JudikaturVfGH

B223/69 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
20. Juni 1972

Zu der Zeit, als die angefochtene Amtshandlung gesetzt wurde, existierte keine Rechtsvorschrift, die im besonderen die Teilnahme von Untersuchungsgefangenen an Gottesdiensten geregelt hätte. Dennoch war der VfGH nicht der Ansicht, daß der Bf. durch die Hinderung an der Teilnahme am Gottesdient im Gefangenhaus in seinem durch Art. 14 StGG gewährleisteten Recht auf Glaubensfreiheit und Gewissensfreiheit oder in dem durch {Europäische Menschenrechtskonvention Art 9, Art. 9 MRK} gewährleisteten Anspruch auf Religionsfreiheit verletzt worden ist. Wie der VfGH in seinem Erk. Slg. 6265/1970 aus Anlaß der Beschwerde eines Untersuchungsgefangenen gegen die bescheidmäßige Ablehnung seines Ansuchens, zur Ausübung seines Wahlrechtes bei der am 1. März 1970 stattgefundenen Wahl ausgeführt zu werden, festgestellt hat, besteht grundsätzlich keine Verpflichtung des Staates, "in den Fällen eines gesetzmäßig verhängten Freiheitsentzuges besondere Vorkehrungen zu treffen, um den Betroffenen die Ausübung ihres Individualrechtes zu ermöglichen" . Dies gilt auch für den vorliegenden Beschwerdefall.

In der Zeit, als die angefochtene Maßnahme gesetzt wurde, gab es keine Rechtsvorschrift, die eine Verpflichtung des Staates begründet hätte, Vorkehrungen dafür zu treffen, daß Untersuchungsgefangene an einem Gottesdienst beliebiger Konfession teilnehmen können. In dem durch Art. 14 StGG gewährleisteten Recht auf Glaubensfreiheit und Gewissensfreiheit und in dem durch {Europäische Menschenrechtskonvention Art 9, Art. 9 MRK} gewährleisteten Anspruch auf Religionsfreiheit ist der Bf. schon allein deshalb nicht verletzt worden.

§ 183 StPO in seiner vor dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. 143/1972, in Geltung gestandenen Fassung, ermächtigte die bel. Beh., dem Untersuchungsgefangenen jene Beschränkungen aufzuerlegen, "die erforderlich sind, um sich seiner Person zu versichern und für die Untersuchung nachteilige Verabredungen zu hindern" . Nach dem Inhalt der Verwaltungsakten waren die evangelischen Gottesdienste im Gefangenhaus während der hier maßgeblichen Zeit derart stark frequentiert, daß sich die Gefangenhausverwaltung "aus disziplinären Gründen" veranlaßt sah, den Besuch dieser Gottesdienste zu beschränken. Eine solche "disziplinäre" Maßnahme aber war durch die oben wiedergegebene Vorschrift des {Strafprozeßordnung 1975 § 183, § 183 StPO} gedeckt. Der Bf. ist demnach auch im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter nicht verletzt worden.

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