B159/66 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Gesetzmäßigkeit der Wiederaufnahme des Verfahrens durch Erlasssung eines neuen Sachbescheides, der im Kopf die Bemerkung "Ber. gem. § 303/4 BAO" und in der Begründung den Satz "Die Berichtigung erfolgte auf Grund der Feststellungen der Betriebsprüfung gemäß § 303/4 BAO" enthält? Die Regelung des {Bundesabgabenordnung § 303, § 303 Abs. 4 BAO} enthält bezüglich der Wiederaufnahmsgründe eine Differenzierung gegenüber {Bundesabgabenordnung § 303, § 303 Abs. 1 BAO}.
Während die Wiederaufnahme auf Parteiantrag aus den Gründen des Abs. 1 lit. b nur dann möglich ist, wenn Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im abgeschlossenen Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten, ist eine Wiederaufnahme von Amts wegen aus dem Grund des Hervorkommens neuer Tatsachen oder Beweismittel nicht an das Freisein von einem Verschulden geknüpft.
Durch diese Regelung wird die Wiederaufnahme des Verfahrens an unterschiedliche Voraussetzungen gebunden, je nachdem es sich um ein Verfahren auf Parteiantrag oder von Amts wegen handelt. Der VfGH hat jedoch keine Bedenken dahingehend, daß diese Differenzierung sachlich nicht gerechtfertigt ist. Es ist davon auszugehen, daß die Position des Abgabepflichtigen und der Abgabenverwaltung im Abgabenverfahren eine verschiedene ist. Die Abgabenverwaltung ist zwar gehalten, von Amts wegen die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zu ermitteln, die für die Abgabepflicht und die Erhebung der Abgaben wesentlich sind (§§ 114 und 115 BAO) , ihre Tätigkeit ist aber weitgehend davon abhängig, daß der Abgabepflichtige seiner Verpflichtung zur Offenlegung aller für den Bestand und Umfang einer Abgabepflicht oder für die Erlangung abgabenrechtlicher Begünstigungen bedeutsamen Umstände vollständig und wahrheitsgemäß nachkommt ({Bundesabgabenordnung § 119, § 119 BAO}) . Wäre eine Wiederaufnahme von Amts wegen nur möglich, wenn neu hervorgekommene Tatsachen oder Beweismittel ohne Verschulden der Behörde im Verfahren nicht berücksichtigt worden sind, wäre die Behörde gezwungen, in allen Fällen umfassende Ermittlungen durchzuführen, bevor sie eine Abgabe vorschreibt, und dürfte nie auf Grund unbedenklich scheinender Erklärungen der Abgabepflichtigen einen Abgabenbescheid erlassen. Daß dies die Verwaltung vor kaum lösbare Probleme stellen würde, braucht nicht besonders begründet zu werden. Die Bedachtnahme darauf, einen unwirtschaftlichen Verwaltungsaufwand zu vermeiden, ist aber ein anzuerkennendes Motiv des Gesetzgebers. Es ist auch zu bedenken, daß die Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen nicht nur zugunsten des Abgabeberechtigten, sondern auch der Abgabepflichtigen möglich ist, und die verschiedene Regelung der Wiederaufnahmsgründe somit auch den Abgabepflichtigen zugute kommen kann.
Die Regelung der Frist gemäß {Bundesabgabenordnung § 304, § 304 BAO}, die im Vergleich zur Frist gemäß {Bundesabgabenordnung § 303, § 303 Abs. 2 BAO} sehr lang ist, ist nicht unsachlich. Gemäß {Bundesabgabenordnung § 307, § 307 Abs. 1 BAO} ist mit dem die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligenden oder verfügenden Bescheid unter gleichzeitiger Aufhebung des früheren Bescheides die das wiederaufgenommene Verfahren abschließende Sachentscheidung zu verbinden. Die Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen muß also zugleich mit der Sachentscheidung erfolgen. Voraussetzung für eine solche gemeinsame Entscheidung ist, daß alle für die Wiederaufnahme des Verfahrens und für die Sachentscheidung notwendigen Ermittlungen und Prüfungen bereits vorher durchgeführt werden. Es ist der Behörde zuzubilligen, daß sie hiefür einige Zeit benötigt, und zwar auch dann, wenn eine Betriebsprüfung die neuen Tatsachen hervorgebracht hat. Wenn die Partei den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens binnen Monatsfrist von dem Zeitpunkt an, in dem sie nachweislich von dem Wiederaufnahmsgrund Kenntnis erlangt hat, einzubringen hat, so braucht sie doch nur den Antrag zu stellen; die für die Entscheidung nötigen Erhebungen und Prüfungen sind nach diesem Zeitpunkt durchzuführen. Die Entscheidung über die Wiederaufnahme und die neue Sachentscheidung sind erst nach Abschluß der Ermittlungen zu fällen.
