JudikaturVfGH

KII-3/67 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
17. Oktober 1968

Die Regelung der Voraussetzungen für die Anerkennung und Aberkennung der Eigenschaft eines Gebietes als Kurort ist eine Angelegenheit des "Kurortewesens" gemäß {Bundes-Verfassungsgesetz Art 12, Art. 12 Abs. 1 Z 2 B-VG}.

{Bundes-Verfassungsgesetz Art 10, Art. 10 Abs. 1 Z 12 B-VG} überträgt dem Bund die Gesetzgebung und Vollziehung in Angelegenheiten des Gesundheitswesens, nimmt jedoch davon einige Angelegenheiten aus, und zwar zur Gänze die Angelegenheiten des Leichenwesens und Bestattungswesens sowie des Gemeindesanitätsdienstes und Rettungswesens, zum Teil (soweit es sich nicht um die sanitäre Aufsicht handelt) die Angelegenheiten der Heilanstalten und Pflegeanstalten, des Kurortewesens und der natürlichen Heilvorkommen. Diese sind als eigener Tatbestand in Art. 12 Abs. 1 Z 2 angeführt, jene fallen unter die Generalklausel des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 15, Art. 15 Abs. 1 B-VG}.

Die durch {Bundes-Verfassungsgesetz Art 10, Art. 10 Abs. 1 Z 12 B-VG} der Gesetzgebung und Vollziehung des Bundes übertragene "sanitäre Aufsicht hinsichtlich des Kurortewesens" ist ein komplexer Begriff. Wie der VfGH schon im Erk. Slg. 1990/1950 ausgeführt hat, setzt eine Aufsicht den Bestand eines Beziehungsobjektes voraus, dessen Tätigkeit oder Zustand den Gegenstand der Beaufsichtigung bildet. Dieses Beziehungsobjekt ist im vorliegenden Fall das Kurortewesen, d. h. daß sich die sanitäre Aufsicht auf Betätigungen und Zustände im Bereich des Kurortewesens erstreckt.

Wenn auch aus dem einer Materienbezeichnung angefügten Worte "wesen" in der Rechtsprechung des VfGH abgeleitet wird, daß damit das gesamte betreffende Verwaltungsgebiet aus der generellen Länderkompetenz herausgehoben ist, so ist damit doch nicht mehr umschrieben, als nach der durch die Rechtsordnung im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Kompetenzregelung gegebenen Ausprägung des Begriffes damals darunter fiel.

Es muß angenommen werden, daß der Bundes-Verfassungsgesetzgeber des Jahres 1920 unter sanitärer Aufsicht über die Heilanstalten und Pflegeanstalten lediglich das verstanden hat, was im Krankenanstaltengesetz damit bezeichnet war. Infolge der im selben Satzteil enthaltenen völlig gleichen Regelung gilt diese Annahme auch für das Kurortewesen. Demnach ist unter dem Kompetenztatbestand des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 10, Art. 10 Abs. 1 Z 12 B-VG} "sanitäre Aufsicht hinsichtlich des Kurortewesens" eine behördliche Überwachungstätigkeit zu verstehen, deren Ziel darin liegt, die Einhaltung der sich auf das Kurortewesen beziehenden sanitären Vorschriften durch die Normadressaten zu sichern. Dieses Aufsichtsziel ist in dem Begriff der "sanitären Aufsicht hinsichtlich des Kurortewesens" enthalten, also verfassungsgesetzlich verankert. Die Zuständigkeit des Bundes zur Gesetzgebung in diesen Angelegenheiten bezieht sich darauf, die Aufsichtsziele zu konkretisieren, die Aufsichtsbehörden zu bestimmen und die Aufsichtsmittel zu regeln. Als solche Aufsichtsmittel kommen jedenfalls die im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Kompetenzbestimmung im Krankenanstaltengesetz vorgesehenen Mittel in Betracht. Der Gesetzgeber ist aber nicht gehindert, im Rahmen der verfassungsrechtlichen Ordnung auch andere Aufsichtsmittel vorzusehen, soweit diese nicht über das zur Verwirklichung des verfassungsgesetzlich verankerten Aufsichtszieles erforderliche Maß hinausgehen. Eine Regelung des Beziehungsobjektes der sanitären Aufsicht, nämlich des Kurortewesens, ist aus dem Titel der "sanitären Aufsicht hinsichtlich des Kurortewesens" nicht möglich.

