JudikaturVfGH

B197/71 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
07. Oktober 1972

Der Bebauungsplan einer Gemeinde ist nach der ständigen Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes ein genereller auf der Stufe einer Verordnung stehender Akt der Vollziehung (vgl. z. B. Slg. 2584/1953, 3064/1956, 3569/1957, 4079/1961, 4498/1963, 5794/1968) . Diese Qualifikation kommt dem Plan in seiner Gesamtheit zu, also sowohl den zeichnerisch dargestellten Teilen, als auch den in Worten gefaßten Teilen. Auch eine Abänderung des Planes ist eine als Verordnung zu qualifizierende Norm (vgl. z. B. Slg. 4254/1962, 5607/1967, 5794/1968) . Ein solcher Bebauungsplan, dessen Wesen in der planmäßigen und vorausschauenden Gestaltung eines bestimmten Gebietes in bezug auf seine Bebauung besteht (vgl. Slg. 2674/1954) , ist eine Angelegenheit der örtlichen Baupolizei bzw. der örtlichen Raumplanung i. S. des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 118, Art. 118 Abs. 3 Z 9 B-VG} und daher von der Gemeinde im eigenen Wirkungsbereich zu erlassen.

Der VfGH hat mit Erk. Slg. 4498/1963 einem Antrag der Tiroler Landesregierung folgend die in dem Bebauungsplan der Gemeinde Telfs enthaltenen Worte : "Für nicht als Baugebiet ausgewiesene Gemeindeflächen besteht Bauverbot" nicht als gesetzwidrig aufgehoben. Der VfGH war der Auffassung, daß sich aus der in § 7 der Tir. Landesbauordnung enthaltenen Ermächtigung an die Gemeinden, Verbauungspläne zu erlassen, auch ergebe, daß es zulässig sei, in diesen Verbauungsplänen auch Bauverbote vorzusehen, weil es dem Begriff eines Verbauungsplanes innewohne, die Verbauung auch durch Erlassung von für eine planmäßige Verbauung notwendigen Bauverboten zu regeln. Der VfGH führte aus, daß derartige Verbauungspläne auch Bauverbote für Gemeindeflächen außerhalb des eigentlichen Verbauungsgebietes enthalten könnten. Der VfGH sieht sich nicht veranlaßt, von dieser Rechtsauffassung im vorliegenden Fall abzugehen.

Der Beschluß des Gemeinderates der Gemeinde Natters vom 13. November 1970 bezieht sich auf die landwirtschaftliche und forstwirtschaftliche Nutzfläche außerhalb des als Bauland ausgewiesenen Teiles des Gemeindegebietes, für die schon auf Grund des Beschlusses vom 10. Juli 1953 grundsätzlich ein Bauverbot für Bauten aller Art besteht. Mit dem genannten Beschluß vom 13. November 1970 wurde an die Stelle der generellen Ausnehmung bestimmter landwirtschaftlicher und forstwirtschaftlicher Betriebsbauten aus dem ansonsten bestehenden generellen Bauverbot die Bestimmung gesetzt, daß alle Bauführungen (also welcher Art immer) einer von Fall zu Fall individuell erteilten Ausnahmegenehmigung bedürfen. Damit wird aber nicht die Zulässigkeit von Bauführungen an die Erlassung einer den Bebauungsplan abändernden, mit diesem auf gleicher Rechtsstufe stehenden Verordnung, sondern an die Erlassung eines individuellen Verwaltungsaktes, nämlich eines Bescheides, geknüpft. Für eine Regelung, die individuelle Ausnahmen von einer generellen Norm vorsieht, bedarf es jedoch einer gesetzlichen Grundlage. Der Beschluß des Gemeinderates der Gemeinde Natters vom 13. November 1970 vermag sich nicht auf eine gesetzliche Grundlage zu stützen; insbesondere ist eine solche nicht im § 7 Tiroler Landesbauordnung gegeben. Es trifft also zu - wie der angefochtene Bescheid ausführt -, daß die Abänderung der Legende zum Verbauungsplan der Gemeinde Natters durch die einschlägigen Vorschriften der Tir. LandesBauO nicht gedeckt war.

