B211/71 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Gemäß § 102 Abs. 1 lit. b WRG 1959 sind Parteien in einem wasserrechtlichen Verfahren u. a. diejenigen, deren Rechte (dazu zählen gemäß § 12 Abs. 2 auch rechtmäßig geübte Wassernutzungen mit Ausnahme des Gemeingebrauches) berührt werden. Die den Gegenstand des angefochtenen Bescheides bildende Wasserentnahme in der Mitterndorfer Senke berührt die der Bfin. zustehenden Wasserrechte am Unterlauf der Fischa, denn - wie der VfGH im Erk. Slg. 6418/1971 ausgeführt hat - wird die von einem Unterlieger rechtmäßige geübte Wassernutzung durch eine von einem Oberlieger beantragte Wassernutzung jedenfalls dann berührt, wenn dadurch die dem Unterlieger zur Verfügung stehende Wassermenge geschmälert werden könnte. Aus dem angeführten Erk. des VfGH Slg. 1487/1932 ist für die Meinung der bel. Beh. nichts zu gewinnen. Das Erk. ist zu der kaiserlichen Verordnung betreffend Ausnahmebestimmungen für begünstigte Bauten während der Dauer der durch den Krieg hervorgerufenen außerordentlichen Verhältnisse, RGBl. 284/1914, ergangen. Nach dieser Verordnung konnte die Regierung Bauten aller Art (darunter Wasserbauten) als begünstigte Bauten erklären.
Bezüglich der Erklärung als begünstigter Bau ist die Rechtslage mit der für bevorzugte Wasserbauten geltenden Regelung des WRG 1959 vergleichbar (vgl. Slg. 6478/1971) . Die Rechtslage, wie sie sich nach dem Erk. bezüglich der weiteren Abschnitte des damaligen Verfahrens (der Projektsgenehmigung und der darauf folgenden Feststellung der Parteienrechte sowie des Gegenstandes und Umfanges der in Anspruch genommenen Enteignung) darstellt, ist jedoch mit der Rechtslage, die jetzt für die weiteren Abschnitte in Verfahren über bevorzugte Wasserbauten besteht (wasserrechtliche Bewilligung und Entschädigungsverfahren) nicht mehr vergleichbar.
Der VfGH hat in dem Beschluß Slg. 6478/1971 ausgeführt: "Da sich der Rechtsgehalt der Erklärung eines Wasserbaues als bevorzugt darin erschöpft, daß damit eine Rechtsgrundlage für ein künftiges, der Realisierung des Bauvorhabens dienendes, von dem sonstigen wasserrechtlichen Verfahren abweichendes Verfahren geschaffen wird, kann mit einer solchen Erklärung noch nicht in Rechte jener Personen, die durch den Wasserbau berührt werden, eingegriffen werden ." Der VfGH findet sich mit dieser Rechtsanschauung in Übereinstimmung mit dem VwGH (vgl. die in dem genannten Beschluß angeführte Rechtsprechung) . Die Rechtswirkungen der Erklärung als bevorzugter Wasserbau treten nun ein, sobald das Verfahren zur Erteilung der wasserrechtlichen Bewilligung des bevorzugten Wasserbaues durchgeführt wird: Jetzt gilt die Regel, daß erst nach Erteilung der wasserrechtlichen Bewilligung solcher bevorzugter Wasserbauten in einem sog. Entschädigungsverfahren über die Begründung von Zwangsrechten (hier im Rahmen des § 65) sowie über die Festsetzung von Entschädigungen und Beiträgen zu verhandeln und abzusprechen ist (§ 114 Abs. 1) und jetzt kommt die Beschränkung der Parteienrechte der von einem bevorzugten Wasserbau berührten Dritten zum Tragen (§ 115) . Diese besonderen Verfahrensbestimmungen sind derart mit der Erklärung eines Wasserbaues als bevorzugt verknüpft, daß die Rechtmäßigkeit einer solchen Erklärung die Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit des weiteren nach diesen besonderen Bestimmungen durchgeführten Verfahrens ist. Daraus ergibt sich, daß der Bescheid über die Erteilung der wasserrechtlichen Bewilligung eines als bevorzugt erklärten Wasserbaues von den durch diesen Wasserbau berührten Personen auch aus dem Grund angefochten werden kann, daß zu Unrecht die für bevorzugte Wasserbauten geltenden Verfahrensbestimmungen angewendet worden sind, weil die Voraussetzungen des § 100 Abs. 2 WRG 1959 für die Erklärung des Wasserbaues als bevorzugt nicht gegeben waren. Dem kann die Rechtskraft des Bescheides über die Bevorzugungserklärung nicht entgegengehalten werden, denn diese Rechtskraft erstreckt sich nicht auf die an dem Verfahren über die Bevorzugungserklärung unbeteiligten, jedoch von dem bevorzugten Wasserbau berührten Personen. Würde eine solche Anfechtungsmöglichkeit verneint, so ergäbe sich die Folge, daß die von dem Wasserbau berührten Personen keine rechtliche Möglichkeit hätten, die mit einer zu Unrecht erfolgten Bevorzugungserklärung verbundene Beschränkung ihrer Parteienrechte vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechtes zu bekämpfen.
Auch nach mehrjähriger Anhängigkeit des Verfahrens ist es nicht willkürlich, ein besonderes Interesse an einer beschleunigten Ausführung des nach seinem Umfang und nach seinen Auswirkungen auf die Wasserversorgung Wiens bedeutenden Vorhabens i. S. des § 100 Abs. 2 WRG 1959 für gegeben anzunehmen. Dies auch dann nicht, wenn das Projekt für sich allein nicht geeignet ist, die Wasserknappheit in Wien zu beheben, und jedenfalls noch andere Quellen der Wasserversorgung erschlossen werden müssen. Der von der Bfin. behauptete und näher ausgeführte Umstand, daß das als bevorzugter Wasserbau erklärte Vorhaben eine Fehlplanung darstelle, läßt dessen Erklärung als bevorzugter Wasserbau nicht willkürlich erscheinen, denn mit dieser Erklärung, die nur eine objektive verfahrensrechtliche Bevorzugung betrifft, ist nicht die Wirkung verbunden, daß diesem Vorhaben gegenüber anderen der Vorzug gebührt (vgl. VfGH Beschluß Slg. 6478/1971) .
Gemäß Art. 6 StGG kann jeder Staatsbürger an jedem Orte des Staatsgebietes unter den gesetzlichen Bedingungen jeden Erwerbszweig ausüben. Nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH kann dieses Recht nur verletzt werden, wenn einem Staatsbürger durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde der Antritt oder die Ausübung einer bestimmten Erwerbsbetätigung untersagt wird (vgl. Slg. 1372/1931, 1494/1932, 3404/1948, 4940/1965, 5305/1966) . Gegen Amtshandlungen, die nur die faktische Ausübung eines Erwerbszweiges betreffen, ohne das Recht auf freie Erwerbsbetätigung als solche zu negieren, gewährt aber Art. 6 StGG keinen Schutz (vgl. Slg. 164/1922) .