JudikaturVfGH

B689/70 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
17. März 1972

Aus {Bundesabgabenordnung § 143, § 143 BAO} im Zusammenhang mit den §§ 171 und 172 BAO ergibt sich, daß die zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugten Personen hinsichtlich von Tatsachen, die ihnen in ihrer Eigenschaft als Vertreter der Partei über diese zur Kenntnis gelangt sind, nicht verpflichtet sind, Schriftstücke, Urkunden und die einschlägigen Stellen ihrer Geschäftsbücher der Abgabenbehörde zur Einsicht vorzulegen. Dies ist jedoch nicht nur ein Recht. Gemäß {Rechtsanwaltsprüfungsgesetz § 9, § 9 Rechtsanwaltsordnung} ist der Rechtsanwalt zur Verschwiegenheit über die ihm anvertrauten Angelegenheiten verpflichtet. Die Verletzung der Verschwiegenheitspflicht ist eine der Disziplinarbehandlung unterliegende Verletzung der Berufspflichten. Aus dem Zusammenhalt der vorgenannten Bestimmungen ergibt sich daher, daß der Bf. als er die Geschäftsbücher und Belege der Abgabenbehörde nur unter Abdeckung der Klientennamen zur Einsicht vorlegte, nicht nur in Ausübung eines gesetzlichen Rechtes, sondern auch in Befolgung einer vom Gesetz auferlegten Pflicht gehandelt hat.

Die Formulierung des {Bundesabgabenordnung § 184, § 184 BAO}, insbesondere die Worte "keine ausreichenden Aufklärungen zu geben vermag oder weitere Auskünfte über Umstände verweigert" , lassen auch die Auslegung zu, daß Aufklärungen dann ausreichend sind, wenn sie sich im Rahmen der gesetzlichen Auskunftspflicht halten, und daß von der Verweigerung einer Auskunft dann nicht gesprochen werden kann, wenn eine gesetzliche Pflicht besteht, solche Auskünfte nicht zu geben.

Gleichheitswidrige Anwendung des § 184 BAO. Es ist sachlich nicht gerechtfertigt und verletzt daher den Gleichheitssatz, wenn die Schätzungsbefugnis der Abgabenbehörde lediglich aus der Verweigerung der Vorlage von Unterlagen oder von Auskünften abgeleitet wird, die der Steuerpflichtige auf Grund seiner gesetzlich auferlegten Verschwiegenheitspflicht nicht vorlegen oder erteilen darf. Daraus folgt, daß {Bundesabgabenordnung § 184, § 184 BAO} dem Abgabepflichtigen kein Verhalten aufträgt, das ihm auf Grund seiner Verschwiegenheitspflicht verboten ist. Aus der Befolgung der Verschwiegenheitspflicht durch den Abgabepflichtigen kann die Schätzungsbefugnis nicht abgeleitet werden.

Ebenso wie dem {Bundesabgabenordnung § 184, § 184 BAO} und aus denselben Gründen wie diese Bestimmung kann auch der sich aus § 5 Abs. 7 und 9 UStG 1959 im Zusammenhalt mit {Bundesabgabenordnung § 143, § 143 BAO} ergebenden Regelung nicht der Inhalt beigemessen werden, daß sie den Abgabepflichtigen zu einem Verhalten zwingt, das ihm auf Grund einer ihm obliegenden Verschwiegenheitspflicht verboten ist. Auch gegen diese Bestimmungen bestehen daher unter dem Gesichtspunkt des vorliegenden Beschwerdefalles keine Bedenken in der Richtung, daß sie dem Gleichheitsgebot widersprechen. Auch aus ihnen kann die Befugnis zur Schätzung nicht abgeleitet werden.

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