G12/66 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
§ 22 Abs. 2 lit. a und § 26 a des Salzburger Veranstaltungsgesetzes - Anlage zur Wiederverlautbarungskundmachung der Landesregierung vom 1. Dezember 1965, LGBl. für Slbg. Nr. 101 -, werden als verfassungswidrig aufgehoben.
§ 26 a bezeichnet einen Gesetzesinhalt als in den eigenen Wirkungsbereich fallend, der nicht zum eigenen Wirkungsbereich gehört. Daraus ergibt sich, daß § 26 a jedenfalls wegen dieser Bezeichnung verfassungswidrig ist.
§ 26 a widerspricht auch in Verbindung mit § 22 Abs. 2 lit. a der Vorschrift des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 118, Art. 118 Abs. 2 zweiter Satz B-VG}.
Die durch § 22 Abs. 2 lit. a zusammen mit lit. b gezogene Zuständigkeitsgrenze zwischen dem Bürgermeister einerseits und der Bezirksverwaltungsbehörde andererseits ist verfassungswidrig.
Dem Antrag, der VfGH wolle gemäß § 10 des WiederverlautbarungsG, BGBl. Nr. 114/1947, aussprechen, daß bei der Wiederverlautbarung des Slbg. VeranstaltungsG durch die Kundmachung der Slbg. Landesregierung vom 1. Dezember 1965, LGBl. Nr. 101, die Grenzen der durch § 2 des WiederverlautbarungsG erteilten Ermächtigung dadurch überschritten wurden, daß im § 12 die Worte "im Wirkungsbereich einer Bundespolizeibehörde aber bei dieser" ; im § 13 Abs. 2 der Klammerausdruck "die Bundespolizeibehörde" sowie die Worte "und hievon die Bezirksverwaltungsbehörde (die Bundespolizeibehörde überdies den Bürgermeister) zu verständigen" ; im § 14 Abs. 1 der Klammerausdruck "die Bundespolizeibehörde" ; sowie der gesamte § 14 Abs. 2 im Text des wiederverlautbarten Slbg. VeranstaltungsG 1965 beibehalten wurden, obgleich diese Bestimmungen mit 31. Dezember 1965 gemäß § 5 Abs. 1 der B-VG-Novelle 1962, BGBl. Nr. 205, außer Kraft getreten sind; gemäß § 10 Abs. 2 des WiederverlautbarungsG die unter I. angeführten Bestimmungen des wiederverlautbarten Slbg. VeranstaltungsG 1965 als gesetzwidrig aufheben, wird keine Folge gegeben.
Kein Widerspruch zu § 2 des LandeswiederverlautbarungsG, LGBl. Nr. 20/1948 (§§ 2 und 9 des WiederverlautbarungsG des Bundes) .
Wenn ein Bundesgesetz oder ein Landesgesetz Angelegenheiten regelt, welche in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinden fallen, so muß die zuständige Gesetzgebung ({Bundes-Verfassungsgesetz Art 115, Art. 115 Abs. 2 zweiter Satz B-VG}) diese Angelegenheit als solche des eigenen Wirkungsbereiches bezeichnen ({Bundes-Verfassungsgesetz Art 118, Art. 118 Abs. 2 zweiter Satz B-VG}) .
Dies bedingt, daß bei der Erlassung eines jeden Bundesgesetzes und eines jeden Landesgesetzes vom zuständigen Gesetzgeber geprüft werden muß, ob und inwieweit die im Gesetz geregelten Angelegenheiten solche des eigenen Wirkungsbereiches sind oder nicht sind.
Diese Prüfung muß in Anwendung der den eigenen Wirkungsbereich abstrakt umschreibenden Normen des auf Grund der Vorschriften des Art. 118 Abs. 2 erster Satz und {Bundes-Verfassungsgesetz Art 118, Art. 118 Abs. 3 B-VG} erlassenen Gemeinderechts ({Bundes-Verfassungsgesetz Art 115, Art. 115 Abs. 2 erster Satz B-VG} und § 5 Abs. 1 B-VG-Novelle 1962) getroffen werden.
