G31/70 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Im § 100 Abs. 2 WRG 1959 ist die Ermächtigung der Behörde, Wasserbauten als bevorzugt zu erklären, an die Voraussetzung geknüpft, daß" deren beschleunigte Ausführung im besonderen Interesse der österreichischen Volkswirtschaft gelegen ist ". Diese Fassung der Gesetzesbestimmung schließt es aus, daß bei Vorliegen der genannten Voraussetzung sowohl die Erklärung eines Wasserbaues als bevorzugten Wasserbau, als auch die Unterlassung einer solchen Erklärung gesetzmäßig sind. Aus der Bestimmung ergibt sich vielmehr, daß dann, wenn die beschleunigte Ausführung eines Wasserbaues im besonderen Interesse der österreichischen Volkswirtschaft gelegen ist, die Erklärung als bevorzugten Wasserbau vorzunehmen ist. § 100 Abs. 2 WRG 1959 räumt also seinem Inhalt nach nicht die Befugnis zu einer Ermessensentscheidung ein. Das Wort" kann "hat in diesem Zusammenhang die Bedeutung der Einräumung einer Zuständigkeit an das BM für Landwirtschaft und Forstwirtschaft zur Setzung einer Maßnahme, die aber im Wesen nach eine gebundene Entscheidung ist.
Die antragstellende Landesregierung verweist darauf, daß eine Vielzahl von Gründen denkbar sei, bei deren Vorliegen die beschleunigte Ausführung eines Wasserbaues im besonderen Interesse der österreichischen Volkswirtschaft gelegen ist. Diese - richtige - Feststellung bedeutet jedoch nicht, daß damit das Verhalten der Behörde durch das Gesetz nicht hinlänglich vorausbestimmt ist. Der Gesetzgeber verwendet zwar eine Reihe sog. unbestimmter Rechtsbegriffe, die durch eine unscharfe Abgrenzung gekennzeichnet sind, dies ist aber mit {Bundes-Verfassungsgesetz Art 18, Art. 18 B-VG} vereinbar, wenn die Begriffe einen soweit bestimmbaren Inhalt haben, daß das Verhalten der Behörde auf seine Übereinstimmung mit dem Gesetz überprüft werden kann (vgl. Slg. 4139/1962, 4862/1964, 5107/1965, 5234/1966, 5365/1966, 5636/1967, 5923/1969) . Aus dem Zusammenhang des § 100 Abs. 2 WRG 1959 ist nun in mehrfacher Hinsicht eine Begriffsabgrenzung erkennbar.
Der VfGH sieht in Übereinstimmung mit dem VwGH (vgl. z. B. Slg. 196 A/1947, 4935 A/1959 und Z 1067/68 vom 11. Juni 1969) das Wesen einer Ermessensentscheidung darin, daß deren Inhalt nicht vorausbestimmt ist, mehrere Entscheidungsmöglichkeiten zugelassen und alle danach möglichen Entscheidungen gesetzmäßig sind. Auch der VfGH geht davon aus, daß der Gesetzgeber vielfach das Wort" kann " verwendet, wenn er der Behörde ein freies Ermessen einräumt. Daraus allein ist jedoch ein sicherer Schluß in dieser Richtung nicht zu ziehen. Ob der Gesetzgeber die Befugnis zu einer Ermessensentscheidung oder zu einer gebundenen Entscheidung einräumt, muß vielmehr dem Inhalt der in Betracht kommenden Verwaltungsvorschriften entnommen werden (vgl. z. B. VwGH Slg. 6225 A/1964) . Demnach hat das Wort" können "vielfach die Bedeutung von" vermögen "," dürfen "," sollen "oder" müssen " (vgl. VwGH Slg. 2707 A/1952, 3580 A/1954, 6787 A/1965, 6833 A/1965, Z. 1499/68 vom 16. Mai 1969; VfGH Slg. 4644/1964, 4814/1964)
§ 100 Abs. 2 WRG 1959 räumt kein Ermessen ein.
