B400/66 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Über die Zulässigkeit der Wiederaufnahme des Verfahrens entscheidet gemäß § 34 VerfGG 1953 der VfGH in nichtöffentlicher Sitzung. Aus dieser Regelung ergibt sich, daß die Entscheidung über den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gesondert von der Entscheidung im wiederaufzunehmenden Verfahren zu erfolgen hat.
Der Wiederaufnahmswerber führt als Wiederaufnahmsgrund die Aufhebung eines Ministerialbescheides durch den VfGH an. Er sieht darin einen Umstand, der der Gesetzesbestimmung des § 530 Abs. 1 Z 7 und Abs. 2 ZPO zu unterstellen ist; danach kann ein durch Urteil geschlossenes Verfahren auf Antrag einer Partei wiederaufgenommen werden, wenn die Partei in Kenntnis von neuen Tatsachen gelangt oder Beweismittel auffindet oder zu benützen in den Stand gesetzt wird, deren Vorbringen und Benützung im früheren Verfahren eine ihr günstigere Entscheidung der Hauptsache herbeigeführt haben würde, und wenn die Partei ohne ihr Verschulden außerstande war, die neuen Tatsachen oder Beweismittel vor Schluß der mündlichen Verhandlung, auf welche das Urteil erster Instanz erging, geltend zu machen. Dem ist entgegenzuhalten, daß der Ministerialbescheid selbst nach Erlassung des VfGH Erk., mit dem das Verfahren, dessen Wiederaufnahme beantragt wird, abgeschlossen worden ist, aufgehoben wurde; die Tatsachen, die gemäß {Zivilprozeßordnung § 530, § 530 Abs. 1 Z 7 ZPO} eine Wiederaufnahme ermöglichen, müssen jedoch schon zur Zeit des früheren Verfahrens vorhanden gewesen und nicht erst nachher eingetreten sein. Daß der Gesetzgeber die Aufhebung eines behördlichen Abspruches durch einen späteren Abspruch nicht als Tatsache i. S. der genannten Gesetzesbestimmung wertet, ergibt sich auch aus {Zivilprozeßordnung § 530, § 530 Abs. 1 Z 5 ZPO}, wonach es einen eigenen Wiederaufnahmsgrund bildet, wenn ein strafgerichtliches Erk., auf welches das (das Verfahren schließende) Urteil gegründet ist, durch ein anderes rechtskräftig gewordenes Urteil aufgehoben ist. Der vom Wiederaufnahmewerber geltend gemachte Umstand der verfassungsgerichtlichen Aufhebung des Bescheides vom 12. Feber 1965 ist auch keinem anderen gesetzlichen Wiederaufnahmegrund zu subsumieren. Gemäß § 35 VerfGG 1953 sind, soweit dieses Gesetz keine anderen Bestimmungen enthält, die Bestimmungen der ZPO und des EGZPO sinngemäß anzuwenden (zum Begriff der sinngemäßen Anwendung siehe Slg. 2614/1953) . Die ZPO regelt die Gründe, bei deren Vorliegen ein Verfahren wiederaufgenommen werden kann, in den §§ 530 und 531. Eine ausdehnende Auslegung dieser Wiederaufnahmsgründe hinsichtlich eines gemäß Art. 144 B-VG durch Erk. abgeschlossenen Verfahrens hält der VfGH für nicht möglich. Dies einerseits aus der allgemeinen Überlegung, daß der Gesetzgeber einen Eingriff in die Rechtskraft ( Erk. des VfGH unterliegen nie einem die Rechtskraft hemmenden weiteren Rechtszug) nur in den genau umschriebenen Fällen zuläßt, in denen er bei Abwägung zwischen den Rechtsgütern der Rechtssicherheit und der Rechtsrichtigkeit dieser den Vorzug einräumt, und anderseits aus der dem Verfahren nach {Bundes-Verfassungsgesetz Art 144, Art. 144 B-VG} anhaftenden Besonderheit, daß der VfGH eine bloß nachprüfende Kontrolle ausübt, die auch im Falle einer Wiederaufnahme des Verfahrens von der Sachlage und Rechtslage zur Zeit der Erlassung des bei ihm angefochtenen Bescheides auszugehen hat. Ändert sich die Sachlage und Rechtslage durch nachträgliche Aufhebung eines einem früheren Verfahren vor dem VfGH zugrunde gelegenen verwaltungsbehördlichen Bescheides, so ermöglicht die Rechtsordnung nicht die Wiederaufnahme dieses Verfahrens vor dem VfGH, wohl aber kann die Möglichkeit bestehen, ein Verwaltungsverfahren, dem der aufgehobene verwaltungsbehördliche Bescheid nicht mehr entgegensteht, neuerlich in Gang zu setzen.