B142/68 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Das Energiewirtschaftsgesetz und die 2. EinfV fallen, soweit ihr Inhalt sich auf die öffentliche Versorgung mit Energie in Form von Gas bezieht, unter die Kompetenztatbestände "Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie" ({Bundes-Verfassungsgesetz Art 10, Art. 10 Abs. 1 Z 8 B-VG}) bzw. "... sonstige Enteignung, soweit sie nicht Angelegenheiten betrifft, die in den selbständigen Wirkungsbereich der Länder fallen" ({Bundes-Verfassungsgesetz Art 10, Art. 10 Abs. 1 Z 6 B-VG}) .
Der Kompetenztatbestand "Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie" umfaßt nicht nur die Angelegenheiten, die in der Gewerbeordnung geregelt sind.
Handhabung des § 11 des EnWG in Verbindung mit Art. 4 der Zweiten Verordnung über die Einführung des Energiewirtschaftsrechts in der Ostmark, GBlÖ Nr. 18/1940.
Der mit der Einführung des EnWG im Lande Österreich durch die Verordnung DRGBl. I 1939 S. 83, GBlÖ Nr. 156/1939, am 15. Feber 1939 in Kraft gesetzte § 11 dieses Gesetzes wurde durch Art. 4 der 2. EinfV abgeändert. Abs. 1 blieb unberührt, an die Stelle des Abs. 2 traten die Bestimmungen des Art. 4, wonach auf die Durchführung von Enteignungsverfahren für Zwecke der öffentlichen Energieversorgung die Vorschriften des Eisenbahn-Enteignungsgesetzes, RGBl. Nr. 30/1878, i. d. F. des Art. 52 des Verwaltungsentlastungsgesetzes, BGBl. Nr. 277/1925, mit den in Art. 4 enthaltenen Sonderregelungen Anwendung finden. Soweit es sich um Enteignungen für Zwecke der öffentlichen Gasversorgung handelt, sind diese Bestimmungen auch heute geltendes Bundesrecht.
Gemäß den angeführten Bestimmungen hat der Durchführung des Enteignungsverfahrens die Feststellung der Zulässigkeit der Enteignung durch den Reichswirtschaftsminister (gemäß § 2 Abs. 2 des Behörden-Überleitungsgesetzes, StGBl. Nr. 94/1945, und § 1 des Bundesgesetzes, BGBl. Nr. 70/1966, durch den BM für Handel, Gewerbe und Industrie) voranzugehen. Die vom EnWG in Verbindung mit Art. 4 der 2. EinfV für eine Enteignung getroffene Regelung sieht somit zwei Phasen des Verfahrens vor: zunächst die Feststellung der Zulässigkeit der Enteignung durch den Minister und dann die Durchführung des eigentlichen Enteignungsverfahrens in erster Instanz durch den Landeshauptmann (Art. 4 Z. 1 der 2. EinfV in Verbindung mit § 4 des Behörden-ÜberleitungsG und {Bundes-Verfassungsgesetz Art 102, Art. 102 B-VG}) . In der ersten Phase des Verfahrens wird abschließend über die Frage entschieden, auf die sich die Feststellung nach § 11 Abs. 1 EnWG bezieht, d. i. ob eine öffentliche Energieversorgung vorliegt und inwieweit für deren Zwecke die Enteignung erforderlich ist. In dem anschließend durchzuführenden Enteignungsverfahren hat die Enteignungsbehörde näher über den Gegenstand und Umfang der Enteignung, über die Entschädigung, allenfalls über die Besitzeinweisung zu entscheiden, ist aber hiebei an die gemäß {Energiewirtschaftsgesetz § 11, § 11 Abs. 1 EnWG} getroffenen Feststellungen gebunden.
Gemäß {Energiewirtschaftsgesetz § 11, § 11 Abs. 1 EnWG} ist die Entziehung oder die Beschränkung von Grundeigentum oder Rechten am Grundeigentum im Wege der Enteignung vorgesehen. Darunter fällt denkmöglich auch die Einräumung von Dienstbarkeiten. Inhalt solcher Dienstbarkeiten? Öffentliche Energieversorgung liegt gemäß {Energiewirtschaftsgesetz § 2, § 2 Abs. 2 EnWG} vor, wenn ein Unternehmen oder Betrieb andere mit Gas versorgt oder Betriebe dieser Art verwaltet. Diese Legaldefinition stellt nur auf die Versorgung anderer ab. Es liegt daher öffentliche Energieversorgung schon vor, wenn auch nur ein anderer, also ein vom Lieferanten verschiedenes Rechtssubjekt versorgt wird.
Hat die in erster und einziger Instanz allein zuständige Behörde in der Sache entschieden, so ist das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter auch dann nicht verletzt, wenn die Entscheidung in einem Berufungsverfahren gefällt wurde.
Das Rechts-Überleitungsgesetz, StGBl. Nr. 6/1945, das die vorläufige Geltung ursprünglich reichsdeutscher Rechtsvorschriften regelt, ist als Verfassungsgesetz erlassen worden. Die Überleitung von in einem zentralistischen Staat erlassenen Vorschriften in das Rechtssystem des Bundesstaates nach den Grundsätzen des Übergangsgesetzes 1920 hat zur Folge, daß solche Vorschriften, soweit sie Materien regeln, die einerseits in die Kompetenz des Bundes, anderseits in die der Länder fallen, nach der Überleitung teils als Bundesgesetz, teils als Landesgesetz gelten. Daß eine solche Teilung einheitlicher Gesetze deren Bestimmungen in der Weise treffen kann, daß diese bei unteilbarem Wortlaut je nach der davon erfaßten Materie sowohl bundesgesetzlicher als auch landesgesetzlicher Natur sind, liegt in der Natur einer solchen Überleitung begründet.