Daß das Gemeinderecht den eigenen Wirkungsbereich mit abstrakt formulierten Tatbeständen umschreiben muß und diese Umschreibung nicht auch dadurch vornehmen kann, daß es den Inhalt bestimmter gesetzlicher Regelungen als zum eigenen Wirkungsbereich gehörend bezeichnet, ergibt sich aus der Gegenüberstellung der Vorschriften in Art. 115 Abs. 2 erster Satz und Art. 118 Abs. 2 erster Satz zusammen mit {Bundes-Verfassungsgesetz Art 118, Art. 118 Abs. 3 B-VG} und § 5 Abs. 1 B-VG-Novelle 1962 einerseits und der Vorschriften in Art. 115 Abs. 2 zweiter Satz und {Bundes-Verfassungsgesetz Art 118, Art. 118 Abs. 2 zweiter Satz B-VG} sowie § 5 Abs. 3 B-VG-Novelle 1962 andererseits. Es steht also z. B. dem Land als Gemeinderechtsgesetzgeber nicht zu, den Inhalt einer konkreten bundesgesetzlichen Regelung - etwa den Inhalt bestimmter Stellen eines Gesundheitspolizeigesetzes - als in den eigenen Wirkungsbereich fallend zu bezeichnen. Dies könnte zuständigerweise nur der in {Bundes-Verfassungsgesetz Art 115, Art. 115 Abs. 2 zweiter Satz B-VG} bezeichnete Bundesgesetzgeber in Entsprechung des Art. 118 Abs. 2 zweiter Satz B-VG tun.
Der Wortlaut der in Art. 118 Abs. 2 erster Satz zusammen mit der in Art. 118 Abs. 3 B-VG enthaltenen Regelung schließt es aus, daß eine Angelegenheit, die weder im {Bundes-Verfassungsgesetz Art 116, Art. 116 Abs. 2 B-VG} angeführt ist, noch zu einem der Tatbestände in Art. 118 Abs. 3 B-VG gehört, noch von der Generalklausel des Art. 118 Abs. 2 erster Satz B-VG erfaßt wird, eine solche des eigenen Wirkungsbereiches ist; die Gemeinderechtsgesetzgebung ({Bundes-Verfassungsgesetz Art 115, Art. 115 Abs. 2 erster Satz B-VG}) kann daher den eigenen Wirkungsbereich nicht über die durch {Bundes-Verfassungsgesetz Art 118, Art. 118 Abs. 2 erster Satz B-VG} zusammen mit {Bundes-Verfassungsgesetz Art 118, Art. 118 Abs. 3 B-VG} gezogenen Grenzen hinaus erweitern.
Daraus ergibt sich auch, daß durch eine Bezeichnung gemäß {Bundes-Verfassungsgesetz Art 118, Art. 118 Abs. 2 zweiter Satz B-VG} der eigene Wirkungsbereich, wie er in {Bundes-Verfassungsgesetz Art 118, Art. 118 Abs. 2 erster Satz B-VG} zusammen mit {Bundes-Verfassungsgesetz Art 118, Art. 118 Abs. 3 B-VG} umschrieben ist, nicht erweitert werden darf.
Aus § 5 Abs. 3 B-VG-Novelle ergibt sich: Die Vorschrift des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 118, Art. 118 Abs. 2 zweiter Satz B-VG} gilt derzeit nur in Ansehung von Gesetzen, die mit 31. Dezember 1965 oder später in Kraft gesetzt wurden bzw. werden. Erst mit dem genannten Tag sind nämlich die früheren Vorschriften über den selbständigen Wirkungskreis der Gemeinden i. S. des Art. V des Reichsgemeindegesetzes außer Kraft getreten und die den eigenen Wirkungsbereich abstrakt umschreibenden Normen des auf Grund der Vorschriften des Art. 118 Abs. 2 erster Satz B-VG mit {Bundes-Verfassungsgesetz Art 118, Art. 118 Abs. 3 B-VG} erlassenen Gemeinderechts in Kraft getreten (vgl. § 5 Abs. 1 und 2 B-VG-Novelle 1962) .
Gesetzliche Regelungen, die früher als mit 31. Dezember 1965 in Kraft gesetzt worden sind (im folgenden kurz bezeichnet: Altbestandgesetze , brauchen derzeit noch nicht dem {Bundes-Verfassungsgesetz Art 118, Art. 118 Abs. 2 zweiter Satz B-VG} entsprechend bezeichnet zu sein; sie können wegen des Fehlens dieser Bezeichnung derzeit nicht gemäß {Bundes-Verfassungsgesetz Art 140, Art. 140 B-VG} als verfassungswidrig aufgehoben werden.
Wurde ein Altbestandgesetz mit 31. Dezember 1965 geändert oder wurde bzw. wird es später geändert, so muß gleichzeitig damit auch hinsichtlich des geänderten Inhaltes die unter Pkt. I Z 1 bezeichnete Prüfung vorgenommen worden sein bzw. vorgenommen werden und es muß der Inhalt, falls festgestellt wurde bzw. wird, daß er zum eigenen Wirkungsbereich gehört, als solcher bezeichnet worden sein bzw. werden.
