JudikaturVfGH

B99/71 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
30. Juni 1972

Im Hinblick auf die Aufhebung des § 100 Abs. 2 Statut der Landeshauptstadt Graz 1967 durch den VfGH ist die Rechtslage im vorliegenden Beschwerdefall so zu beurteilen, als ob diese Gesetzesstelle schon im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht mehr in Geltung gestanden wäre (Slg. 5414/1966, 5700/1968, 5999/1969 u. a.) . Enthält aber das Grazer Stadtstatut in der für die Entscheidung über die vorliegende Beschwerde maßgebenden Fassung keine Vorschrift, derzufolge gegen einen im eigenen Wirkungsbereich erlassenen Bescheid des Gemeinderates der Landeshauptstadt Graz die Vorstellung an die Aufsichtsbehörde nicht stattfindet, so folgt daraus die Zulässigkeit der Vorstellung. Dem kann nach Ansicht des VfGH nicht entgegengehalten werden, daß nach {Bundes-Verfassungsgesetz Art 115, Art. 115 Abs. 2 B-VG} "die Landesgesetzgebung das Gemeinderecht nach den Grundsätzen der folgenden Artikel dieses Abschnittes zu regeln" hat, denn daraus ergibt sich keineswegs, daß die im Abschnitt C des vierten Hauptstückes des B-VG getroffenen Regelungen ausnahmslos und unter allen Umständen erst in der durch den Landesgesetzgeber (Gemeinderechtsgesetzgeber) mediatisierten Form der Vollziehung zugänglich wären. Für Art. 119 a Abs. 5 B-VG trifft das nicht zu. Die Anordnungen der genannten Verfassungsnorm sind inhaltlich so bestimmt, daß kein Grund ersichtlich ist, sie als der unmittelbaren Vollziehung unzugänglich anzusehen. Die Rechtslage ist in diesem Punkt ähnlich jener, die der VfGH im Erk. Slg. 4106/1961 im gleichen Sinn beurteilt hat. Gegen den angefochtenen Bescheid ist somit die Vorstellung an die Landesregierung zulässig. Nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH wird aber durch die Vorstellung ein Instanzenzug i. S. des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 144, Art. 144 B-VG} eröffnet. Die Ergreifung dieses Rechtsmittels ist daher eine Prozeßvoraussetzung für das Beschwerdeverfahren vor dem VfGH (Slg. 5352/1966, 5505/1967, 6073/1969) . Weil aber eine Vorstellung nicht erhoben worden ist, war die Beschwerde wegen Nichterschöpfung des Instanzenzuges zurückzuweisen. In bezug auf das weitere Vorgehen im Anlaßfall hält der VfGH dafür, daß die Rückwirkung der von ihm verfügten Aufhebung des § 100 Abs. 2 Statut der Landeshauptstadt Graz 1967 auf den Anlaßfall bewirkt, daß nunmehr gegen den angefochtenen Bescheid des Gemeinderates der Landeshauptstadt Graz die Vorstellung nach Zustellung der schriftlichen Ausfertigung des Erk. Slg. 6783/1972 zulässig sein wird (vgl. auch Slg. 3711/1960) . Rechtslücken, die bei der Entscheidung über die Vorstellung allenfalls auftauchen, werden nach den Regeln des {Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch § 7, § 7 ABGB} zu schließen sein.

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