JudikaturVfGH

B181/72 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
26. September 1972

Der VfGH hat in seinem Erk. Slg. 4554/1963 ausgesprochen, daß das Oberlandesgericht Wien in seinem ihm durch das ASVG zugewiesenen Zuständigkeitsbereich als ein "anderes Gericht" i. S. des Art. 138 Abs. 1 lit. b letzter Halbsatz B-VG anzusehen ist. Daran hat auch die MRK nichts geändert.

Der Bf. ist der Ansicht, das OLG Wien sei in seiner Funktion als Rechtsmittelgericht in sozialversicherungsrechtlichen Leistungsstreitsachen nicht als ein "anderes Gericht" i. S. des Art. 138 Abs. 1 lit. b letzter Halbsatz B-VG, sondern als Kollegialbehörde i. S. des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 133, Art. 133 Z 4 B-VG} anzusehen. Diese Rechtsansicht des Bf. ist verfehlt (vgl. z. B. Slg. 5228/1966, B 251/71 vom 26. November 1971) . Die Qualifikation eines Vollzugsorgans als Verwaltungsbehörde oder Gericht ist - abgesehen von dem durch {Bundes-Verfassungsgesetz Art 87, Art. 87 Abs. 2 B-VG} besonders geregelten Fall der monokratischen Justizverwaltung - nicht durch den Inhalt seiner Tätigkeit, sondern durch die Rechtsstellung seiner Organe bestimmt (vgl. Art. 87 und 88 Abs. 2 B-VG und die Slg. 2902/1955 und 3696/1960) . Wenn der Gesetzgeber im {Allgemeines Sozialversicherungsgesetz § 402, § 402 ASVG} und gleichartigen Bestimmungen anderer Sozialversicherungsgesetze des OLG Wien als Rechtsmittelgericht gegenüber den Schiedsgerichten der Sozialversicherung berufen hat, so hat er bei der Übertragung dieses zusätzlichen Zuständigkeitsbereiches an die vorhandene organisatorische Stellung des OLG Wien angeknüpft. Diese ist dadurch charakterisiert, daß das OLG mit Richtern i. S. des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 86, Art. 86 Abs. 1 B-VG} besetzt ist (vgl. § 41 Abs. 1 des Gerichtsorganisationsgesetzes, RGBl. 217/1896, in der geltenden Fassung) , die ihre Funktion als richterliches Amt i. S. des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 87, Art. 87 B-VG} ausüben und deren Unabhängigkeit somit nicht etwa aus einem Zusammenhang mit Art. 133 Z. 4 B-VG erfließt (vgl. hiezu Slg. 5095/1965, 5096/1965) .

Das Recht, beim VfGH unmittelbar die Aufhebung eines Gesetzes wegen Verfassungswidrigkeit zu beantragen, steht nur den im {Bundes-Verfassungsgesetz Art 140, Art. 140 Abs. 1 B-VG} genannten Regierungen und Gerichten zu. Dasselbe gilt infolge der in Art. 140 a Abs. 1 B-VG festgelegten entsprechenden Anwendung des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 140, Art. 140 B-VG} für die Antragsbefugnis hinsichtlich der Überprüfung von Staatsverträgen auf deren Verfassungsmäßigkeit.

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