JudikaturVfGH

B281/69 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
07. Dezember 1970

Die Anordnung der zwangsweisen Vorführung zum Antritt einer Arreststrafe kann nur für sich allein betrachtet einen verfassungswidrigen Eingriff in die subjektive Rechtssphäre des Betroffenen nicht darstellen, sofern eine Entscheidung (rechtskräftiges Straferkenntnis) , die bereits in das subjektive Recht des davon Betroffenen eingriff, vorausgeht. Wenn diese Anordnung keinen solchen Titel zur Grundlage hat oder über diesen hinausgeht, fällt die im Vollzug allenfalls enthaltene Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte unmittelbar ihr selbst zur Last. Nun wurde der Bf. in erster Linie zu einer Geldstrafe und nur im Nichteinbringungsfalle zu einer Arreststrafe verurteilt.

Demnach durfte gemäß {Verwaltungsstrafgesetz 1991 § 53, § 53 VStG} der Vollzug der Arreststrafe überhaupt nicht veranlaßt werden, bevor feststand, daß die Geldstrafe ganz oder zum Teil uneinbringlich war oder dies mit Grund anzunehmen war.

{Verwaltungsstrafgesetz 1991 § 53, § 53 Abs. 4 VStG} regelt eine der Verwaltungsstrafbehörde eingeräumte besondere Zwangsbefugnis, die nicht unter das Verwaltungsvollstreckungsgesetz fällt ({Verwaltungsvollstreckungsgesetz § 12, § 12 VVG} . Dieses Zwangsmittel, das im konkreten Falle darin bestand, daß seitens der bel. Beh. eine solche Vorführung des Bf. zum Antritt der Arreststrafe angeordnet wurde, und die beauftragten Polizeiorgane nach den Behauptungen der Beschwerde daraufhin Handlungen setzten, die den Bf. in seiner physischen Freiheit beschränkten, stellt sich als eine behördliche Verfügung mit Bescheidcharakter i. S. des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 144, Art. 144 B-VG} dar, die im Instanzenzug nicht anfechtbar ist, weil alle Voraussetzungen eines Rechtsmittelverfahrens fehlen (vgl. Slg. 2611/1953, 3164/1957, u. a.) .

Die "Aufforderung zum Antritt der Ersatzarreststrafe" mittels Formular 43/I zu § 53 VStG greift - für sich allein betrachtet - nicht in die persönliche Freiheit ein. Dies geht schon aus dem Wortlaut des Formulars hervor. Der Beschwerdefall unterscheidet sich von der im Formular vorgesehenen Art der Durchführung dadurch, daß zwischen die beiden Worte des Formulars "binnen" und "Tagen" das Wort "sofort" mit Maschinenschrift eingesetzt und dem Bf. die Möglichkeit zum freiwilligen Antritt der Strafe während der Amtsstunden dadurch genommen wurde, daß drei Sicherheitswachebeamte um etwa 4 Uhr früh bei ihm erschienen, und zwar ausgestattet sowohl mit dem Formular 43/I als auch mit dem Formular 44/II zu {Verwaltungsstrafgesetz 1991 § 53, § 53 VStG}, also in der offenkundigen Absicht, den Bf. in das Polizeikommissariat mitzunehmen, wenn er nicht der Aufforderung zum sofortigen Strafantritt in der Weise nachkommt, daß er sich in Begleitung der Sicherheitswacheorgane zum Polizeikommissariat begibt. Dazu kommt die Gewaltanwendung beim Öffnen der Eingangstüre, das sich auch aus dem Vorbringen der bel. Beh. entnehmen läßt, daß durch kräftiges Rütteln der Tür der Riegel zu Boden gefallen und die Tür aufgegangen sei. Der vom Bf. geschilderte Verlauf der Amtshandlung ist schon insoweit, als er von der bel. Beh. zugegeben wird, einer Verhaftung gleichzustellen. Der Bf. war vom Beginn der von den Sicherheitswachebeamten am 2. September 1969 um etwa 4 Uhr früh unternommenen Amtshandlung an in seiner Bewegungsfreiheit beschränkt.

Daran ändert auch nichts, daß der Bf. die Fortsetzung des auf ihn ausgeübten Zwanges durch Zahlung des Betrages von 720 S abwenden konnte. Der Bf. ist daher durch die Amtshandlung in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit (Art. 8 StGG) verletzt worden.

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