JudikaturVfGH

KII-1/70 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
06. Oktober 1970

Die Erlassung von Gesetzen zur Verhinderung eines die öffentliche Ordnung störenden Baustellenlärmes fällt, soweit es sich um Bauführungen handelt, die von den Bauordnungen erfaßt werden, gemäß {Bundes-Verfassungsgesetz Art 15, Art. 15 Abs. 1 B-VG} in die Zuständigkeit der Länder.

Die Kompetenzverteilungsvorschriften des B-VG kennen zwar keinen Kompetenzbegriff "Bauwesen einschließlich der Baupolizei" . Die Angelegenheiten des Bauwesens einschließlich der Baupolizei werden nämlich durch {Bundes-Verfassungsgesetz Art 15, Art. 15 Abs. 1 B-VG} erfaßt (vgl. z. B. Slg. 2005/1950, 2685/1954, 6011/1969, 6060/1969) . Trotzdem läßt sich aus diesem Begriff die hier zu entscheidende Frage (Entwurf eines Baulärmgesetzes) lösen.

Bereits bei Mayrhofer, Handbuch für den politischen Verwaltungsdienst, Wien 1897, 3. Band S. 981 f. wird darauf hingewiesen, daß die Bauordnungen Bestimmungen über die Herstellung der Gerüste, die Überdachung der Trottoirs, das Schuttabladen, das Kalklöschen, die Stützung der Nachbarmauern usw. enthielten, "welche alle auf die Sicherheit der Arbeitenden und Passanten und auf tunlichste Vermeidung von Störungen für die Umgebung" abzielten.

Es muß angenommen werden, daß der Verfassungsgesetzgeber im Jahre 1925, wenn er derartige baupolizeiliche Regelungen aus dem Art. 15 Abs. 1 B-VG hätte allgemein herausnehmen wollen, dies im Rahmen der enumerierenden Kompetenzbestimmungen zum Ausdruck gebracht hätte, sowie er bestimmte Teilbereiche des Bauwesens auch tatsächlich herausgenommen hat (vgl. z. B. {Bundes-Verfassungsgesetz Art 10, Art. 10 Abs. 1 Z 13 B-VG} hinsichtlich der Bundestheater oder Art. 15 Abs. 5 hinsichtlich der bundeseigenen Gebäude, die öffentlichen Zwecken dienen) . Es ist daher davon auszugehen, daß der Bundesverfassungsgesetzgeber im Jahre 1925 auch den Teilbereich der Baupolizei, der durch die zitierten baurechtlichen Bestimmungen seine Ausprägung erfahren hatte, durch {Bundes-Verfassungsgesetz Art 15, Art. 15 Abs. 1 B-VG} in der Gesetzgebungskompetenz und Vollziehungskompetenz der Länder belassen hat. Dieser Teilbereich umfaßt gesetzliche Regelungen betreffend die Unterbindung von Störungen der Allgemeinheit (der öffentlichen Ordnung) durch den Baustellenbetrieb.

Daher ist auch die Regelung der §§ 1 bis 4 des Entwurfes dem {Bundes-Verfassungsgesetz Art 15, Art. 15 Abs. 1 B-VG} zu unterstellen.

Daß gegen den Baustellenbetriebslärm damals im Jahre 1925 besondere Vorschriften nicht bestanden, verschlägt nichts. Die §§ 1 bis 4 des Entwurfes gehören ihrem Inhalt nach systematisch zu dem umschriebenen Teilbereich der Baupolizei; die Neuregelung ist daher zulässig (vgl. z. B. Slg. 3670/1960, 4117/1961, 5748/1968) .

Der VfGH hält es für zweckmäßig, zu betonen, daß dieses Ergebnis dem Bund nicht verbietet, auf Grund seiner Kompetenz und beschränkt auf diese (z. B. "Angelegenheiten des Gewerbes" oder "Arbeiterschutz und Angestelltenschutz") nach anderen Gesichtspunkten den Betrieb von Maschinen in bezug auf Lärmausstrahlung einer Regelung zu unterwerfen (vgl. Slg. 5024/1965) .

Maßnahmen des Staates zum Schutz gegen Gefahren, die der öffentlichen Ordnung drohen, sind Polizeimaßnahmen. Polizeimaßnahmen gehören zu jener Verwaltungsmaterie, der die zu bekämpfende Gefahr zuzuordnen ist, d. i. jene Materie, die den Schutz des bedrohten Teiles der öffentlichen Ordnung mitumfaßt. Der Kompetenztatbestand "Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit" umfaßt nach der Rechtsprechung des VfGH die Sicherheitspolizei. Dazu gehören jene - prohibitiven - Maßnahmen, die der Abwehr und der Unterdrückung der allgemeinen Gefahren für Leben, Gesundheit, Sicherheit, öffentliche Ruhe und Ordnung im Inneren dienen. Eine Gefahr ist dann eine allgemeine, wenn sie keiner bestimmten Verwaltungsmaterie (außer der Sicherheitspolizei) zugeordnet werden kann, wenn sie nicht nur innerhalb einer bestimmten Verwaltungsmaterie auftritt - was nicht ausschließt, daß im einzelnen Fall die Abwehr aus einem Anlaß erforderlich werden kann, der einer bestimmten Verwaltungsmaterie zuzuzählen ist. Dieser Sicherheitspolizei, die als allgemeine Sicherheitspolizei ({Bundes-Verfassungsgesetz Art 10, Art. 10 Abs. 1 Z 7 B-VG}) und in einem Teilbereich als örtliche Sicherheitspolizei (Art. 15 Abs. 2 und {Bundes-Verfassungsgesetz Art 118, Art. 118 Abs. 3 Z 3 B-VG}) in Erscheinung tritt, steht die Verwaltungspolizei gegenüber.

Darunter ist die Setzung und Vollziehung von Vorschriften der besonderen Polizei einzelner Verwaltungsgebiete zu verstehen, die nicht ausschließlich polizeilichen Charakter haben, sondern darüber hinaus und sogar vorzugsweise den Zweck der Förderung des Wohles des Einzelnen und des Gemeinschaftslebens verfolgen, mögen sie auch vielfach geeignet sein, sonst allenfalls zu befürchtende Störungen der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit hintanzuhalten. Zum Wesen der Verwaltungspolizei gehört es demnach, daß sie nicht bloß prohibitiv, sondern auch konstruktiv ist. Die prohibitive Wirkung kann sich im Gegensatz zur Sicherheitspolizei nur gegen besondere, der konkreten Verwaltungsmaterie zuzuordnende Gefahren wenden. Es kann dies eine Gefahr sein, die nicht nur auf diese Verwaltungsmaterie beschränkt ist, jedoch durch den Gegenstand der verwaltungspolizeilichen Regelung eine Spezifikation erfährt, die sie zu einer für die Materie allein typischen Abart macht (vgl. Slg. 3201/1957, 3650/1959, 5910/1969) .

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