JudikaturVfGH

G35/71 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
16. März 1972

In lit. a des Rechtssatzes Slg. 4349/1963 hat der VfGH auf Grund des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 138, Art. 138 Abs. 2 B-VG} in Verbindung mit § 56 Abs. 4 VerfGG 1953 ausgesprochen: "Die Erlassung von gesetzlichen Vorschriften über die Herstellung und Erhaltung des Straßenkörpers in allen seinen Bestandteilen (einschließlich der Gehsteige) ist hinsichtlich der Bundesstraßen gemäß {Bundes-Verfassungsgesetz Art 10, Art. 10 Abs. 1 Z 9 B-VG} " Angelegenheiten der wegen ihrer Bedeutung für den Durchzugsverkehr durch Bundesgesetz als Bundesstraßen erklärten Straßenzüge außer der Straßenpolizei ) Sache des Bundes, hinsichtlich anderer Straßen gemäß Art. 15 Abs. 1 B-VG Sache der Länder." Dem Rechtssatz kommt die Wirkung einer authentischen Interpretation der Kompetenzvorschriften der Bundesverfassung auf der Stufe eines Bundesverfassungsgesetzes zu (Slg. 4446/1963) . Dem Rechtssatz ist durch kein späteres Bundesverfassungsgesetz ganz oder teilweise derogiert worden. Soweit sich der Rechtssatz auf andere als Bundesstraßen bezieht, hat er die Wirkung, daß {Bundes-Verfassungsgesetz Art 15, Art. 15 Abs. 1 B-VG} so zu lesen ist, als ob dort als Beispiel einer der unter die Generalklausel fallenden Materien die "Herstellung des Straßenkörpers in allen seinen Bestandteilen (einschließlich der Gehsteige)" ausdrücklich genannt wäre (vgl. Slg. 5375/1966) . Der Umstand, daß die Vorschriften über die Herstellung und Erhaltung der Gehsteige teilweise in den Bauordnungen enthalten waren und sind, ändert - wie der VfGH in den Entscheidungsgründen des Erk. Slg. 4349/1963 ausgeführt hat - nichts an ihrer Qualität als Straßenvorschriften. Aus den eben genannten Entscheidungsgründen ergibt sich auch, daß Angelegenheiten der Herstellung und Erhaltung von Gehsteigen vom Bundesverfassungsgesetz her gesehen stets Straßenangelegenheiten und nie solche der Baupolizei gewesen sind. Allein schon aus diesem Grund konnten also die Angelegenheiten der Herstellung und Erhaltung von Gehsteigen weder ganz noch teilweise vom Begriff "örtliche Baupolizei" erfaßt werden, der durch die B-VGNov. 1962 mit der neuen Bestimmung des Art. 118 Abs. 3 Z 9 B-VG geschaffen worden ist. Der Rechtssatz im Erk. Slg. 4349/1963, der erst nach der B-VGNov. 1962 entstanden ist, enthält auch die Feststellung, daß Gehsteige rechtlich Bestandteil der Straße sind; die Gehsteige rechtlich von Straßen zu lösen und zu verselbständigen, ist nicht möglich. Demnach können Gehsteige einer Straße, die nicht Verkehrsfläche der Gemeinde i. S. des Art. 118 Abs. 3 Z 4 B-VG ist - entgegen einer im Verfahren geäußerten Meinung -, keine Verkehrsfläche der Gemeinde sein.

Die Herstellung eines Gehsteiges als Bestandteil einer Verkehrsfläche der Gemeinde durch verwaltungsbehördlichen Akt zu normieren, ist eine Angelegenheit der "Verwaltung" dieser Verkehrsfläche i. S. des Art. 118 Abs. 3 Z 4 B-VG (vgl. Slg. 6208/1970) . Im Art. 118 Abs. 3 Z 4 B-VG liegt auch die normative Feststellung, daß die Verwaltung von anderen Verkehrsflächen als solchen der Gemeinde nicht zum eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde gehört (vgl. Slg. 5807/1968, in dem ausgeführt worden ist, daß Straßenangelegenheiten, die weder "Verwaltung der Verkehrsflächen der Gemeinde" noch "örtliche Straßenpolizei" - {Bundes-Verfassungsgesetz Art 118, Art. 118 Abs. 3 Z 4 B-VG} - sind, nicht in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde fallen) ; die Herstellung eines Gehsteiges als Bestandteil einer anderen Verkehrsfläche als einer der Gemeinde verwaltungsbehördlich zu regeln, ist daher keine Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde.

"Verkehrsflächen der Gemeinde" sind solche, die überwiegend nur für den lokalen Verkehr von Bedeutung sind (vgl. Slg. 6196/1970 und 6208/1970) . Es kommt nicht darauf an, ob die Gemeinde Eigentümerin der Fläche ist.

§ 64 Stadtbauordnung regelt nicht nur die verwaltungsbehördliche Tätigkeit in bezug auf die Herstellung von Gehsteigen, die Bestandteil von Straßen sind, deren Bedeutung überwiegend auf den lokalen Verkehr beschränkt ist und die daher als Verkehrsflächen der Gemeinde zu qualifizieren sind; die darin geregelte Tätigkeit des Gemeinderates bezieht sich auch auf die Herstellung von Gehsteigen als Bestandteil von Straßen, die nicht Verkehrsflächen der Gemeinde sind. Die Gesetzesstelle regelt also auch die Verwaltung von Verkehrsflächen, die nicht unter {Bundes-Verfassungsgesetz Art 118, Art. 118 Abs. 3 Z 4 B-VG} fällt, die also keine Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde ist. Insoweit kann diese Verwaltung nur dem übertragenen Wirkungsbereich der Gemeinde zugerechnet werden. Die Angelegenheiten des übertragenen Wirkungsbereiches werden gemäß {Bundes-Verfassungsgesetz Art 119, Art. 119 Abs. 2 B-VG} vom Bürgermeister besorgt, der sie nach Maßgabe des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 119, Art. 119 Abs. 3 B-VG} gewissen anderen Organen übertragen kann. Art. 119 B-VG schließt es aus, daß ein Gesetz in einer Angelegenheit des übertragenen Wirkungsbereiches die Zuständigkeit des Gemeinderates begründet. § 64 StadtbauO wird daher wegen Widerspruchs zu {Bundes-Verfassungsgesetz Art 119, Art. 119 B-VG} als verfassungswidrig aufgehoben.

Die im Beschluß des Gemeinderates der Landeshauptstadt Salzburg vom 11. März 1965 betreffend das Gehsteigherstellungsprogramm 1965 (kundgemacht vom Magistrat Salzburg mit Datum vom 9. April 1965 unter Z. VI/11-12.400/64 im Amtsblatt der Landeshauptstadt Salzburg 4 vom 14. Mai 1965) enthaltenen Worte "Aignerstraße im Abschnitt von der Rettenpacherstraße stadtauswärts bis zum Ende des Ausbauabschnittes ' Tapeziererkurve ' beidseitig, im Zusammenhang mit der vorgesehenen Straßenregulierung" werden als gesetzwidrig aufgehoben.

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