JudikaturVfGH

B123/70 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
08. Oktober 1971

Auf Grund eines im Verfahren eingeholten Berichtes des Magistrates der Landeshauptstadt Linz wird festgestellt, daß der Tatort zwar auf privatem Grund liegt, jedoch eine Straße ist, die von jedermann unter den gleichen Bedingungen benützt werden kann. Es handelt sich somit um eine Straße mit öffentlichem Verkehr i. S. des § 1 Abs. 1 StVO 1960. An dieser Feststellung ändert der Einwand des Bf. nichts, es habe die Straße im Zeitpunkt der Tat nicht von jedermann unter den gleichen Bedingungen benützt werden können. Am Beginn des Privatgrundes sei damals eine Tafel mit der Aufschrift" Ende der öffentlichen Straße "angebracht gewesen; nach etwa 150 m habe die Straße durch ein hohes Gatter ihr Ende gefunden. Die erwähnte Tafel zeigte nicht an, daß die Benützung der Straße nicht jedermann gestattet war. Aus dem Umstand, daß das Gatter nicht am Beginn des Privatgrundes angebracht war und nichts darauf hindeutete, daß auch bis zum Gatter nicht jedermann die Straße benützen durfte, ist zu folgern, daß der in Rede stehende Teil auch im Zeitpunkt der Tat eine Straße mit öffentlichem Verkehr gewesen ist.

Der Bf. macht geltend, daß § 99 Abs. 1 StVO 1960 im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz verfassungswidrig sei. Nach dem Strafrechtsänderungsgesetz 1971, BGBl. 273, sei es nämlich dem Richter möglich, für Übertretungen nach §§ 431 und 432 Strafgesetz ohne Bindung an eine gesetzliche Mindeststrafhöhe Geldstrafen zu verhängen; hingegen müsse die Verwaltungsbehörde für Verwaltungsübertretungen nach § 99 Abs. 1 StVO 1960 - deren Unrechtsgehalt zweifellos geringer sei als der der Übertretungen nach §§ 431 und 432 StG - eine Mindeststrafe von 5000 S verhängen, ohne Rücksicht auf die Einkommensverhältnisse und Vermögensverhältnisse und die Sorgepflichten des Täters.

Gewiß verbietet der Gleichheitssatz, Differenzierungen zu schaffen, die sachlich nicht begründbar sind. Die im Strafsatz des § 99 Abs. 1 StVO 1960 liegende Differenzierung hat aber ihre sachliche Begründung in den rechtspolitischen Zielen (Gewicht der Prävention) , die mit der Regelung verbunden sind. Da ein Exzeß nicht vorliegt, bestehen also gegen die Vorschrift keine Bedenken im Hinblick auf das Gleichheitsgebot.

Es gibt nach dem VStG keinen" Grundsatz der Unmittelbarkeit ", dessen Nichtbeachtung die Verletzung des Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter bewirken würde.

Nach dem Ratifizierungsvorbehalt zu {Europäische Menschenrechtskonvention Art 5, Art. 5 MRK} werden die Bestimmungen dieses Artikels mit der Maßgabe angewendet, daß die in den Verwaltungsverfahrensgesetzen BGBl. 172/1950 vorgesehenen Maßnahmen des Freiheitsentzuges unter der in der österreichischen Bundesverfassung vorgesehenen Kontrolle durch den VwGH oder den VfGH unberührt bleiben. Dieser Vorbehalt schließt auch aus, daß Verwaltungsverfahren, die nach dem VStG 1950 durchgeführt werden, dem {Europäische Menschenrechtskonvention Art 6, Art. 6 MRK} widersprechen.

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