G15/72 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Kein Verstoß des § 34 Abs. 1 Tiroler Feuerpolizeiordnung 1970 gegen § 1 VStG 1950 oder § 5 Abs. 1 VVG (und daher gegen {Bundes-Verfassungsgesetz Art 11, Art. 11 Abs. 2 B-VG}) , gegen Art. 7. Abs. 1 MRK, Art. 10 Abs. 1 Z 7, Art. 18 und {Bundes-Verfassungsgesetz Art 83, Art. 83 Abs. 2 B-VG}.
Wie der VfGH schon in seinem Erk. Slg. 1478/1932 ausgesprochen hat, können dem Kompetenztatbestand des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 10, Art. 10 Abs. 1 Z 7 B-VG} nur die Verwaltungsstrafbestimmungen unterstellt werden, die mit keinem anderen Verwaltungszweig im Zusammenhang stehen. Der VfGH hat in der Folge an dieser Rechtsprechung festgehalten (vgl. Slg. 3201/1957, 3570/1959, 4410/1963, 5910/1969, 6011/1969) . § 34 Abs. 1 der Tiroler Feuerpolizeiordnung 1970 erklärt nun nur das Zuwiderhandeln gegen in der FeuerpolizeiO selbst gegründete Verfügungen als Verwaltungsübertretung. Damit ist unter der Voraussetzung, daß die FeuerpolizeiO in ihren anderen Bestimmungen nicht selbst Angelegenheiten der allgemeinen Sicherheitspolizei regelt, der Zusammenhang mit einer bestimmten Verwaltungsmaterie hergestellt.
Bedenken, daß die genannte Voraussetzung nicht zutrifft, hat aber der VwGH nicht erhoben. § 34 Abs. 1 der Tir. FeuerpolizeiO 1970 ist daher nicht deshalb verfassungswidrig, weil er eine Angelegenheit der allgemeinen Sicherheitspolizei regelt.
Es gibt keine Norm der Bundesverfassung, die es dem Gesetzgeber ausdrücklich verbietet, die Übertretung einer verwaltungsbehördlichen Verfügung unter Strafe zu stellen. Das Gesetz muß aber den Straftatbestand so umschreiben, daß dem Rechtsunterworfenen erkennbar ist, daß das Zuwiderhandeln gegen eine verwaltungsbehördliche Verfügung eine Verwaltungsübertretung darstellt. § 34 Abs. 1 Tiroler Feuerpolizeiordnung 1970 bedroht nun das Zuwiderhandeln gegen in der FeuerpolizeiO gegründete Verfügungen mit Strafe. Die Verfügung, gegen die zuwidergehandelt wird, muß also durch die FeuerpolizeiO, also durch das Gesetz selbst determiniert sein. Damit ist aber auch der Straftatbestand des § 34 Abs. 1 leg. cit. mittelbar durch das Gesetz umschrieben. Wenn der VwGH darauf hinweist, daß nach § 34 Abs. 1 leg. cit. zufolge der Rechtskraftwirkung auch das Zuwiderhandeln gegen Verfügungen, die mit der objektiven Rechtsordnung im Widerspruch stehen, Verwaltungsübertretungen bilden können, so ist dies richtig, aber eine von der österreichischen Rechtsordnung in Kauf genommene Folge der Institution der Rechtskraft. Der Adressat einer solchen Verfügung kann diese durch administrative Rechtsmittel und durch Beschwerde bei den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts bekämpfen; wenn er von diesen Möglichkeiten keinen Gebrauch macht, ist er durch die Folgen der eingetretenen Rechtskraft nicht beschwert. Der VfGH verkennt nicht, daß freilich eine auf Grund der FeuerpolizeiO ergangene Verfügung so unbestimmt sein kann, daß dem Adressaten nicht erkennbar ist, bei welchem Verhalten er der Verfügung zuwiderhandelt.
Dann liegt aber der Mangel nicht im Gesetz, sondern im Inhalt der Verfügung. Diesen Mangel kann der Adressat aber gleichfalls wieder durch administrative Rechtsmittel und Beschwerde bei den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts bekämpfen und bei einem solchen Mangel wäre auch die Strafbarkeit nicht gegeben. § 34 Abs. 1 Tir. FeuerpolizeiO steht daher nicht im Widerspruch zu {Bundes-Verfassungsgesetz Art 18, Art. 18 Abs. 1 B-VG}.
Verwaltungsstrafsachen nach dem VStG 1950 und Zwangsstrafen nach dem VVG 1950 sind im Hinblick auf ihre Zielsetzung verschiedener Natur.
Durch Verwaltungsstrafen soll der Unrechtsgehalt eines menschlichen Verhaltens geahndet werden und sollen der Bestrafte oder andere von einem solchen Verhalten abgehalten werden; durch Zwangsstrafen soll ein gebotenes Verhalten erzwungen werden. Es ist dem Landesgesetzgeber durch keine Vorschrift der Bundesverfassung und auch nicht durch eine Vorschrift des VVG 1950 verwehrt, ein Verhalten unter Strafe zu stellen, wenn der vom Gesetz gebotene Rechtszustand auch durch Zwangsmaßnahmen nach dem VVG 1950 hergestellt werden kann.
Die Frage, ob in einem solchen Fall neben der Verhängung einer Verwaltungsstrafe auch die Anwendung von Zwangsstrafen nach § 5 VVG 1950 zulässig ist, brauchte der VfGH nicht zu untersuchen, weil diese Frage eine der Vollziehung des § 5 VVG 1950 und nicht der angefochtenen Gesetzesstelle ist.