JudikaturVfGH

G3/71 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
16. Juni 1971

Die im Gesetz, über das Landesgesetzblatt für das Land Niederösterreich, LGBl. 1/1971, vorgesehene Lose-Blatt-Form (§ 1 Abs. 2, § 5, § 10, § 11) ist nicht verfassungswidrig.

Der VfGH bejaht in Übereinstimmung mit der Auffassung der beteiligten Regierungen die Zulässigkeit des Antrages. Der Umstand, daß das den Gegenstand dieses Verfahrens bildende Landesgesetz vom 5. November 1970, Niederösterreichisches LGBl. 1/1971, über das NÖ LGBl. am 1. Jänner 1972 in Kraft treten wird, nimmt ihm nicht die Eigenschaft eines Landesgesetzes i. S. von {Bundes-Verfassungsgesetz Art 140, Art. 140 Abs. 1 B-VG}. Die Geltung eines Gesetzes ist nicht von seinem zeitlichen Anwendungsbereich abhängig. Dies ergibt sich unmittelbar aus {Bundes-Verfassungsgesetz Art 49, Art. 49 Abs. 1 zweiter Satz B-VG}, der die Gesetze ermächtigt, den Beginn ihrer verbindenden Kraft zu bestimmen (so bereits Slg. 4049/1961) .

Die Verfassungswidrigkeit der vom Antrag der Bundesregierung erfaßten Stellen des Landesgesetzes wird aus dem behaupteten Widerspruch zu Art. 97 Abs. 1 B-VG und Art. 21 Abs. 1 Niederösterreichisches L-VG abgeleitet. Nach {Bundes-Verfassungsgesetz Art 97, Art. 97 Abs. 1 B-VG} ist zu einem Landesgesetz der Beschluß des Landtages, die Beurkundung und Gegenzeichnung nach den Bestimmungen der Landesverfassung" und die Kundmachung durch den Landeshauptmann im LGBl. erforderlich ". Nach Art. 21 Abs. 1 NÖ L-VG ist zu einem Landesgesetz der Beschluß des Landtages, die Beurkundung durch dessen Präsidenten, die Gegenzeichnung durch den Landeshauptmann und die zuständigen Mitglieder der Landesregierung " und die Kundmachung durch den Landeshauptmann erforderlich ". Nach der Meinung der Bundesregierung hat der Begriff" Kundmachung ... im LGBl. ", den das B-VG und das NÖ L-VG übereinstimmend gebrauchen, einen Inhalt, der das von dem NÖ Landesgesetzgeber gewählte System der Verlautbarung von Gesetzesbeschlüssen nicht zuläßt. Nach seiner unmittelbaren Wortbedeutung hat dieser Begriff keinen Inhalt, der eine Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Gesetzesstellen begründen könnte. In ihrem vorbereitenden Schriftsatz ist die Bundesregierung allerdings der Ansicht, daß sich ein solcher Inhalt aus dem Zusammenhalt der Regelung ergebe. Wenn nicht ausdrücklich anderes angeordnet sei, müsse angenommen werden, daß der Landeshauptmann den Gesetzesbeschluß in eben der äußeren Form kundzumachen habe, wie ihn der Landtag gefaßt habe. Es sei unzulässig, irgendeine Änderung an diesem Gesetzesbeschluß vorzunehmen, und zwar nicht nur hinsichtlich des Wortlautes, sondern auch hinsichtlich der Reihenfolge der einzelnen Textstellen des Gesetzesbeschlusses. Der VfGH vermag das Ergebnis dieser Auffassung nicht zu übernehmen. Die Verfassung gebietet lediglich die Kundmachung des Beschlusses des Landtages durch den Landeshauptmann (die übrigen noch zu verlautbarenden Umstände sind hier ohne Bedeutung) und enthält keine Vorschrift über die Form der Kundmachung. Eine Formvorschrift hatte das Gesetz vom 12. November 1918, StGBl. 7, im § 1 Abs. 2 enthalten. Dort war nämlich angeordnet worden, daß die kundzumachenden Gesetze, Beschlüsse und Vollzugsanweisungen in das Staatsgesetzblatt unter fortlaufenden, mit Ende eines jeden Jahres abzuschließenden Zahlen aufzunehmen sind.

Diese Bestimmung hatte sich bereits im Gesetze vom 10. Juni 1869, RGBl. 113 (§ 1 Abs. 2) , gefunden. Das Bundesgesetz, BGBl. 33/1920, über das BGBl. hat diese Bestimmung nicht aufgenommen, dennoch wird dieses System auch noch derzeit gehandhabt. Eine Verpflichtung zu seiner Beibehaltung von Verfassungs wegen besteht nicht, denn der Bundesgesetzgeber und der Landesgesetzgeber haben" kundzumachen ", d. h. die Möglichkeit zur Kenntnisnahme der Gesetze zu eröffnen; zur Gestaltung der Kundmachungsform jedoch hat die Gesetzgebung von der Verfassung Vollmacht erhalten. Auch in ihrem vorbereitenden Schriftsatz hält die Bundesregierung fest, daß sich unter Zugrundelegung der sog." Versteinerungstheorie "ein Inhalt des Begriffes" Kundmachung ... durch den Landeshauptmann "ergebe, der die angefochtenen Gesetzesstellen als verfassungswidrig erscheinen lasse. Diesen von der Bundesregierung in diesem Zusammenhang vorgebrachten Überlegungen kommt keine Berechtigung zu. Der Begriff der" Kundmachung "im Art. 97 Abs. 1 B-VG, von" kundmachen "im {Bundes-Verfassungsgesetz Art 49, Art. 49 Abs. 1 B-VG} bzw. der" Kundmachung "im Art. 21 NÖ L-VG enthält nach Wortsinn und Zweck eine unmittelbar zu erschließende Bedeutung des bereits dargestellten Inhaltes; für die Annahme einer Erstarrung eines technischen Vorganges der Kundmachung besteht kein Anhaltspunkt. Der von der Bundesregierung gegen die Worte" hat aus auswechselbaren Blättern zu bestehen "im § 1 Abs. 2 leg. cit. und gegen die §§ 5 und 10 leg. cit. erhobene Vorwurf der Verfassungswidrigkeit ist somit nicht begründet.

Der § 11, demzufolge die Landesregierung dafür Sorge zu tragen hat, daß alle Rechtsvorschriften, die das NÖ Landesrecht bilden, bis zum 31. Dezember 1975 nach den Bestimmungen dieses Gesetzes zu verlautbaren sind, hat nicht den ihm von der Bundesregierung beigelegten Sinn einer uneingeschränkten Verpflichtung zu einer Verlautbarung aller Rechtsvorschriften. Der VfGH pflichtet der NÖ Landesregierung bei, daß § 11 eine verfassungskonforme Auslegung dahin zuläßt, daß die Landesregierung nur verpflichtet wird, mit den ihr im Rahmen der Verfassungsordnung zu Gebote stehenden Mitteln dafür zu sorgen, daß die Rechtsbereinigung bis zum 31. Dezember 1975 abgeschlossen ist. Somit hat auch § 11 keinen verfassungswidrigen Inhalt.

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