JudikaturVfGH

KII-3/68 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
10. März 1969

Die Zuständigkeit zur Erlassung und Vollziehung von verwaltungsstrafgesetzlichen Bestimmungen gegen den Mißbrauch von Zeichen, Einrichtungen und Vorrichtungen, mit denen einer Gefährdung von Personen und Sachen begegnet werden soll, richtet sich nach der Verwaltungsmaterie, die für die Regelung solcher Zeichen, Einrichtungen und Vorrichtungen in Betracht kommt.

Auf allein in der Begründung des Antrages erwogene Einschränkungen des Gesetzentwurfes darf der VfGH nicht eingehen, weil diese Einschränkungen nicht in dem dem Antrag beigelegten Gesetzentwurf enthalten und daher nicht vom Antrag der Regierung erfaßt sind.

Aus der in Art. 10 Abs. 1 Z 6 B-VG enthaltenen Regelung, wonach von dem Kompetenzbegriff "Strafrechtswesen" ausgeschlossen sind die Angelegenheiten des "Verwaltungsstrafrechtes und Verwaltungsstrafverfahrens in Angelegenheiten, die in den selbständigen Wirkungsbereich der Länder fallen" , ist abzuleiten, daß sich die Zuständigkeit zur Erlassung und Vollziehung von Verwaltungsstrafbestimmungen nach der Zuständigkeit zur Regelung und Vollziehung der betreffenden Angelegenheit - des Verwaltungszweiges, auf den sich die Verwaltungsstrafbestimmungen beziehen - richtet, daß also die verwaltungsstrafrechtliche Kompetenz akzessorischer Natur ist. Diese formale Bindung an die Materie berührt aber nicht die Eigenständigkeit und den Inhalt des die Verwaltungsstrafbestimmungen regelnden Kompetenztatbestandes. Der Inhalt des Begriffes " Verwaltungsstrafrecht" ist der gleiche, ob nun die Kompetenz beim Bund oder bei den Ländern liegt.

Die in {Bundes-Verfassungsgesetz Art 11, Art. 11 Abs. 2 B-VG} geregelte Bedarfskompetenz des Bundes bezieht sich nicht auf die besonderen Bestimmungen des materiellen Verwaltungsstrafrechtes (d. i. die Normierung der Straftatbestände und der Strafdrohungen) .

Der Kompetenztatbestand "Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit" umfaßt nach der Rechtsprechung des VfGH die Sicherheitspolizei. Dazu gehören jene - prohibitiven - Maßnahmen, die der Abwehr und der Unterdrückung der allgemeinen Gefahren für das Leben, die Gesundheit, Sicherheit, öffentliche Ruhe und Ordnung im Inneren dienen. Eine Gefahr ist dann eine allgemeine, wenn sie keiner bestimmten Verwaltungsmaterie (außer der Sicherheitspolizei) zugeordnet werden kann, wenn sie nicht nur innerhalb einer bestimmten Verwaltungsmaterie auftritt - was nicht ausschließt, daß im einzelnen Fall die Abwehr aus einem Anlaß erforderlich werden kann, der einer bestimmten Verwaltungsmaterie zuzuzählen ist. Dieser Sicherheitspolizei, die als allgemeine Sicherheitspolizei ({Bundes-Verfassungsgesetz Art 10, Art. 10 Abs. 1 Z 7 B-VG}) und in einem Teilbereich als örtliche Sicherheitspolizei (Art. 15 Abs. 2 und {Bundes-Verfassungsgesetz Art 118, Art. 118 Abs. 3 Z 3 B-VG}) in Erscheinung tritt, steht die Verwaltungspolizei gegenüber.

Darunter ist die Setzung und Vollziehung von Vorschriften der besonderen Polizei einzelner Verwaltungsgebiete zu verstehen, die nicht ausschließlich polizeilichen Charakter haben, sondern darüber hinaus und sogar vorzugsweise den Zweck der Förderung des Wohles des einzelnen und des Gemeinschaftslebens verfolgen, mögen sie auch vielfach geeignet sein, sonst allenfalls zu befürchtende Störungen der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit hintanzuhalten. Zum Wesen der Verwaltungspolizei gehört es demnach, daß sie nicht bloß prohibitiv, sondern auch konstruktiv ist. Die prohibitive Wirkung kann sich im Gegensatz zur Sicherheitspolizei nur gegen besondere, der konkreten Verwaltungsmaterie zuzuordnende Gefahren wenden. Es kann dies eine Gefahr sein, die primär nur innerhalb dieser Verwaltungsmaterie existent wird. Es kann aber auch eine Gefahr sein, die nicht nur auf diese Verwaltungsmaterie beschränkt ist, jedoch durch den Gegenstand der verwaltungspolizeilichen Regelung eine Spezifikation erfährt, die sie zu einer für die Materie allein typischen Abart macht (vgl. Erk. Slg. 3201/1957) .

Ein Überblick über die Rechtsordnung läßt erkennen, daß Bestimmungen über die Abwehr von Gefahren aus dem Mißbrauch von Notzeichen, Hilfseinrichtungen und Hilfsvorrichtungen nicht nur bezüglich allgemeiner Gefahren in Betracht kommen, sondern auch bezüglich Gefahren, die im Rahmen besonderer Verwaltungszweige entstehen können. Als solche Verwaltungszweige sind beispielsweise zu nennen: die im B-VG angeführten Angelegenheiten des Waffenwesens, Munitionswesens und Sprengmittelwesens und des Schießwesens (Art. 10 Abs. 1 Z 7) , des Gewerbes und der Industrie (Art. 10 Abs. 1 Z 8) , des Verkehrswesens bezüglich der Eisenbahnen, der Schiffahrt und der Luftfahrt, des Kraftfahrwesens, der Strompolizei und Schiffahrtspolizei (Art. 10 Abs. 1 Z 9) , des Bergwesens, des Forstwesens, der Sicherheitsmaßnahmen auf dem Gebiet der Normalisierung und Typisierung elektrischer Anlagen und Einrichtungen (Art. 10 Abs. 1 Z 10) , der Straßenpolizei (Art. 10 Abs. 1 Z. 9, Art. 11 Abs. 1 Z 4 und Art. 15 Abs. 4) , des Elektrizitätswesens (Art. 12 Abs. 1 Z 7) ; aber auch Angelegenheiten, deren Gesetzgebung gemäß der Generalklausel des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 15, Art. 15 B-VG} den Ländern zusteht, wie jene des Gemeindesanitätsdienstes und des Rettungswesens, der Feuerpolizei, der Feuerwehren, der Aufzüge, soweit sie nicht dem Bund vorbehalten sind, u. a. m.

Aus diesem Überblick ist zu ersehen, daß Bestimmungen über die Abwehr von Gefahren aus dem Mißbrauch von Notzeichen, Hilfseinrichtungen und Hilfsvorrichtungen für Notfälle nicht ausschließlich dem Kompetenztatbestand der allgemeinen Sicherheitspolizei unterstellt werden können, sondern in weitem Umfang der Verwaltungspolizei auf den Gebieten zahlreicher Verwaltungsmaterien zuzurechnen sind.

Legaldefinitionen der in den Verwaltungsstraftatbeständen verwendeten Begriffe sind an sich sowohl im Bereich der Bundesgesetzgebung als auch der Landesgesetzgebung möglich. Sie sind nach der Kompetenz zur Erlassung und Vollziehung der Bestimmungen über die Tatbestände zu beurteilen.

Beurteilung der Vollzugsklausel eines Gesetzentwurfes.

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