum Gegenstand haben. Der VfGH ist der Meinung, daß eine solche Änderung zwar in der Regel nur durch Maßnahmen bewirkt werden kann, die die örtliche Zuständigkeit von Bezirksgerichten betreffen, daß aber im Extremfall auch eine die sachliche Zuständigkeit solcher Gerichte betreffende Maßnahme als Änderung der territorialen Verfassung der Bezirksgerichte gedeutet werden müßte; dann nämlich, wenn sie zur Folge hätte, daß solche Gerichte danach nicht mehr als" Bezirksgerichte "i. S. des § 8 Abs. 5 lit. d ÜG qualifiziert werden könnten.
Der Abs. 5 wurde dem § 8 des Verfassungsgesetzes vom 1. Oktober 1920, BGBl. 2, betreffend den Übergang zur bundesstaatlichen Verfassung durch § 3 der ÜbergangsNov. BGBl. 269/1925 angefügt. Diese Bestimmung ist also zu einer Zeit erlassen worden, da neben den herkömmlichen Bezirksgerichten auf der untersten Organisationsstufe auch besondere Gerichte, insbesondere auch solche für arbeitsrechtliche Streitigkeiten, BGBl. 229/1922, ebenso wie etwa ein besonderes " Bezirksgericht für Handelssachen "({Jurisdiktionsnorm § 2, § 2 Abs. 2 JN} im Zusammenhalt mit RGBl. 249/1853) bereits bestanden haben. Wenn im § 8 Abs. 3 lit. d ÜG dessenungeachtet nur von" Bezirksgerichten "schlechthin die Rede ist, so muß angenommen werden, daß diese Bezeichnung nicht in einer umfassenden, alle Gerichte der untersten Organisationsstufe einschließenden Bedeutung, sondern in demselben Sinne verwendet wird, der ihr ursprünglich auf Grund des Gesetzes vom 11. Juni 1868, RGBl. 59, betreffend die Organisierung der Bezirksgerichte zugekommen ist. Dieses Gesetz aber bezeichnete als" Bezirksgerichte "die zur Besorgung aller vormals von den gemischten Bezirksämtern besorgten Justizgeschäfte eingerichteten und also mit allgemeiner, grundsätzlich umfassender sachlicher Zuständigkeit ausgestatteten Gerichte. Daraus folgt zwingend, daß ein bestimmtes Territorium " Sprengel eines Bezirksgerichtes "nur ist, wenn und soweit es - im Zusammenhalt mit vom Gesetz festzulegenden Anknüpfungspunkten, wie Wohnsitz, Lage eines unbeweglichen Gutes, Betrieb eines Unternehmens oder Ähnliches - die örtliche Zuständigkeit eines auf unterster Organisationsstufe tätigen Gerichtes bestimmt, dem ein umfassender, von vornherein unbeschränkter Agendenkomplex übertragen ist.
Wenngleich die Aussage, daß ein in Ansehung verschiedener Angelegenheiten über jeweils verschiedene örtliche Wirkungsbereiche verfügendes Gericht mehrere" Sprengel "habe, sprachlich zweifellos zulässig ist, so verbietet sich doch die Annahme, daß ein besonderer, lediglich auf spezielle Agenden bezogener örtlicher Wirkungsbereich eines Bezirksgerichtes - dem in diesem Bereich dieselbe Stellung zukommt, wie einem ausschließlich mit der Besorgung dieser Aufgaben betrauten besonderen Gericht - i. S. des § 8 Abs. 5 lit. d ÜG " Sprengel eines Bezirksgerichtes "wäre.