Die Voraussetzungen für den Abgabepflichtigen und für die Behörde sind somit nicht die gleichen, es muß deshalb auch die Regelung nicht die gleiche sein.
Der Behörde ist bei ihrer Entschließung, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß {Bundesabgabenordnung § 303, § 303 Abs. 4 BAO} ein gewisser Spielraum eingeräumt. Das bedeutet aber nicht, daß es in ihr Belieben gestellt wäre, ein Verfahren wiederaufzunehmen oder nicht. Die Behörde hat das ihr eingeräumte Ermessen vielmehr i. S. einer ordnungsgemäßen Führung der Verwaltung auszuüben. Der Abgabepflichtige hat wohl keinen subjektiven Rechtsanspruch auf das gesetzmäßige Tätigwerden der Behörde. Allein nimmt diese - sei es auf Anregung der Partei oder von Amts wegen - wahr, daß die Voraussetzungen für eine amtswegige Wiederaufnahme gegeben sind, hat sie, gleichgültig, ob zum Vorteil oder zum Nachteil des Abgabepflichtigen, die Wiederaufnahme zu verfügen. Damit ist Sinn und Grenze des eingeräumten Ermessens hinreichend bestimmt.
Soweit die Regelung jene Fälle betrifft, in denen die Wiederaufnahme eines Verfahrens von Amts wegen verfügt wird, kann der Umstand, daß darauf kein Rechtsanspruch des Abgabepflichtigen besteht, keine unsachliche Differenzierung bedeuten, denn in den Rechtswirkungen unterscheidet sich die Bewilligung der Wiederaufnahme auf Antrag nicht von der Verfügung der Wiederaufnahme; in beiden Fällen kann der das wiederaufgenommene Verfahren abschließende Bescheid sowohl zugunsten als auch zu ungunsten des Abgabepflichtigen von dem zugleich mit der Wiederaufnahme aufgehobenen früheren Bescheid abweichen (vgl. auch {Bundesabgabenordnung § 115, § 115 BAO}) und in beiden Fällen unterliegt der das wiederaufgenommene Verfahren abschließende Bescheid der vollen Berufung ({Bundesabgabenordnung § 251, § 251 BAO}) .
Soweit die Regelung aber jene Fälle betrifft, in denen die Verfügung der Wiederaufnahme eines Verfahrens von Amts wegen unterbleibt, kann das Fehlen eines subjektiven Rechtsanspruches des Abgabepflichtigen auf Verfügung der Wiederaufnahme dann keine Unsachlichkeit beinhalten, wenn das unterbliebene Verfahren nur zum Nachteil des Abgabepflichtigen hätte abgeschlossen werden können. In den Fällen, in denen das unterbliebene Verfahren nur zugunsten des Abgabepflichtigen hätte abgeschlossen werden können, liegt insofern keine unsachliche Regelung vor, als für diese Fälle dem Abgabepflichtigen die Möglichkeit der Antragstellung gemäß § 303 Abs. 1 und 2 BAO eingeräumt ist. Offen bleiben die Fälle, in denen das Verfahren nur zugunsten des Abgabepflichtigen wiederaufgenommen werden könnte, der Abgabepflichtige aber von den Wiederaufnahmsgründen keine Kenntnis erlangt hat. Das Fehlen eines subjektiven Rechtsanspruches des Abgabepflichtigen auf die Verfügung der Wiederaufnahme beinhaltet aber auch in diesen Fällen keine Unsachlichkeit und damit keine Gleichheitssatzwidrigkeit. Es liegt im Wesen eines amtswegigen Verfahrens, daß die subjektiven Rechte der Parteien zurücktreten. Die Behörde kann - wie ausgeführt - bei Vorliegen der Voraussetzungen für eine amtswegige Wiederaufnahme nicht nach ihrem Belieben vorgehen, sondern sie hat die Wiederaufnahme zu verfügen. Bei einer derartigen Vorbestimmtheit des Verhaltens der Behörde ist das Rechtsinstitut der Wiederaufnahme von Amts wegen nicht gleichheitssatzwidrig; es ist durch das Ziel, zu einer rechtmäßigen Entscheidung zu kommen, gerechtfertigt. Die Regelung wird nicht dadurch unsachlich, daß es nicht ausgeschlossen ist, daß die Behörde ihren Pflichten nicht nachkommen will.