Soweit der Inhalt eines Altbestandgesetzes nicht durch ein Gesetz, das spätestens bis 31. Dezember 1968 erlassen wird, verändert wird, muß er durch ein ebenfalls spätestens bis 31. Dezember 1968 von der zuständigen Gesetzgebung (Art. 115 Abs. 2 zweiter Satz B-VG) zu erlassendes Gesetz als solcher des eigenen Wirkungsbereiches bezeichnet werden, soweit er tatsächlich zum eigenen Wirkungsbereich gehört (vgl. Pkt. I Z 1) .
Eine Gesetzesstelle, die den Inhalt einer konkreten gesetzlichen Regelung als solchen des eigenen Wirkungsbereiches bezeichnet, obwohl dies nicht zutrifft, widerspricht der Verfassungsvorschrift des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 118, Art. 118 Abs. 2 zweiter Satz B-VG}. Dies gilt nicht nur dann, wenn eine Neuregelung bezeichnet wird. Dies gilt auch dann, wenn sich die Bezeichnung ausschließlich auf die Materie einer konkreten Gesetzesregelung bezieht, die zum Altbestand zählt (vgl. Pkt. II Z. 4) , die Bezeichnung also bloß im Hinblick auf das Anpassungsgebot gemäß § 5 Abs. 3 B-VG-Novelle 1962 vorgenommen wird. Es ist nämlich unvorstellbar, der Vorschrift des § 5 Abs. 3 B-VG-Novelle 1962 einen Inhalt beizumessen, der es erlauben würde, bis zum 31. Dezember 1968 dem Art. 118 Abs. 2 zweiter Satz B-VG widersprechende Anpassungsvorschriften zu erlassen. Dies ergibt sich nicht nur aus dem Wort "spätestens" vor dieser Datumsangabe, sondern auch aus dem Zweck der Regelung des § 5 Abs. 3 B-VG-Novelle 1962.
"Örtliche Veranstaltungspolizei" i. S. des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 118, Art. 118 Abs. 3 Z 3 B-VG} ist nur jener Teil der Veranstaltungspolizei, der im "ausschließlichen oder überwiegenden Interesse der in der Gemeinde verkörperten örtlichen Gemeinschaft gelegen und geeignet ist, durch die Gemeinschaft innerhalb ihrer örtlichen Grenzen besorgt zu werden" . Dies ergibt sich aus der Definition des Begriffes "örtliche Sicherheitspolizei" in {Bundes-Verfassungsgesetz Art 15, Art. 15 Abs. 2 B-VG} im Zusammenhang mit der Generalklausel betreffend den eigenen Wirkungsbereich in {Bundes-Verfassungsgesetz Art 118, Art. 118 Abs. 2 erster Satz B-VG}.
Es gibt Veranstaltungen, die zwar anmeldungspflichtig sind, die zu untersagen aber nicht bloß im Interesse der Gebietskörperschaft "Gemeinde" gelegen ist. Es genügt beispielsweise auf einen Vortrag hinzuweisen, der weder unter das Versammlungsgesetz noch unter das Vereinsgesetz, sondern unter das Veranstaltungsgesetz fällt und der zu untersagen ist, weil "Tatsachen vorliegen, welche die Annahme rechtfertigen" , daß durch seine Abhaltung die "öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit" weit über die Grenzen der Gebietskörperschaft "Gemeinde" hinaus gefährdet werden könnten, sodaß die Untersagung nicht im ausschließlichen oder überwiegenden Interesse der örtlichen Gemeinschaft liegt.
Es gibt eine Überwachung von Veranstaltungen, die nicht bloß im ausschließlichen oder überwiegenden Interesse der in der Gemeinde verkörperten Gemeinschaft liegt, die vielmehr im ausschließlichen oder überwiegenden übergemeindlichen Interesse liegt. Es sei beispielsweise auf eine Vortragsveranstaltung hingewiesen, deren Überwachung im überwiegend staatspolizeilichen Interesse, das eindeutig übergemeindlich ist, liegen kann.
