V1/70 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Punkt b) des Erlasses des BM für Handel, Gewerbe und Industrie vom 29. Mai 1968, Z 186.118-III/18-68, welcher lautet: "b) daß über diese Personen eine Arreststrafe von nicht weniger als einer Woche Dauer verhängt wird. Von dieser Arreststrafe darf nur bei Vorliegen von außergewöhnlich triftigen mildernden Umständen (§ 19 VStG 1950) abgegangen werden." wird als gesetzwidrig aufgehoben.
Durch die in Prüfung stehende Anordnung wird für alle Fälle einer solchen Verwaltungsübertretung die in der Anordnung vorgesehene Mindeststrafe normiert. Der Umstand, daß die Norm in die Form einer Anordnung an die Behörde gekleidet ist, unterscheidet sie nicht von den in gleicher Weise geformten imperativen Gesetzesbestimmungen, etwa des {Kraftfahrgesetz 1967 § 134, § 134 KFG 1967} und des § 19 VStG 1950. Es wird dadurch die Rechtsstellung der Personen, die gegen die Vorschriften des § 64 Abs. 1 KFG 1967 verstoßen, unmittelbar gestaltet. Es zeigt sich also, daß der in Prüfung stehende Punkt b) seinem Inhalt nach nicht nur an Verwaltungsorgane, sondern auch an die eines Verstoßes gegen {Kraftfahrgesetz 1967 § 64, § 64 Abs. 1 KFG 1967} beschuldigten Personen gerichtet ist, also eine Rechtsverordnung darstellt. Dabei ist der unmittelbar der Allgemeinheit bindende Inhalt der Norm für ihre Qualifikation als Rechtsverordnung maßgeblich (vgl. Slg. 2999/1956) ; die Nichtverlautbarung im BGBl. hat keinen Einfluß auf diese Wertung (vgl. Slg. 1692/1948) .
Die generelle Anordnung einer Mindeststrafe schließt es aus, daß die Behörde den vom Gesetzgeber festgesetzten Strafrahmen ausschöpfen kann. Es ist ihr nach der in Prüfung stehenden Anordnung nur gestattet, "bei Vorliegen von außergewöhnlichen triftigen mildernden Umständen" (§ 19 VStG 1950) von einer Arreststrafe von nicht weniger als einer Woche Dauer abzugehen. Damit wird die Möglichkeit ausgeschlossen, in anderen Fällen eine geringere Arreststrafe oder eine Geldstrafe zu verhängen, auch wenn es i. S. des § 19 VStG 1950 bei Berücksichtigung mildernder Umstände (die nicht als außergewöhnlich triftige zu werten sind) oder der Vermögensverhältnisse und Familienverhältnisse des Beschuldigten gerechtfertigt wäre. Die Regelung der in Prüfung stehenden Anordnung verstößt deshalb gegen {Kraftfahrgesetz 1967 § 134, § 134 KFG 1967} im Zusammenhang mit § 19 VStG 1950; sie hat einen gesetzändernden Inhalt. Durch {Bundes-Verfassungsgesetz Art 18, Art. 18 Abs. 2 B-VG} ist aber ein gesetzänderndes Verordnungsrecht ausgeschlossen (vgl. die ständige Rechtsprechung seit dem Erk. Slg. 176/1923) . Die in Prüfung stehende Anordnung ist somit ihrem Inhalt nach gesetzwidrig.