B288/72 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Sicherstellungsauftrag nach § 66 ASVG: Die Zuständigkeit zur Erlassung eines Sicherstellungsauftrages durch den Versicherungsträger und die des Landeshauptmannes zur Entscheidung über einen Einspruch gegen diesen ist in den §§ 66 und 412 ASVG grundsätzlich geregelt. Ob der Sicherstellungsauftrag aber dann gemäß den dafür maßgebenden materiellen Bestimmungen erlassen wurde, ist nicht nur eine Frage der Zuständigkeit der erlassenden Behörde, sondern der Richtigkeit des Sicherstellungsauftrages und der über ihn gefällten Einspruchsentscheidung. Daher kein Entzug des gesetzlichen Richters.
Die bel. Beh. vertrat die Meinung, daß der Tatbestand, der die Verpflichtung zur Zahlung der Beiträge zur Folge habe, die Begründung eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses sei. Dieses begründe die Beitragspflicht an sich sowie den aus dem Beschäftigungsverhältnis gebührenden Entgeltsanspruch, nach dem sich die Höhe der Beiträge bemesse. Die Zulässigkeit eines Sicherstellungsauftrages auch für künftige Beitragszeiträume ergebe sich allein schon aus der Tatsache, daß der Gesetzgeber die Sicherstellung für den Bereich der Sozialversicherung überhaupt vorgesehen hat, weil eine Sicherstellung naturgemäß nur dann sinnvoll sein könne, wenn erst später fällig werdende Beiträge im vorhinein sichergestellt werden können, nicht aber, wenn sie nur Beiträge erfaßt, die schon vollstreckbar sind oder unmittelbar darauf vollstreckbar werden. Der VfGH hält diese Gesetzesauslegung im Hinblick auf die §§ 4, 10 Abs. 1 und 55 ASVG für durchaus denkmöglich. Im {Allgemeines Sozialversicherungsgesetz § 10, § 10 Abs. 1 ASVG} ist nämlich ausdrücklich normiert, daß die Pflichtversicherung der Dienstnehmer ..... unabhängig von der Erstattung einer Anmeldung mit dem Tag des Beginnes der Beschäftigung beginnt und {Allgemeines Sozialversicherungsgesetz § 55, § 55 ASVG} bestimmt, daß die allgemeinen Beiträge, sofern im folgenden nichts anderes bestimmt ist, für die Dauer der Versicherung zu entrichten sind. Dagegen handelt {Allgemeines Sozialversicherungsgesetz § 58, § 58 ASVG}, auf den sich die Bfin. beruft, nicht von der Entstehung der Beitragspflicht, sondern von der Fälligkeit und Einzahlung der Beiträge.
Es sind auch keine Bedenken in der Richtung entstanden, daß im Gesetz keine ausdrückliche Bestimmung darüber enthalten ist, über welche Zeiträume sich ein Sicherstellungsauftrag erstrecken kann, was zu einer Willkür führen könne. Es kann nämlich das Gesetz dahin ausgelegt werden, daß das zeitliche Ausmaß des Sicherstellungsauftrages daraus zu gewinnen ist, daß der mit ihm verfolgte Zweck erreicht wird.
Nach {Bundesabgabenordnung § 232, § 232 Abs. 1 BAO} kann die Abgabenbehörde, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den die Abgabevorschriften die Abgabepflicht knüpfen, selbst bevor die Abgabenschuld dem Ausmaß nach feststeht, "bis zum Eintritt der Vollstreckbarkeit (§ 226)" an den Abgabepflichtigen einen Sicherstellungsauftrag erlassen. Nach {Bundesabgabenordnung § 226, § 226 BAO} sind Abgabenschuldigkeiten, die nicht spätestens am Fälligkeitstag (§ 210) entrichtet werden, vollstreckbar. Ein Sicherstellungsauftrag für Abgabenschuldigkeiten ist daher nach diesen Bestimmungen nur bis zum Ablauf des Fälligkeitstages zulässig.
Nachher kommt nur eine Einbringung i. S. der §§ 229 ff. BAO in Betracht. Diese Regelung ist nach {Allgemeines Sozialversicherungsgesetz § 66, § 66 ASVG} entsprechend auf Beitragsforderungen nach diesem Gesetz anzuwenden. Nun enthält das ASVG keine dem {Bundesabgabenordnung § 226, § 226 BAO} entsprechende ausdrückliche Bestimmung darüber, wann die Vollstreckbarkeit rückständiger Sozialversicherungsbeiträge eintritt. {Allgemeines Sozialversicherungsgesetz § 64, § 64 Abs. 1 ASVG} besagt lediglich, daß den Versicherungsträgern zur Eintreibung nicht rechtzeitig entrichteter Beiträge die Einbringung im Verwaltungswege (§ 3 Abs. 3 VVG 1950) gewährt wird. Im folgenden Absatz wird dann bestimmt, daß der zur Geltendmachung berufene Versicherungsträger zur Eintreibung nicht rechtzeitig entrichteter Beiträge einen Rückstandsausweis auszufertigen hat. Nach Abs. 3 ist aber der rückständige Betrag vor Ausstellung des Rückstandsausweises einzumahnen, wobei die Bestimmungen des § 227 Abs. 2 und 3 und des {Bundesabgabenordnung § 228, § 228 BAO} entsprechend anzuwenden sind. Mit Rücksicht darauf, daß "zur Eintreibung nicht rechtzeitig entrichteter Beiträge" ein Rückstandsausweis auszufertigen ist, vorher aber jedenfalls der rückständige Betrag einzumahnen ist, ist die Rechtsauffassung nicht denkunmöglich, daß die Vollstreckbarkeit rückständiger Sozialversicherungsbeiträge erst nach erfolgter Einmahnung eintritt, und zwar ungeachtet des Umstandes, daß auch der {Bundesabgabenordnung § 227, § 227 Abs. 1 BAO}, dessen entsprechende Anwendung nach {Allgemeines Sozialversicherungsgesetz § 64, § 64 Abs. 3 ASVG} nicht vorgeschrieben ist, für vollstreckbar gewordene Abgabenschuldigkeiten vorschreibt, daß sie - vor Ausstellung eines Rückstandsausweises nach {Bundesabgabenordnung § 230, § 230 BAO} - einzumahnen sind. Es ist daher nicht denkunmöglich, zumindestens im Falle eines sich auf mehrere Monate erstreckenden Sicherstellungsauftrages, die Sicherstellung auch für rückständige Beiträge aus einem bereits abgelaufenen Beitragsmonat aufzunehmen, wenn diese Beiträge noch nicht eingemahnt sind.