B135/72 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Die Kundmachung des Magistrates der Bundeshauptstadt Wien über die Haustorsperre und die Hausbeleuchtung, MA 62-I/H 2/60, Amtsblatt der Stadt Wien 24/1960, i. d. F. der Kundmachung MA 62-I/41/61, Amtsblatt der Stadt Wien 20/1962, ist eine allgemeine Anordnung auf Grund des § 77 Z 2 (örtliche Sicherheitspolizei als Angelegenheit des selbständigen Wirkungsbereiches der Gemeinde) und des § 111 (Lokalpolizei) der Verfassung der Bundeshauptstadt Wien, also eine selbständige Verordnung; der VfGH hat schon in seinem Erk. Slg. 3826/1960 dargelegt, daß die Anordnung einer nächtlichen Haustorsperre eine Maßnahme auf dem Gebiet der allgemeinen Sicherheitspolizei ist, "denn unversperrte Haustore sind, während die Hausbewohner schlafen, immer eine Gefahr für die Sicherheit von Menschen und deren Eigentum" ; mit im inhaltlichen Zusammenhang steht eine Regelung, die dazu dient, das Öffnen des Haustores während der Sperre zu sichern. I. S. des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 15, Art. 15 Abs. 2 B-VG} ist eine solche Anordnung der nächtlichen Haustorsperre der örtlichen Sicherheitspolizei und damit i. S. des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 118, Art. 118 Abs. 3 Z 3 B-VG} dem eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde zuzuordnen. Die Anordnung einer derartigen Haustorsperre ist nun "ein taugliches Mittel zur Beseitigung bereits bestehender und zur Abwehr von mit Sicherheit zu erwartenden Mißständen und Gefahren" (vgl. Slg. 6556/1971) , so daß sie in verfassungsrechtlich zulässiger Weise in Form einer ortspolizeilichen Verordnung i. S. des Art. 118 Abs. 6 B-VG getroffen werden kann. Eine vor dem 31. Dezember 1965 erlassene derartige Anordnung findet seither in {Bundes-Verfassungsgesetz Art 118, Art. 118 Abs. 6 B-VG} ihre formelle verfassungsrechtliche Deckung.
Daß eine selbständige Verordnung in {Bundes-Verfassungsgesetz Art 118, Art. 118 Abs. 6 B-VG} ihre formelle verfassungsrechtliche Deckung findet, schließt nicht aus, daß der nähere Inhalt einer selbständigen Verordnung an den jeweils in Betracht kommenden verfassungsgesetzlichen Bestimmungen zu messen ist. So gelten insbesondere die vom VfGH für den Bereich der Gesetzgebung aus dem Gleichheitssatz abgeleiteten Erfordernisse unmittelbar für selbständige Verordnungen.
Keine Bedenken aus dem Blickwinkel des Gleichheitsgebotes. Es ist sachlich gerechtfertigt, im Zusammenhang mit der allgemeinen Anordnung einer Haustorsperre in der Zeit von 22 Uhr bis 6 Uhr (§ 1 der Kundmachung) und mit der andere Zeiten geregelten Haustorsperre (§§ 2 und 3 der Kundmachung) auch die Verpflichtung zur Anbringung und Instandhaltung einer Hausglocke (Klingel, Klingelzug usw.) unmittelbar neben dem Hauseingang zu normieren. Auf die Bemerkung des Bf., daß die Anbringung einer Hausglocke deshalb nicht zielführend sei, weil das Hausbesorgergesetz, BGBl. 16/1970, eine Anwesenheitspflicht des Hausbesorgers nicht festlege, ist darauf hinzuweisen, daß dieses Gesetz in § 4 Abs. 1 Z 2 dem Hausbesorger auferlegt: "Das Zusperren und Öffnen des Haustores bei Eintritt und Ablauf der vorgeschriebenen Sperrzeit, so wie auf Verlangen das Öffnen des Haustores während dieser Zeit." Es ist auch sachlich gerechtfertigt, die Verpflichtung zur Anbringung und Instandhaltung einer Hausglocke (Klingel, Klingelzug usw.) dem Hauseigentümer oder dessen verantwortlichen Stellvertreter aufzuerlegen. Dem Einwand des Bf., daß nach der Bundesverfassung niemand unter Strafandrohung verpflichtet werden könne, für einen Dritten Leistungen zu erbringen, ohne daß dieser die erforderlichen Mittel zur Verfügung stelle, ist entgegenzuhalten, daß die Kundmachung keine Norm des Inhaltes enthält, der verantwortliche Stellvertreter des Hauseigentümers habe für diesen Kosten zu tragen. Die Verpflichtung dieses Stellvertreters geht nach dem Inhalt der Kundmachung nicht über den Bereich der übertragenen Verantwortung hinaus. Es ist aber nicht sachlich ungerechtfertigt, in diesem Rahmen dem verantwortlichen Stellvertreter die gleiche Verhaltensweise wie dem Hauseigentümer aufzuerlegen. Infolgedessen ist es gemäß {Bundes-Verfassungsgesetz Art 118, Art. 118 Abs. 6 B-VG} (§ 108 Abs. 2 Wiener Stadtverfassung) auch verfassungsrechtlich zulässig, die Verletzung der auferlegten Verpflichtung als Verwaltungsübertretung mit Strafe zu bedrohen.