Die Regelung der Anerkennung eines Gebietes als Kurort ist eine Angelegenheit des Kurortewesens gemäß Art. 12 B-VG und nicht der sanitären Aufsicht gemäß {Bundes-Verfassungsgesetz Art 10, Art. 10 B-VG}. Daher ist die Regelung der Voraussetzungen für die Anerkennung eines Gebietes als Kurort und auch die Regelung der Mitwirkung in einem solchen Verfahren, wie sie in der Einräumung des Rechtes, eine Stellungnahme im Hinblick auf diese Voraussetzungen abzugeben, liegt, eine Angelegenheit des Kurortewesens. Der Bund kann die ihm für die Anerkennung eines Gebietes als Kurort notwendig erscheinenden Regelungen nur im Wege der Grundsatzgesetzgebung treffen. Es steht ihm jedoch nicht der Weg der Erlassung unmittelbar anwendbarer und vom Bund zu vollziehender bundesgesetzlicher Bestimmungen offen. Zur Sicherung der Rechtmäßigkeit der Vollziehung in den Angelegenheiten des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 12, Art. 12 B-VG} ist dem zuständigen BM durch {Bundes-Verfassungsgesetz Art 131, Art. 131 Abs. 1 Z 2 B-VG} die Beschwerdeberechtigung an den VwGH eingeräumt worden.

Die "sanitäre Aufsicht hinsichtlich des Kurortewesens" erfaßt nur das Beziehungsobjekt "Kurortewesen" und bezieht sich daher nur auf die als Angelegenheit des Kurortewesens gemäß {Bundes-Verfassungsgesetz Art 12, Art. 12 B-VG} erlassenen sanitären Vorschriften.

Es gibt sanitäre Vorschriften, die hinsichtlich des Kurortewesens auf Grund des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 12, Art. 12 B-VG} erlassen worden sind, und sanitäre Vorschriften, die von den Ländern in Angelegenheiten des Art. 15 B-VG erlassen worden sind. Die Aufsicht bezüglich der auf Grund des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 15, Art. 15 B-VG} erlassenen sanitären Vorschriften ist gemäß {Bundes-Verfassungsgesetz Art 20, Art. 20 B-VG} von den Vollziehungsorganen der Länder im Rahmen ihrer Leitungsbefugnis auszuüben.

Bestimmungen über die Überwachung der Kurorte durch den Amtsarzt der Bezirksverwaltungsbehörde (Besichtigungen, Zutritte, Einsichtnahmen, hygienische Untersuchungen) zu erlassen, ist der Gesetzgeber nach {Bundes-Verfassungsgesetz Art 10, Art. 10 B-VG} zuständig.

Die Befugnis, die Zurücknahme der Anerkennung eines Gebietes als Kurort zu beantragen, ist Teil der die Anerkennung eines Gebietes als Kurort betreffenden Regelung und kann als Angelegenheit des Kurortewesens nur gemäß {Bundes-Verfassungsgesetz Art 12, Art. 12 B-VG} normiert werden.

Die Zuständigkeit zur Erlassung von Verwaltungsstrafbestimmungen richtet sich nach der Zuständigkeit zur Regelung der betreffenden Angelegenheit - des Verwaltungszweiges, auf den sich die Verwaltungsstrafbestimmungen beziehen.

Die Zuständigkeit zur Regelung der sanitären Aufsicht schließt auch die Zuständigkeit zur Aufhebung diesbezüglicher Bestimmungen in sich.

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