B289/66 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Die Regelung des Art. IV Abs. 3 erster Satzteil der Einkommensteuernovelle 1965, BGBl. Nr. 202, daß die Bestimmungen des Art. I Z 5 erstmals bei der Veranlagung für das Kalenderjahr 1964 anzuwenden sind, ist grundsätzlich auf alle Veranlagungen für 1964 anzuwenden. Rechtskräftige Abgabenbescheide, die dem Art. I Z 5 (dem § 9 Abs. 1 Z 6 EStG 1953) entgegenstehen, sind aufzuheben und im neuen Verfahren ist über die im Gesetz neugeregelten Punkte zu entscheiden.
Wenn die Behörde zu Unrecht dem Gesetz einen gleichheitswidrigen Inhalt zumißt und der von ihr erlassene Bescheid einen solchen Inhalt verwirklicht, so wird durch den Bescheid das Gleichheitsgebot verletzt. Hat ein Bescheid einen solchen Inhalt, so ist es ohne Bedeutung, daß die Behörde bemüht war, eine richtige Entscheidung zu treffen.
Die Institution der Wiederaufnahme rechtskräftig abgeschlossener Verfahren, die sich bei allen Verfahrensgesetzen findet (§§ 69 ff. AVG 1950, §§ 165 ff. Finanzstrafgesetz, §§ 530 ff. ZPO und §§ 352 ff. StPO) , zeigt, daß die Unveränderlichkeit rechtskräftiger Entscheidungen nicht unverbrüchlich gilt. Im Umfange der Wiederaufnahmsgründe erhält das Prinzip der Rechtsrichtigkeit den Vorrang vor dem Prinzip der Rechtssicherheit. In einem weiten Umfang wird dies in der Bundesabgabenordnung bei der Regelung des Aufsichtsrechtes ({Bundesabgabenordnung § 299, § 299 BAO}) verwirklicht. Diese Regelung dient der Sicherung des öffentlichen Interesses an der Gleichmäßigkeit der Verwaltung, im besonderen der Sicherung der Interessen des Staatsschatzes und des Interesses an der Gleichmäßigkeit der Besteuerung, und nimmt durch ihren Inhalt der Rechtskraft von Abgabenbescheiden praktisch jede Bedeutung.
Durch die Ablehnung eines Wiederaufnahmeantrages (Begehren auf Beseitigung eines bereits ergangenen Bescheides) wird, da damit lediglich das Vorliegen von Wiederaufnahmsgründen verneint wird, das Eigentum nicht berührt.