Der Wahlanfechtung (Nationalratswahl 1970) wird teilweise stattgegeben. (Veröffentlichung nicht genügend unterstützter Wahlvorschläge.) Nach § 52 Abs. 1 der NRWO 1962 hat die Kreiswahlbehörde unverzüglich zu überprüfen, ob die eingelangten Wahlvorschläge von mindestens je 200 Wahlberechtigten des Wahlkreises - oder wenigstens drei Mitgliedern des Nationalrates - unterschrieben sind. § 52 Abs. 2 bestimmt, daß ein Wahlvorschlag, der nicht die erforderliche Zahl von Unterschriften nebst den im § 49 Abs. 2 geforderten Daten aufweist, als nicht eingebracht gilt. Die Überprüfung der Echtheit der Unterschriften gehört zu den Aufgaben der Kreiswahlbehörde. Die Voraussetzungen für eine solche Prüfung dürfen aber nicht so eng gezogen werden, daß die Prüfungspflicht praktisch aufgehoben wird.
Dies gilt vor allem für die Meinung der Hauptwahlbehörde, die Kreiswahlbehörden dürften nur in den Fällen eines begründeten Verdachtes die Echtheit der Unterschriften prüfen. Ohne das Vorliegen eines solchen begründeten Verdachtes qualifiziert die Hauptwahlbehörde eine Echtheitsprüfung als eine im Gesetz nicht gedeckte Wahlbehinderung. In Fortführung dieses Gedankens kommt sie sogar zur Unbeachtlichkeit einer von dritter Seite gemachten Mitteilung über die Unechtheit einer Unterschrift, weil dies noch kein Nachweis sei. Zu der Bemerkung der Hauptwahlbehörde, daß die Prüfung der Echtheit der Unterschriften eine Wahlbehinderung sein könnte, ist zu sagen, daß sich der Grundsatz des geheimen Wahlrechtes nur auf die Stimmenabgabe, nicht jedoch auf die Wahlwerbung bezieht, die ihrem Wesen nach öffentlich ist (Slg. 6078/1969) . Es ist allerdings richtig, daß das Gesetz nicht ausdrücklich die Prüfung der Echtheit der Unterschriften anordnet und keine Vorschriften darüber enthält, wie sie vollzogen werden soll. Es soll auch nicht übersehen werden, daß die Frist, die einer Kreiswahlbehörde für die Prüfung zugemessen ist, sehr kurz ist. Diese Umstände sind aber nicht geeignet, eine Auslegung mit dem Ergebnis zu rechtfertigen, der Vorschrift des {Nationalrats-Wahlordnung 1971 § 48, § 48 Abs. 2 NRWO} 1970 eine Bedeutung überhaupt zu versagen.
Bestimmungen, daß Wahlvorschläge eine Mindestzahl von Unterschriften der Wahlberechtigten aufweisen müssen, verfolgen den Zweck, im Interesse der Vereinfachung des Wahlverfahrens und zur Vermeidung einer unnötigen Stimmenzersplitterung solche Gruppen von der Wahlwerbung auszuschließen, die nicht einmal die geforderte Unterschriftenanzahl aufbringen können und daher von vornherein gar keine Aussicht auf Erlangung eines Mandates haben (Slg. 2758/1954 . Dieser Zweck der Vorschrift wird von der Hauptwahlbehörde verkannt, wenn sie es für rechtlich bedeutsam hält, ob eine wahlwerbende Partei im Wahlverfahren Stimmen in einer Anzahl auf sich vereinigt, die die Anzahl der vom Gesetz geforderten Unterschriften übersteigt.
Bei der Entscheidung darüber, ob eine Rechtswidrigkeit gegeben ist, ist davon auszugehen, daß es sich bei den Bestimmungen der NRWO, wie auch sonst bei Wahlverfahrensvorschriften, um Formalvorschriften handelt, durch die die Wahlbehörden strenge gebunden sind, und daß sie strikte nach ihrem Wortlaut ausgelegt werden müssen, daß daher für Ermessensentscheidungen kein Raum gegeben ist und nicht gegeben sein darf, soll nicht widerspruchsvollen Entscheidungen und damit der Willkür Tür und Tor geöffnet werden (vgl. Slg. 1904/1950, 2157/1951, 4168/1962) . In seinem Erk. Slg. 5861/1968 hat der VfGH an diesen Grundsätzen festgehalten und hinzugefügt, daß sie auch für die Einbringung der Wahlvorschläge und für die formale Gestaltung des Abstimmungsverfahrens und Ermittlungsverfahrens maßgebend seien.
Das Gesetz trifft eine Unterscheidung zwischen Gruppierungen, die an der Wahl teilzunehmen berechtigt sind, und solchen, die nicht hiezu berechtigt sind. Entscheidend ist daher, ob nur solche Parteien an der Wahl teilgenommen haben, die hiezu nach der Vorschrift des {Nationalrats-Wahlordnung 1971 § 48, § 48 Abs. 2 NRWO} berechtigt waren. Es stellt eine Rechtswidrigkeit dar, wenn auch andere Parteien an der Wahl teilgenommen haben.
