G1/73 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Die im § 72 Abs. 7 Ingenieurkammergesetz, BGBl. 71/1969 enthaltenen Worte, "und für Tirol und Vorarlberg" werden als verfassungswidrig aufgehoben.
Nach § 1 Abs. 2 VStG 1950 richtet sich die Strafe nach dem zur Zeit der Tat geltenden Recht, es sei denn, daß das zur Zeit der Fällung des Bescheides in erster Instanz geltende Recht für den Täter günstiger wäre. Wenngleich keine Rechtsvorschrift besteht, derzufolge § 1 Abs. 2 leg. cit. im Bereich des durch das IngKG geregelten Disziplinarverfahrens Anwendung findet, so kann doch der in dieser Bestimmung enthaltene Grundsatz als Ausdruck eines die gesamte Rechtsordnung beherrschenden und daher auch für das Disziplinarverfahren nach dem IngKG maßgeblichen Prinzips angesehen werden. Der VfGH hält an seiner bereits im Erk. Slg. 3130/1956 ausgesprochenen Rechtsansicht fest, daß es dem rechtsstaatlichen Gesetzgeber bei einer aus zahlreichen Vorschriften zusammengefügten Rechtsmaterie im Hinblick auf das Erfordernis der Individualisierung des Gesetzesbefehles verwehrt ist, Normen, deren Inkraftsetzung beabsichtigt ist, generell durch ein Sachgebiet (hier: nicht näher bezeichnete Gebührenordnungen und Gebührenempfehlungen der Ingenieurkammern für bestimmte Gruppen von Ziviltechnikern) und einen bestimmten Geltungstag (hier: der Zeitpunkt des Inkrafttretens des IngKG, das ist der 27. Feber 1969) zu beschreiben. Der Einwand der Bundesregierung, die von § 72 Abs. 1 leg. cit. erfaßten Gebührenordnungen und Gebührenempfehlungen seien den kammerangehörigen Ziviltechnikern von den Ingenieurkammern im Wege von Rundschreiben zur Kenntnis gebracht worden, so daß ihnen gegenüber als den ausschließlich in Betracht kommenden Normadressaten die Publizität des Norminhaltes mindestens im gleichen Maße gegeben sei wie bei einer Kundmachung im BGBl., geht an dem hier maßgebenden Gesichtspunkt der Bestimmtheit des Gesetzesbefehles (Art. 18 Abs. 1 B-VG) vorbei.