JudikaturVfGH

B10/69 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
02. Oktober 1969

Die Sozialversicherungsbeiträge fließen den Versicherungsträgern zu, die gemäß {Allgemeines Sozialversicherungsgesetz § 32, § 32 ASVG} Körperschaften des öffentlichen Rechtes sind und Rechtspersönlichkeit haben. Da von einer Abgabe i. S. der Finanzverfassung nur gesprochen werden kann, wenn der Ertrag einer Geldleistung dem Bund oder einer anderen Gebietskörperschaft (Land, Gemeinde) zufließt, sind die Sozialversicherungsbeiträge nicht Abgaben. Sie können es auch dann nicht sein, wenn sie überhöht wären.

Der VfGH hat keine Bedenken, daß die Beitragssätze in § 51 Abs. 1 Z 2 lit. a und b ASVG auf einer unsachlichen Differenzierung beruhten.

Es trifft zwar zu, daß der Gesetzgeber für verschiedene Jahre von den an die Unfallversicherung zu leistenden Beiträgen Teile zu Gunsten anderer Versicherungsträger abzweigte. Solche Regelungen fanden sich schon in der 3. Novelle zum Sozialversicherungs-Überleitungsgesetz, BGBl. Nr. 114/1949 (Art. I Z 19) , in der 7. Novelle zum Sozialversicherungs-ÜberleitungsG BGBl. Nr. 190/1951 (Art. I Z 7) , und im Bundesgesetz vom 30. Juni 1955, BGBl. Nr. 137/1955 (§ 2) . Aber auch unter der Herrschaft des ASVG war für die Jahre 1956 bis 1960 eine derartige Regelung vorgesehen (§ 51 Abs. 1 Z 2) . In späteren Jahren wurde die Überweisung eines festen Betrages aus Mitteln der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt an andere Versicherungsträger vorgesehen, so für 1964 in der 13. Novelle zum ASVG, BGBl. Nr. 320/1963 (Art. IV Abs. 3) , für 1965 in der 14. Novelle zum ASVG, BGBl. Nr. 301/1964 (Art. IV Abs. 10) , für 1966 im Pensionsanpassungsgesetz, BGBl. Nr. 96/1965 (Art. V Abs. 1 , für 1968 in der 21. Novelle zum ASVG, BGBl. Nr. 6/1968 (Art IV Abs. 2) , und für 1969 und 1970 im Bundesgesetz vom 27. Juni 1968, BGBl. Nr. 303/1968 (Art. I Abs. 1) .

Es gibt allerdings auch eine gegenteilige Regelung, der zufolge die Abzweigung eines Betrages aus Mitteln der Angestelltenversicherungsanstalt zu Gunsten der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt vorgesehen ist (3. Novelle zum Sozialversicherungs-ÜberleitungsG 1953, BGBl. Nr. 165/1954, Art. I Z. 4) , wie es auch eine Zuwendung von Mitteln zwischen anderen Zweigen der Sozialversicherung gibt (Art. I Z 5 des gleichen Gesetzes) .

Im Bericht des Ausschusses für soziale Verwaltung über die Regierungsvorlage der 3. Novelle zum Sozialversicherungs- ÜberleitungsG (895 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates, V. GP, vom 17. Mai 1949) wird die Abfuhr von Teilen des Unfallversicherungsbeitrages an andere Versicherungsträger als eine "dem richtigen Grundsatz eines finanziellen Ausgleichs innerhalb des Gesamtsozialversicherungsbeitrages entsprechende Maßnahme" bezeichnet. Und in der Verhandlung des Nationalrates über die 3. Novelle zum Sozialversicherungs-ÜberleitungsG 1953 (Stenographisches Protokoll über die 43. Sitzung des Nationalrates, VII. GP, vom 30. Juni 1954, Seite 1853) wurde von einem "internen Lastenausgleich zwischen den Sozialversicherungsinstituten" gesprochen.

Aus der vorstehenden Übersicht ergibt sich nun, daß durch längere Zeiträume die Gebarung in der Unfallversicherung im Vergleich zu anderen Versicherungszweigen finanziell günstig war und daß es deshalb möglich war, Mittel der Unfallversicherung für andere Versicherungszweige zu verwenden.

Der VfGH kann jedoch in der Beibehaltung des Beitragssatzes in der Unfallversicherung, der zu dieser finanziell günstigen Gebarung führte, keine sachlich ungerechtfertigte Regelung sehen. Die finanzielle Entwicklung der Unfallversicherung läßt sich nicht genau voraussehen. Es ist nicht unsachlich, solange sich ein Überschuß ergibt, diesen zur Herbeiführung eines gewissen finanziellen Ausgleichs innerhalb der Sozialversicherung zu verwenden. Die in {Allgemeines Sozialversicherungsgesetz § 51, § 51 ASVG} enthaltene Regelung der Beitragsleistung, wonach in der Unfallversicherung der gesamte Beitrag auf den Dienstgeber, in den anderen Versicherungen jedoch ein Teil des Beitrages auf den Versicherten und ein Teil auf den Dienstgeber entfällt, macht einen solchen Ausgleich innerhalb der Sozialversicherung unter dem Gesichtspunkte des Verfassungsrechtes nicht unzulässig. Es wäre ja auch eine andere Aufteilung der Beiträge auf den Versicherten und den Dienstgeber möglich. Wenn der Gesetzgeber, etwa aus dem Grunde, um eine Erhöhung des auf den Dienstgeber entfallenden Beitrages in anderen Versicherungen zu vermeiden, aus Mitteln der Unfallversicherung eine Überweisung an andere Versicherungen anordnet, verstößt dies nicht gegen den Gleichheitssatz.

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