Ein Bescheid über die Wiederaufnahme des Verfahrens enthält keine Sachentscheidung, durch ihn wird lediglich der Weg zu einer neuen Sachentscheidung eröffnet. Durch einen solchen Bescheid kann somit das Eigentumsrecht weder beschränkt noch entzogen werden, noch ist dadurch ein Eingriff in das Eigentumsrecht begrifflich überhaupt möglich. Erst die das wieder aufgenommene Verfahren abschließende Sachentscheidung kann in das Eigentumsrecht eingreifen.
Über die Zusammensetzung der Berufungssenate ist im {Bundesabgabenordnung § 263, § 263 BAO} hinsichtlich des dritten entsendeten Mitgliedes nur normiert, daß es der gesetzlichen Berufsvertretung des Berufungswerbers angehören soll; die Regelung ist keine zwingende.
Zum Umsatzsteuerrecht haben Lehre und Rechtsprechung den Grundsatz der Unteilbarkeit der Leistung entwickelt. Dieser besagt, daß ein bestimmter Wirtschaftsvorgang nach seiner überwiegenden Bedeutung unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung einheitlich zu beurteilen ist und nicht zum Zwecke einer günstigeren Umsatzbesteuerung in seine Bestandteile zerlegt werden darf. Zwischen dem Inhaber eines Sanatorium-Betriebes (Kuranstalt-Betriebes) und den Kurgästen besteht kein reines Bestandverhältnis, das Rechtsverhältnis hat aber jedenfalls auch einen mietrechtlichen Inhalt. Nach der Rechtsprechung kommt es bei solchen gemischten Verträgen, die einen einheitlichen Wirtschaftsvorgang zum Gegenstand haben, darauf an, in welcher Leistung das wirtschaftliche Schwergewicht liegt. Liegt dieses in der Vermietung einer Liegenschaft oder eines Liegenschaftsteiles, dann kommt die Befreiungsbestimmung des § 4 Abs. 1 Z 10 UStG 1959 zum Tragen. Liegt in der Vermietung dagegen nicht das wirtschaftliche Schwergewicht, dann kommt die Steuerbefreiung gemäß dieser Gesetzesstelle nicht in Betracht; es sind die für die wirtschaftlich überwiegenden Leistungen geltenden Umsatzsteuervorschriften auf den gesamten Vorgang einheitlich anzuwenden. Einer solchen Rechtsauffassung stehen die Bestimmungen des Umsatzsteuergesetzes nicht entgegen. Sie muß daher als denkmöglich bezeichnet werden. Das gleiche gilt auch für die mit einer Vermietung üblicherweise zusammenhängende Beheizung, auch wenn diese für sich betrachtet eine Lieferung oder sonstige Leistung von Wärme i. S. des § 4 Abs. 1 Z 5 UStG 1959 darstellen würde. Wird von dieser Rechtsansicht ausgegangen, so ist es auch denkmöglich, in dem Rechtsverhältnis zwischen dem Kuranstalt-Inhaber und seinen Kurgästen einen solchen einheitlichen Wirtschaftsvorgang mit - allerdings nicht überwiegenden - Bestandvertragselementen zu erblicken, in dem wegen der Urteilbarkeit der Leistung die Befreiungsbestimmungen des § 4 Abs. 1 Z 5 und 10 UStG 1959 nicht zur Anwendung kommen.