Ein Verbauungsplan, dessen Wesen in der planmäßigen und vorausschauenden Gestaltung eines bestimmten Gebietes in bezug auf seine Bebauung besteht (vgl. Slg. 2674/1954) , ist eine Angelegenheit der örtlichen Baupolizei bzw. der örtlichen Raumplanung i. S. des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 118, Art. 118 Abs. 3 Z 9 B-VG} und daher von der Gemeinde im eigenen Wirkungsbereich zu erlassen. Mit dem rechtlichen Charakter der für einen solchen Verbauungsplan vorgesehenen Genehmigung seitens der Aufsichtsbehörde hat sich der VfGH schon wiederholt befaßt. Der VfGH hat die Auffassung vertreten, die Genehmigung sei ein unselbständiger Teilakt in dem Verwaltungsgeschehen, das die Erlassung des Bebauungsplanes zum Gegenstand hat; sie sei ein interner Verwaltungsakt, der eine Voraussetzung für die Rechtswirksamkeit des Bebauungsplanes bildet, also ein Verwaltungsakt im Rahmen des Verfahrens zur Erlassung einer Verordnung; solche Genehmigungsakte seien keine individuellen, an eine außerhalb der behördlichen Sphäre stehende Person gerichteten normativen Verwaltungsakte und somit keine vor dem VfGH bekämpfbaren Bescheide (vgl. z. B. Slg. 3788/1960, 5607/1967) . In diesen Feststellungen ist jedoch keine Aussage darüber enthalten, in welcher rechtlichen Qualifikation sich der aufsichtsbehördliche Genehmigungsakt gegenüber der den Bebauungsplan erlassenden Gemeinde darstellt. Die verfassungsrechtliche Grundlage für eine solche Genehmigung findet sich in Art. 119 a Abs. 8 B-VG, der bestimmt, daß die zur Regelung des Aufsichtsrechtes zuständige Gesetzgebung einzelne von der Gemeinde im eigenen Wirkungsbereich zu treffende Maßnahmen, durch die auch überörtliche Interessen in besonderem Maß berührt werden, insbesondere solche von besonderer finanzieller Bedeutung, an eine Genehmigung der Aufsichtsbehörde gebunden werden können. Die im Erk. Slg. 6510/1971 enthaltene Aussage, daß ein Flächenwidmungsplan als Ganzheit überörtliche Interessen in besonderem Maß berührt, gilt auch für einen Bebauungsplan. Der Genehmigungsakt selbst stellt seinem Wesen nach keine Verordnung dar. Es hat auch der Verfassungsgesetzgeber nicht derartiges normiert; er hat lediglich für die Aufhebung einer gesetzwidrigen Verordnung einer Gemeinde die Rechtsfigur der Verordnung vorgesehen (Art. 119 a Abs. 6 B-VG) und diesbezüglich der Gemeinde den Rechtsschutz in Form eines Antragsrechtes im Verordnungsprüfungsverfahren nach {Bundes-Verfassungsgesetz Art 139, Art. 139 Abs. 1 letzter Satzteil B-VG} gewährt. In allen anderen Fällen ist der Gemeinde der Rechtsschutz gegenüber der Aufsichtsbehörde gemäß Art. 119 a Abs. 9 B-VG dadurch gewährt, daß die Gemeinde im aufsichtsbehördlichen Verfahren Parteistellung hat und berechtigt ist, gegen die Aufsichtsbehörde vor dem VwGH (Art. 131 und 132 B-VG) sowie vor dem VfGH ({Bundes-Verfassungsgesetz Art 144, Art. 144 B-VG}) Beschwerde zu führen. Der in dieser Regelung enthaltene Hinweis auf die Art. 131, 132 und 144 B-VG erweist, daß der Verfassungsgesetzgeber die Regelung auf individuelle aufsichtsbehördliche Verwaltungsakte bezieht; würde nun der Genehmigungsakt hinsichtlich einer von der Gemeinde erlassenen Verordnung der Gemeinde gegenüber nicht als ein solcher individueller Verwaltungsakt in Erscheinung treten, dann wäre der Gemeinde gegenüber einem solchen Akt jeder Rechtsschutz genommen. Nichts zwingt zu einer solchen Auslegung der Bestimmungen des Art. 119 a B-VG. Wohl aber sprechen die dargelegten Gründe dafür, in dem Genehmigungsakt der Aufsichtsbehörde gegenüber der Gemeinde einen Bescheid zu sehen, der von dieser auch bekämpft werden kann.

Wird ein aufsichtsbehördlicher Bescheid, mit dem die Genehmigung einer von der Gemeinde im eigenen Wirkungsbereich getroffenen Maßnahme versagt wird, ohne gesetzliche Grundlage oder auf Grund eines verfassungswidrigen Gesetzes oder einer gesetzwidrigen Verordnung oder wird er gesetzwidrigerweise erlassen, dann wird dadurch das Recht der Gemeinde auf Selbstverwaltung (Art. 116 Abs. 1, {Bundes-Verfassungsgesetz Art 118, Art. 118 Abs. 4 B-VG}) verletzt. Da dieses Recht nicht unter einem Gesetzesvorbehalt gewährleistet ist, wird es schon durch jede gesetzwidrige Beschränkung und nicht bloß durch eine einer Gesetzlosigkeit gleichkommende denkunmögliche Anwendung eines Gesetzes verletzt (vgl. Slg. 6510/1961) .

Für eine Regelung, die individuelle Ausnahmen von einer generellen Norm (Bebauungsplan) vorsieht, bedarf es einer gesetzlichen Grundlage. Ein Bescheid, mit dem eine aufsichtsbehördliche Genehmigung des Bebauungsplanes aus diesem Grund versagt wird, enthält keine gesetzwidrige Beschränkung des Rechtes der Gemeinde auf Selbstverwaltung.

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