G28/65 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Die Worte "oder nach den Vorschriften des Bundesangestellten- Krankenversicherungsgesetzes 1937, BGBl. Nr. 94, in der Krankenversicherung pflichtversichert" im § 1 Abs. 1 des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1958 - AlVG 1958, BGBl. Nr. 199, i. d. F. des Bundesgesetzes vom 15. Dezember 1961, BGBl. Nr. 17/1962, werden als verfassungswidrig aufgehoben.
Gemäß § 1 Abs. 2 lit. b AlVG 1958 sind von der Arbeitslosenversicherungspflicht ausgenommen Dienstnehmer, die in einem unkündbaren privatrechtlichen Dienstverhältnis zum Bund, zu einem Bundesland, einem Bezirk oder einer Gemeinde sowie zu einem von diesen Körperschaften verwalteten Betrieb, einer solchen Unternehmung, Anstalt, Stiftung, oder einem solchen Fonds stehen, wenn ihnen aus diesem Dienstverhältnis Anwartschaft auf Ruhegenuß (Provision) zusteht. Gegenüber den in § 1 Abs. 2 lit. b AlVG 1958 genannten Dienstnehmern weist demnach die dienstrechtliche Stellung der pragmatischen Angestellten der Kammern der gewerblichen Wirtschaft insbesondere, was die Möglichkeit des Eintrittes eines Versicherungsfalles nach dem AlVG 1958 betrifft, keine ins Gewicht fallenden Unterschiede auf. In beiden Fällen handelt es sich um Dienstnehmer (unmittelbar oder mittelbar) öffentlichrechtlicher Körperschaften. Der einzige zunächst erkennbare Unterschied zwischen beiden Dienstnehmergruppen liegt darin, daß es sich bei ersterer um Dienstnehmer (unmittelbar oder mittelbar) einer Gebietskörperschaft handelt. Dieser Unterschied ist jedoch für die hier allein in Betracht kommende Möglichkeit des Eintrittes eines Versicherungsfalles nach dem AlVG 1958 ohne Bedeutung. Die Annahme, daß die aus dem Dienstvertrag erfließenden Rechtsansprüche (Unkündbarkeit, Ruhegenuß) der erstgenannten Gruppe gegenüber den pragmatischen Dienstnehmern der Kammern der gewerblichen Wirtschaft deshalb als gesicherter anzusehen seien, weil es sich bei den Kammern der gewerblichen Wirtschaft um keine Gebietskörperschaften handelt, ist sachlich nicht begründet. Denn wenn sogar Dienstnehmer von Unternehmungen, Anstalten, Stiftungen und Fonds, die von einer Gebietskörperschaft verwaltet werden und deren Bestand nicht einmal durch einfaches Gesetz gesichert ist, diese Ausnahme genießen, so kann die dienstrechtliche Stellung der bei einer öffentlichrechtlichen Körperschaft beschäftigten Dienstnehmer nicht als weniger gesichert angesehen werden. Die Kammern der gewerblichen Wirtschaft sind also hinsichtlich ihres Bestandes nicht anders zu beurteilen als die im § 1 Abs. 2 lit. b AlVG 1958 angeführten Dienstgeber.
Eine Gleichwertigkeit der Anwartschaft i. S. des {Allgemeines Sozialversicherungsgesetz § 6, § 6 ASVG} wird für die Anwartschaft auf Ruhegenuß in § 1 Abs. 2 lit. b AlVG 1958 nicht verlangt.
Die im Erk. Slg. 4735/1964 vertretene Ansicht, daß aus der verfassungsrechtlich verankerten Existenz der Gebietskörperschaften allgemein eine erhöhte Sicherheit der rechtlichen Stellung der Dienstnehmer abgeleitet werden kann, wird nicht aufrechterhalten.
Gemäß § 1 Abs. 2 des Handelskammergesetzes (HKG) , BGBl. Nr. 182/1946, i. d. F. der 3. Handelskammergesetznovelle, BGBl. Nr. 183/1954, sind die nach diesem Bundesgesetz gebildeten Organisationen der gewerblichen Wirtschaft Körperschaften öffentlichen Rechtes. Die Dienstverhältnisse der unkündbaren Angestellten der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft beruhen auf einem Dienstvertrag, der auf Grund von Dienstvorschriften abgeschlossen wird, welche in Durchführung des {Handelskammergesetz § 59, § 59 Abs. 4 HKG} beschlossen und mit Genehmigung des BM erlassen worden sind (Dienstordnung) . Dessen ungeachtet wird ein öffentlichrechtliches Dienstverhältnis nicht begründet. Zum Unterschied von der Dienstpragmatik der Bundesbeamten handelt es sich bei der Dienstordnung um eine lex contractus. Tatsächlich sind auch aus dem Dienstverhältnis entspringende Streitigkeiten stets vor dem Arbeitsgericht ausgetragen worden. Die Dienstnehmer stehen daher in einem unkündbaren privatrechtlichen Dienstverhältnis zu den Kammern der gewerblichen Wirtschaft. An diesem Ergebnis ändert auch der Umstand nichts, daß es sich bei § 1 Abs. 1 HKG um eine Verfassungsbestimmung handelt. Nach § 1 Abs. 1 der Pensionsordnung (Abschnitt D der Dienstvorschriften für die Angestellten der Kammern der gewerblichen Wirtschaft) hat jeder pragmatische Angestellte sowie die Witwe und die Waisen nach einem solchen Anspruch auf Ruhegenuß bzw. Versorgungsgenüsse (Witwenpension bzw. Erziehungsbeiträge) nach Maßgabe der Bestimmungen dieser Pensionsordnung. Nach Abs. 2 sind alle Rentenleistungen aus einer gesetzlichen Pensionsversicherung der Kammerangestellten auf die nach diesen Bestimmungen zustehenden Leistungen anzurechnen. Somit steht den pragmatischen Angestellten der Kammern der gewerblichen Wirtschaft aus ihrem Dienstverhältnis jedenfalls eine Anwartschaft auf Ruhegenuß zu. Daß alle Rentenleistungen aus einer gesetzlichen Pensionsversicherung auf diesen Ruhegenuß anzurechnen sind, ändert nichts an der Qualität des Anspruches. Es handelt sich also bei den genannten Dienstnehmern um Angestellte, die auf Grund eines Privatrechtes in ein unkündbares und mit Anwartschaft auf Ruhegenuß versehenes Dienstverhältnis berufen worden sind.
Die Rechtsverhältnisse der öffentlichrechtlichen Dienstnehmer sind mit Rücksicht auf die von ihnen zu erfüllenden Aufgaben und die ihnen zukommende rechtliche Stellung gesondert geregelt. Es ist nicht unsachlich, wenn im Anschluß an diese allgemeine und umfassende Sonderregelung des Dienstrechtes das damit im Zusammenhang stehende Sozialversicherungsrecht für diesen Personenkreis abweichend von den für die in einem privatrechtlichen Dienstverhältnis stehenden Dienstnehmern geltenden Bestimmungen geregelt wird. Die unterschiedliche Behandlung gegenüber den in einem öffentlichrechtlichen Dienstverhältnis stehenden Dienstnehmern steht daher mit dem Gleichheitsgrundsatz nicht in Widerspruch.
Zum Inhalt der §§ 1 und 1 a des BAKVG, BGBl. Nr. 94/1937.
Zum Inhalt des Überbrückungsbeihilfengesetzes (BGBl. Nr. 98/1961, Nr. 185/1962) .