G27/64 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Die §§ 1 und 5, der § 6 Abs. 1 und Abs. 2 lit. b bis d und die §§ 9 bis 13 des Gesetzes vom 15. Dezember 1953, LGBl. Nr. 6/1954, über die Einhebung von Kanalgebühren, die Einrichtung einer öffentlichen Fäkalienabfuhr, die Einhebung von Fäkalienabfuhrgebühren und die Anschlußverpflichtung an öffentliche Regenwasserkanäle (Niederösterreichisches Kanalgesetz) , werden nicht als verfassungswidrig aufgehoben. Der § 2 der Kanalgebührenordnung der Stadtgemeinde Baden (Beschluß des Gemeinderates der Stadtgemeinde Baden vom 23. September 1960, Zl. 3186/1/1960, i. d. F. des Beschlusses vom 17. Februar 1961, Zl. 727/1, und des Beschlusses vom 14. Dezember 1962, Z 4305/2/62) wird nicht als gesetzwidrig aufgehoben. Das Gesetz ist dem Bundesverfassungsgesetz vom 4. November 1964, BGBl. Nr. 274, über die verfassungsmäßige Kundmachung von Gesetzesbeschlüssen des Landtages entsprechend zustandegekommen; es ist dem {Bundes-Verfassungsgesetz Art 97, Art. 97 B-VG} entsprechend kundgemacht worden. Die Regelung der Gebührenhöhe entspricht dem Gebot der Verhältnismäßigkeit.
Dem VfGH fehlt die Zuständigkeit zu einer Feststellung, daß ein bestehendes Gesetz während eines bestimmten in der Vergangenheit liegenden Zeitraumes verfassungswidrig war.
So wie der VfGH das Gesetz ausschließlich in der Fassung prüfen kann, die im Zeitpunkt der Entscheidung gemäß Art. 140 B-VG vorliegt - er kann nicht eine frühere Fassung des Gesetzes prüfen -, ebenso kann er als Maßstab für diese Prüfung allein jene Verfassungsrechtslage heranziehen, die im Zeitpunkt der Entscheidung gemäß {Bundes-Verfassungsgesetz Art 140, Art. 140 B-VG} gegeben ist (vgl. den Rechtssatz im Erk. Slg. 157/1922: "Bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes ist lediglich zu prüfen, ob es mit einer derzeit geltenden Verfassungsnorm im Widerspruch steht") .
Die Prozeßvoraussetzung der Präjudizialität kann nicht bestimmend für den heranzuziehenden Prüfungsmaßstab sein.
Im Begriff "Gebühr" gemäß § 10 Abs. 3 lit. d FAG 1959 liegt das Gebot, daß die Höhe der Gebühr in einem angemessenen Verhältnis zur Leistung stehen muß. Dem steht nicht entgegen, daß die Höhe der Gebühr pauschal festgesetzt wird, wenn diese Höhe den Erfahrungen des täglichen Lebens entsprechend in einem angemessenen Verhältnis zur Leistung steht.
Die Maßnahmen, die getroffen werden müssen, damit es zur Kundmachung der Landesgesetze im Landesgesetzblatt kommt, sind - ebenso wie die Maßnahmen, die getroffen werden müssen, daß die Kundmachung von Gesetzesbeschlüssen unterbleibt, die noch nicht kundmachungsreif sind - bloß redaktionstechnischer Natur. Ebensowenig, wie etwa die Durchführung jener technischen Maßnahmen, die erforderlich sind, damit im Landtag über einen Antrag überhaupt abgestimmt werden kann, als Handhabung einer Zuständigkeit zur Mitwirkung am Zustandekommen eines Gesetzes angesehen werden kann, kann die Durchführung der in Rede stehenden technischen Aufgaben der Redaktion des Landesgesetzblattes als Handhabung einer solchen Zuständigkeit angesehen werden. Diese redaktionstechnischen Maßnahmen sind bloß interner Natur, sie gehören nicht zur Normensetzung. Die Worte "durch den Landeshauptmann" in {Bundes-Verfassungsgesetz Art 97, Art. 97 B-VG} begründen somit lediglich die Aufgabe des Landeshauptmannes, dafür zu sorgen, daß die umschriebenen Vorkehrungen getroffen werden und jeweils zur Kundmachung des Gesetzes im Landesgesetzblatt führen. Welcher Gehilfen, es handelt sich im Hinblick auf den umschriebenen Charakter der Maßnahmen nicht um Stellvertreter, sich dabei der Landeshauptmann - unbeschadet seiner Verantwortlichkeit - bedient, ist hier unwesentlich.
Durch das Bundesverfassungsgesetz vom 4. November 1964, BGBl. Nr. 274, über die verfassungsmäßige Kundmachung von Gesetzesbeschlüssen des Landtages ist der Normeninhalt der davon erfaßten Gesetze nicht verändert worden. Insbesondere hat auch keine Veränderung in der Hinsicht Platz gegriffen, daß etwa einerseits ein Anwendungsbereich für Sachverhalte geschaffen worden wäre, die vor dem Ablauf des 7. Dezember 1964 "zeitlich individualisiert" worden sind (vgl. Slg. 4139/1962 und 4157/1962) und andererseits ein Anwendungsbereich für nach diesem Zeitpunkt zeitlich individualisierte Sachverhalte geschaffen worden wäre. Der Anwendungsbereich der Gesetze erstreckt sich weiterhin einheitlich auf alle darunterfallenden Sachverhalte.
Die Gesetze sind also unverändert geblieben. Geändert haben sich aber durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl. Nr. 274/1964 jene Bestimmungen der Verfassung, die Maßstab für das Zustandekommen der unter das genannte Bundesverfassungsgesetz fallenden Landesgesetze sind.
Ist ein Gesetz dem Bundesverfassungsgesetz, BGBl. Nr. 274/1964, entsprechend zustande gekommen, ist es jetzt verfassungsrechtlich unbedenklich.
Das Gleichheitsprinzip verbietet es jedenfalls dann nicht, pauschalierende Regelungen zu treffen, wenn sie den Erfahrungen des täglichen Lebens entsprechen und im Interesse der Verwaltungsökonomie liegen, also damit sachlich begründbar sind.