Von den Interessen der" Volkswirtschaft ", deren es sicherlich eine Unzahl gibt (vgl. Slg. 4669/1964) , kommen nur solche in Betracht, denen durch einen Wasserbau der vorstehend dargelegten Art gedient werden kann. Daß der Begriff der" österreichischen "Volkswirtschaft nicht eine inhaltliche Beschränkung auf Belange der gesamtösterreichischen Volkswirtschaft enthält, ergibt sich daraus, daß - unter den gesetzlichen Voraussetzungen - Gegenstand der Erklärung eines Wasserbaues als bevorzugt jede nach dem WRG 1959 bewilligungspflichtige Anlage sein kann. Unterstützt wird diese Auffassung durch das Bundesgesetz vom 10. Juni 1969, BGBl. 299/1969, mit dem Wasserbautenförderungsgesetz geändert wird: Aus der Neufassung des § 10 Abs. 1 lit. b dieses Gesetzes ergibt sich, daß der Gesetzgeber von der Annahme ausgegangen ist, auch öffentliche Wasserversorgungsanlagen oder Abwasserbeseitigungsanlagen, die von Gemeinden unter bestimmten Voraussetzungen von Wassergenossenschaften, Wasserverbänden und sonstigen Wasserversorgungsunternehmen und Kanalisationsunternehmen finanziert werden, könnten als bevorzugte Wasserbauten erklärt worden sein.
Das Vorbringen der Landesregierung, daß nach strenger Auslegung des Gesetzes die beschleunigte Ausführung irgendeines Wasserbauprojektes, das selbst nicht im besonderen Interesse der österreichischen Volkswirtschaft gelegen ist, diesem Interesse entspreche, trifft nicht zu. Die Bestimmung des § 100 Abs. 2 WRG macht die Erklärung von Wasserbauten als bevorzugt davon abhängig, daß die beschleunigte Ausführung konkret umschriebener Wasserbauten (arg." deren beschleunigte Ausführung ..... ) im besonderen Interesse der österreichischen Volkswirtschaft gelegen ist.
Aus der Bestimmung, daß nur jene Wasserbauvorhaben als bevorzugt erklärt werden können, deren" beschleunigte "Ausführung im besonderen Interesse der österreichischen Volkswirtschaft gelegen ist, ergibt sich eine weitere Begriffsabgrenzung. Der Gesetzgeber hat durch die Regelung der Rechtswirkungen einer Bevorzugungserklärung (die in einer Vereinfachung des weiteren wasserrechtlichen Verfahrens bestehen) und auch durch die Beschränkung des die Bevorzugungserklärung selbst betreffenden Verfahrens auf eine Instanz zum Ausdruck gebracht, daß es im volkswirtschaftlichen Interesse liegen muß, wenn das Wasserbauvorhaben schneller verwirklicht werden kann, als bei Durchführung eines Verfahrens nach den allgemeinen Verfahrensbestimmungen. Dies wird dadurch unterstrichen, daß bei Erklärung eines Bauvorhabens als bevorzugten Wasserbau Fristen für die Einrechnung eines verhandlungsreifen Entwurfes und für die Erwirkung der Bewilligung festzusetzen sind (§ 112 Abs. 4 WRG) , welche ebenso wie die mit der wasserrechtlichen Bewilligung des bevorzugten Wasserbaues für den Baubeginn und die Bauvollendung bestimmten Fristen (§ 112 Abs. 1) nur aus triftigen Gründen verlängert werden können und deren fruchtloser Ablauf das Außerkrafttreten der Erklärung als bevorzugter Wasserbau bewirkt.
Auch die Bestimmung, daß die beschleunigte Ausführung eines Wasserbaues im" besonderen "Interesse der österreichischen Volkswirtschaft gelegen sein muß, um eine Bevorzugungserklärung zu rechtfertigen, ist nicht mit dem Mangel einer ungenügenden Determinierung behaftet. Der Gesetzgeber bringt damit zum Ausdruck, daß für die Erkärung eines Wasserbaues als bevorzugt nicht das mit der Ausführung eines solchen Bauvorhabens regelmäßig verbundene wasserwirtschaftliche und damit auch volkswirtschaftliche Interesse genügt, sondern daß das Wasserbauvorhaben der Volkswirtschaft in einem außerordentlichen Maße zu dienen geeignet sein muß.