JudikaturVfGH

B209/71 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
06. März 1972

Durch § 114 Abs. 1 WRG 1959 wird in Verfahren über bevorzugte Wasserbauten das Verfahren über die Erteilung der wasserrechtlichen Bewilligung von dem sog. Entschädigungsverfahren getrennt und durch § 115 WRG 1959 wird den durch einen bevorzugten Wasserbau berührten Dritten grundsätzlich nur der Anspruch auf angemessene Entschädigung zuerkannt (Abs. 1) ; in dem Falle, daß vor der Bewilligung des Bauvorhabens eine mündliche Verhandlung durchgeführt wird (eine solche ist nur unter den Voraussetzungen des § 114 Abs. 2 erforderlich) , können die Beteiligten Abänderungen und Ergänzungen des Entwurfes verlangen, durch die das Bauvorhaben nicht wesentlich erschwert oder eingeschränkt wird (Abs. 2) ; unter Beteiligten sind hier die von einem Wasserbau berührten Dritten zu verstehen, denen also insofern Parteistellung zukommt (vgl. VwGH Erk. Slg. 7342 A/1968, VfGH Beschluß Slg. 6478/1971) . Diese Regelung ist dadurch gekennzeichnet, daß dem gleichen Personenkreis im Falle der Durchführung einer vom Gesetz nicht zwingend vorgeschriebenen mündlichen Verhandlung Parteienrechte in größerem Umfang zuerkannt werden als im Falle des Unterbleibens einer mündlichen Verhandlung.

Im Beschwerdefall ist eine mündliche Verhandlung durchgeführt worden, so daß den Parteien Rechte in dem vom Gesetz bestimmten größeren Umfang zugestanden haben. Wie die Grenze zu den Fällen gezogen ist, in denen Parteien Rechte in geringerem Umfang zustehen, ist nicht Voraussetzung der Entscheidung i. S. des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 140, Art. 140 Abs. 1 B-VG}. Keine derartige Voraussetzung sind daher die Bestimmungen des WRG 1959 in § 114 Abs. 2 (darüber, wann eine mündliche Verhandlung erforderlich ist) und im § 115 Abs. 1 (über den Umfang der Parteienrechte in den Fällen, in denen eine mündliche Verhandlung nicht durchgeführt wird . Gegen die verfahrensrechtlichen Bestimmungen des § 114 Abs. 1 WRG 1959 und gegen die Regelung des § 115 Abs. 2 WRG 1959 über den Umfang der Parteienrechte in Fällen, in denen eine mündliche Verhandlung durchgeführt wird, bestehen aber keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Bestimmungen sind ausreichend determiniert und verstoßen auch nicht gegen das Gleichheitsgebot. Ein solcher Verstoß läge vor, wenn die Bestimmung Differenzierungen enthielte, die nicht aus entsprechenden Unterschieden im Tatsächlichen gerechtfertigt werden könnten (vgl. z. B. Slg. 5956/1956, 5727/1968, 6411/1971) .

Es ist jedoch nicht unsachlich, das Verfahren über bevorzugte Wasserbauten anders zu gestalten (§ 114 Abs. 1 WRG 1959) als das Verfahren über nicht bevorzugte Wasserbauten und insbesondere die Parteienrechte in jenen Verfahren gegenüber den Parteienrechten in diesen Verfahren zu beschränken (§ 115 Abs. 2) . Zumal - wie der VfGH im Erk. Slg. 6665/1972 dargelegt hat - in Verfahren über die Bewilligung bevorzugter Wasserbauten auch geltend gemacht werden kann, daß die Voraussetzungen des § 100 Abs. 2 WRG 1959 für die Erklärung des Wasserbaues als bevorzugt nicht gegeben waren.

Es besteht, abgesehen von Einzelfällen wie Art. 119 a Abs. 9 B-VG i. d. F. BGBl. 205/1962, keine Verfassungsnorm, die Parteienrechten in einem Verfahren überhaupt oder in einem bestimmten Umfang garantiert.

Den Umfang der Parteienrechte in einem Verwaltungsverfahren bestimmt der einfache Gesetzgeber. Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter scheidet als Maßstab hiefür aus; dieses Recht kann durch eine gesetzliche Regelung der Parteistellung deshalb nicht verletzt werden, weil eben die durch Gesetz bestimmte Behörde gegenüber den durch Gesetz mit Parteienrechten ausgestatteten Personen der "gesetzliche Richter" ist (vgl. Slg. 3085/1956) . Das die Parteienrechte bestimmende Gesetz könnte allerdings aus einem anderen Grund verfassungswidrig sein.

Durch eine bescheidmäßige Verpflichtung der Stadt Wien, Grundstücke der Bf. zu erwerben, wird in Rechte der Bf. nicht eingegriffen. Diese wären in einem von der Stadt Wien allenfalls beantragten Enteignungsverfahren nicht gehindert, die Notwendigkeit und den Umfang der Enteignung i. S. des § 114 WRG 1959 zu bekämpfen.

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