B191/69 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Der Kompetenzbegriff "Abgabenwesen" umfaßt nicht das Strafrechtswesen in Abgabenangelegenheiten. Dies ergibt sich aus dem durch {Bundes-Verfassungsgesetz Art 13, Art. 13 B-VG} nicht veränderten Art. 10 Abs. 1 Z 6 B-VG, wonach das Strafrechtswesen ein eigener Kompetenztatbestand ist. Der Begriff des Strafrechtswesens umfaßt nun sowohl das (materielle) Strafrecht, also auch das Strafverfahren, und zwar sowohl das von den gerichtlichen Organen als auch das von Verwaltungsorganen zu vollziehende (vgl. Slg. 5649/1967) . Wenn auch die Verwaltungsstrafrechtliche Kompetenz akzessorischer Natur ist, so berührt die formale Bindung an die Materie nicht die Eigenständigkeit des Kompetenztatbestandes.
Aus dem B-VG ergibt sich kein Anhaltspunkt dafür, daß der in Art. 111 verwendete Begriff des Abgabenwesens einen anderen Umfang hätte als der Kompetenzbegriff des Art. 13 und abweichend hievon auch die Verwaltungsstrafsachen umfassen würde. Infolgedessen kann aus Art. 111 B-VG nicht der Schluß gezogen werden, daß die für die oberinstanzliche Entscheidung in Angelegenheiten des Abgabenwesens zuständige besondere Kollegialbehörde kraft dieser Verfassungsbestimmung auch zur Entscheidung in Abgabenstrafsachen berufen wäre. Diese Rechtsauffassung wird durch die Regelung in Art. 11 Abs. 5 und {Bundes-Verfassungsgesetz Art 110, Art. 110 B-VG} unterstützt, wonach die Rechtsprechung oberster Instanz im Verfahren vor den Verwaltungsbehörden wegen Verwaltungsübertretungen Verwaltungsstrafsenaten zusteht und der beim Magistrat der Bundeshauptstadt Wien zu bildende Verwaltungsstrafsenat sowohl die Rechtsprechung oberster Instanz in Verwaltungsstrafsachen des selbständigen Wirkungsbereiches des Landes als auch in Verwaltungsstrafsachen der mittelbaren Bundesverwaltung zu besorgen hat. Die auch daraus ersichtliche Ausnahme der Verwaltungsstrafsachen von der Regelung des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 111, Art. 111 B-VG} wird nicht dadurch berührt, daß die Bestimmungen über die Verwaltungsstrafsenate gemäß Art. II § 7 des Bundesverfassungsgesetzes vom 7. Dezember 1929, betreffend Übergangsbestimmungen zur zweiten Bundes-Verfassungsnovelle, BGBl. 393/1929, noch nicht in Wirksamkeit getreten sind.
Die Handhabung des Verwaltungsstrafrechtes gehört nicht in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinden.
Kein Entzug des gesetzlichen Richters durch eine Berufungsentscheidung der Wiener Landesregierung über einen in einem Verwaltungsstrafverfahren gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.