JudikaturVfGH

B224/66 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
13. Oktober 1966

Die Regelung der Pflichten eines Betriebsnachfolgers in Ansehung von Schulden seines Vorgängers entspricht keinem solchen Enteignungsfall, es handelt sich um einen gesetzlichen Schuldbeitritt und nicht um eine Enteignung ({Allgemeines Sozialversicherungsgesetz § 67, § 67 Abs. 4 ASVG}) .

Keine Bedenken gegen {Allgemeines Sozialversicherungsgesetz § 67, § 67 Abs. 4 ASVG}. Nach dessen Inhalt haftet der Betriebsnachfolger für die Beiträge, die sein Vorgänger im Betrieb zu zahlen gehabt hätte, unbeschadet der fortdauernden Haftung des Vorgängers und unbeschadet der Haftung des Betriebsnachfolgers nach {Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch § 1409, § 1409 ABGB}, für die Zeit von höchstens zwölf Monaten, vom Tage des Erwerbes zurückgerechnet, im Falle einer Anfrage beim Versicherungsträger jedoch nur mit dem Betrag, der ihm als Rückstand ausgewiesen worden ist.

In dieser Gesetzesstelle hat der Ausdruck "Betriebsnachfolger" nach der diesem Worte innewohnenden Bedeutung einen über "Rechtsnachfolger" hinausgehenden Sinn. Es kommt nur auf die Identität des Betriebes und nicht auf eine Rechtsnachfolge an.

Die Bestimmung regelt keine Enteignung.

Der Begriff der Enteignung ist historisch auszulegen. Von einer Enteignung kann nicht gesprochen werden, wenn die Maßnahme keinem bekannten Enteignungsfall der österreichischen Rechtsordnung rechtsähnlich ist. Im allgemeinen liegt eine Enteignungsbestimmung vor, wenn eine Norm die Entziehung des Eigentums bestimmter Personen an bestimmten Sachen zugunsten bestimmter Rechtsträger vorschreibt.

Keine Bedenken gegen die Bestimmung im Hinblick auf das Gleichheitsgebot. Es trifft nicht zu, daß die Bestimmung den Sozialversicherungsträgern eine sachlich ungerechtfertigte Sonderstellung einräume und ohne sachliche Rechtfertigung dritte Personen verpflichtet, fremde Schulden zu bezahlen. Dem, der einen bestehenden Betrieb, der eine Gesamtsache i. S. des {Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch § 302, § 302 ABGB} ist, übernimmt, legt {Allgemeines Sozialversicherungsgesetz § 67, § 67 Abs. 4 ASVG} in einem beschränkten Umfang die Mithaftung für eine bestehende Schuld auf. Es soll vermieden werden, daß bloß die Aktiva übergehen und zum Schaden des Sozialversicherungsträgers das Passivum der rückständigen Sozialversicherungsbeiträge beim Betriebsvorgänger verbleibt. Die Überlegung, die Trennung von Aktiven und Passiven zu Lasten von Gläubigern nicht zu gestatten, ist sachgerecht. Für das ASVG kommt in Betracht, daß dort das Prinzip der ipso-iure-Versicherung gilt ({Allgemeines Sozialversicherungsgesetz § 10, § 10 ASVG}) , das heißt, daß die Versicherung unabhängig vom Willen der Beteiligten (Versicherer, Dienstgeber) und von einer Beitragszahlung eintritt. Die im Gesetz vorgesehenen Leistungen hat der Versicherungsträger auch dann zu erbringen, wenn die Beteiligten keine Beiträge entrichtet haben. Das rechtfertigt, die Voraussetzungen für den Schuldbeitritt weiter zu fassen als es {Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch § 1409, § 1409 ABGB} getan hat, bei dem ein rechtsgeschäftlicher Vermögensübergang vorausgesetzt wird. Eine Milderung der weiter gefaßten Voraussetzung liegt in der Begrenzung des Umfanges der Haftung.

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