Die Anordnung des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 118, Art. 118 Abs. 2 zweiter Satz B-VG} verpflichtet den Gesetzgeber ({Bundes-Verfassungsgesetz Art 115, Art. 115 Abs. 2 zweiter Satz B-VG}) , selbst die Prüfung und Feststellung gemäß Pkt. I Z 1 und 2 vorzunehmen. Es wäre verfassungswidrig, würde der Gesetzgeber bloß anordnen, der Gesetzesinhalt gehöre soweit zum eigenen Wirkungsbereich, als er von der Generalklausel des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 118, Art. 118 Abs. 2 erster Satz B-VG} erfaßt wird; er würde nämlich dadurch die umschriebene Prüfung und Feststellung ( Subsumtion des konkreten Gesetzesinhaltes unter die Generalklausel) der Vollziehung überlassen. Dies gilt gleichermaßen auch hinsichtlich der Subsumtion des konkreten Gesetzesinhaltes unter den Begriff "örtlich" , soweit er den Inhalt einiger der abstrakt umschriebenen Tatbestände des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 118, Art. 118 Abs. 3 B-VG} mitbestimmt.
Die Grenze der Zuständigkeit zwischen Organen der Gemeinde einerseits und außergemeindlichen Behörden andererseits fällt, soweit Gegenstand der Zuständigkeit der Gemeindeorgane die Vollziehung von Vorschriften ist, deren Materie zum eigenen Wirkungsbereich gehört, mit der Grenze des eigenen Wirkungsbereiches zusammen - wobei die Zuständigkeiten im aufsichtsbehördlichen Verfahren (Art. 119 a B-VG) außer Betracht bleiben. Diese Grenze des eigenen Wirkungsbereiches ist gemäß der Vorschrift des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 118, Art. 118 Abs. 2 zweiter Satz B-VG} zu bezeichnen. In Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches bestimmt also die gemäß {Bundes-Verfassungsgesetz Art 115, Art. 115 Abs. 2 zweiter Satz B-VG} zuständige Bundesgesetzgebung oder Landesgesetzgebung auf Grund der Anordnung des Art. 118 Abs. 2 zweiter Satz B-VG die sachliche Grenze, während die Gemeinderechtsgesetzgebung ({Bundes-Verfassungsgesetz Art 115, Art. 115 Abs. 2 erster Satz B-VG}) bestimmt, welche Organe der Gemeinde zur Vollziehung der so abgegrenzten Materie zuständig sind.
Die B-VG-Novelle 1962 hat zwar die Regelung des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 118, Art. 118 Abs. 7 B-VG} geschaffen, gemäß der die Besorgung einzelner Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches auf Antrag einer Gemeinde durch Verordnung auf eine staatliche Behörde übertragen werden kann. Sie hat aber die Vorschrift des Art. 15 Abs. 3 B-VG nicht verändert, gemäß der die Landesgesetzgebung in Angelegenheiten des Veranstaltungsrechtes für den örtlichen Wirkungsbereich von Bundespolizeibehörden diesen wenigstens die Überwachung von Veranstaltungen, soweit sie sich nicht auf betriebstechnische, baupolizeiliche und feuerpolizeiliche Rücksichten erstreckt, und die Mitwirkung in erster Instanz bei der Verleihung von Berechtigungen, die in solchen Gesetzen vorgesehen werden, zu übertragen hat. Keine der Bestimmungen der B-VG-Novelle 1962 bringt etwa zum Ausdruck, daß auf Angelegenheiten, die gemäß {Bundes-Verfassungsgesetz Art 15, Art. 15 Abs. 3 B-VG} den Bundespolizeibehörden zur Besorgung bzw. zur Mitwirkung übertragen werden müssen, die Regelung des Art. 118 Abs. 2 und 3 B-VG nicht zutreffen kann.
{Bundes-Verfassungsgesetz Art 15, Art. 15 Abs. 3 B-VG} unterscheidet nicht zwischen örtlicher Veranstaltungspolizei und überörtlicher Veranstaltungspolizei. Er ordnet für beide Teile der Veranstaltungspolizei an, daß die oben bezeichneten Überwachungsaufgaben und die Mitwirkung bei der Erteilung von Berechtigungen der Bundespolizeibehörde übertragen werden müssen, und er ermöglicht es, daß aus beiden Teilen der Veranstaltungspolizei weitere Aufgaben der Bundespolizeibehörde übertragen werden können, was sich aus dem Wort "wenigstens" ergibt.
Das Bundes-Verfassungsgesetz normiert also durch die Sondervorschrift des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 15, Art. 15 Abs. 3 B-VG} eine Ausnahme von den generellen Vorschriften betreffend den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinden.
Der Inhalt des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 22, Art. 22 B-VG} ist durch die B-VG-Novelle 1962 offensichtlich nicht dahingehend verändert worden, daß die im eigenen Wirkungsbereich tätigen Gemeindebehörden zur Hilfeleistung nicht verpflichtet sind.