Eine Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens ist immer schon dann gegeben, wenn das Wahlverfahren einen mit der Anordnung des Gesetzes nicht übereinstimmenden Verlauf genommen hat. Es ist belanglos, ob eine Wahlbehörde eine ihr vom Gesetz aufgetragene Aufgabe nicht erkannt oder aus welchen Gründen immer nicht durchgeführt hat. Es erübrigen sich daher Feststellungen über die für die Rechtswidrigkeit verantwortliche Instanz.
Im Erk. Slg. 256/1923, auf welches sich dann spätere Erk. beriefen, hat der VfGH ausgesprochen, die Veröffentlichung eines nicht korrekten Wahlvorschlages hätte jedenfalls keinen wesentlichen Einfluß auf das Ergebnis der Wahl i. S. des § 11 Abs. 1 des Gesetzes vom 6. Feber 1919, StGBl. 90, ausgeübt, die Zahl der Unterschriften auf dem kundgemachten Wahlvorschlag sei dem Wähler nicht bekannt und nicht von Wichtigkeit, die Wähler ließen sich bei der Wahl von ihrer Meinung zu einer Partei von anderen Rücksichten leiten. In diesem Erk. hat der VfGH nur untersucht, ob eine in einem nicht genügend unterstützten Wahlvorschlag gelegene Rechtswidrigkeit von Einfluß auf die Willensbildung des Wählers gewesen war. Damals und heute ist aber dem VfGH vom Gesetze die Aufgabe übertragen, festzustellen ob die Rechtswidrigkeit von Einfluß auf das Wahlergebnis ist. Die seinerzeitigen Überlegungen des VfGH können demnach für die Entscheidung der vorliegenden Rechtssache nicht herangezogen werden.
Bei der Beurteilung der Frage, wann eine Rechtswidrigkeit von Einfluß auf das Wahlergebnis ist, hält der VfGH an seiner ständigen Rechtsprechung fest, daß es für die Aufhebung einer Wahl genügen muß, daß die Rechtswidrigkeit auf das Wahlergebnis von Einfluß sein konnte (VfGH Slg. 888/1927, 1904/1950, 1915/1950) . Es kann nun die Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden, daß, wäre die Nationaldemokratische Partei (NDP) zur Wahl nicht zugelassen worden, die Wähler, die für diese Partei ihre Stimme abgegeben haben, für die Freiheitliche Partei in einer solchen Anzahl gestimmt hätten, daß die Freiheitliche Partei im zweiten Ermittlungsverfahren ein Reststimmenmandat erlangt hätte. Wegen des Zusammenhanges zwischen dem ersten und dem zweiten Ermittlungsverfahren ist eine isolierte Betrachtung des zweiten Ermittlungsverfahrens nicht möglich, denn die Zahl der jeder Partei verbliebenen Reststimmen kann erst nach Durchführung des ersten Ermittlungsverfahrens festgestellt werden.
Eine geschlossene und unauflösbare Kette der Wahlverfahrensabschnitte führt von der rechtswidrigen Kundmachung der drei Wahlvorschläge der NDP durch die Kreiswahlbehörden bis zur Mandatsverteilung im zweiten Ermittlungsverfahren.
Auch die unrichtige Zurechnung von bloß einer Stimme kann, betrachtet man sie, wie es geboten ist, im Zusammenhang mit der festgestellten Rechtswidrigkeit, von Einfluß auf das Wahlergebnis sein.
Die Wahlanfechtung enthält auch Ausführungen über die Verfassungwidrigkeit der NRWO 1970. Es wird gesagt, daß sie nicht den Grundsatz des gleichen Wahlrechtes i. S. des Art. 26 Abs. 1 B-VG verwirkliche und weiterhin auch nicht den Grundsatz des Verhältniswahlrechtes. Der VfGH sah sich nicht veranlaßt, diese Anregung aufzugreifen. Zu den Überlegungen in dem Antrag hat der VfGH schon des öfteren Stellung genommen. Zum Grundsatz des gleichen Wahlrechtes wird gesagt, daß nicht der Zählwert, sondern der Erfolgswert der Stimme von wirklicher Bedeutung sei. Die Auffassung, der Grundsatz der Gleichheit des Wahlrechtes habe den Inhalt, daß jeder Stimme der gleiche Erfolgswert zukommen müsse, hat der VfGH in den Erk. Slg. 1381/1931 und 3653/1959 abgelehnt. Der VfGH sieht keine Veranlassung, von seiner Beurteilung abzugehen und sieht auch keinen Grund, das hier zu wiederholen, was hiezu in den Vorerkenntnissen eingehend dargelegt worden ist. Die Ausführungen in der Wahlanfechtung über die Schaffung von Wahlkreisen berücksichtigen nicht, daß die Wahlkreise im Art. 26 B-VG ausdrücklich angeordnet sind. Daß unter "Wahlkreisen" auch die Wahlkreisverbände zu verstehen sind, wurde in den Vorerkenntnissen ebenfalls bereits gesagt. Die Grundsätze der Verhältniswahl, von denen {Bundes-Verfassungsgesetz Art 26, Art. 26 Abs. 1 B-VG} spricht, lassen eine verschiedene Gestaltung des Wahlverfahrens zu. Von der Regelung dieser Materie durch die NRWO kann in ihrer Ganzheit nicht gesagt werden, daß sie den Grundsätzen einer Verhältniswahl widerspricht und verfassungswidrig wäre.
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