G24/64 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
§ 20 Abs. 1 und § 53 Abs. 9, 10 und 13 des Bundesgesetzes vom 26. Juni 1958, betreffend das Finanzstrafrecht und das Finanzstrafverfahrensrecht (Finanzstrafgesetz - FinStrG) , BGBl. Nr. 129, werden nicht als verfassungswidrig aufgehoben. Das amtswegige Prüfungsverfahren hinsichtlich der §§ 56 bis 194 FinStrG wird eingestellt.
§ 20 Abs. 1 FinStrG ist jedenfalls hinsichtlich der Ersatzfreiheitsstrafen für Geldstrafen durch den Vorbehalt zu {Europäische Menschenrechtskonvention Art 5, Art. 5 MRK} gedeckt. § 20 Abs. 1 und § 53 Abs. 9, 10 und 13 FinStrG widersprechen nicht der MRK und sind jedenfalls in dieser Hinsicht nicht verfassungswidrig.
Mit Rücksicht darauf, daß der Vorbehalt zu Art. 5 ausschließlich in deutscher Sprache abgegeben wurde, ist für die Auslegung nur der deutsche Originaltext, nicht aber eine mehr oder weniger treffende Übersetzung maßgebend.
Der VfGH hat in seinem Erk. Slg. 4049/1961 ausgesprochen, daß die im FinStrG vorgesehenen Maßnahmen nicht zu jenen gehören, die durch den Vorbehalt gedeckt sind. In dieser Allgemeinheit ist dieser Satz nicht aufrecht zu erhalten. Der Vorbehalt kann vielmehr seinem Wortlaute nach nur dahin ausgelegt werden, daß sich Österreich eben jene in den Verwaltungsverfahrensgesetzen 1950 vorgesehenen Maßnahmen des Freiheitsentzuges durch eine Verwaltungsbehörde vorbehalten hat. Es sollte damit das System des Verwaltungsstrafrechts in seiner herkömmlichen Form im wesentlichen erhalten werden. Der Vorbehalt geht keineswegs dahin, daß das Verwaltungsstrafgesetz ausgenommen wurde, sondern ausgenommen wurden die dort vorgesehenen Maßnahmen, gleichgültig in welchem Gesetz im einzelnen nun diese vorgesehenen Maßnahmen enthalten sind. Dies gilt nicht nur für die in materiellen Rechtsvorschriften vorgesehenen Maßnahmen des Freiheitsentzuges, sondern auch für die in anderen Verfahrensgesetzen vorgesehenen Maßnahmen, mindestens soweit sie mit den in den Verwaltungsverfahrensgesetzen vorgesehenen übereinstimmen. Daraus folgt, daß auch die im FinStrG vorgesehenen Maßnahmen des Freiheitsentzuges, mindestens soweit sie mit den in den Verwaltungsverfahrensgesetzen vorgesehenen übereinstimmen, durch den Vorbehalt gedeckt sind.
Ersatzstrafen bei Geldstrafen sind im § 16 VStG 1950 vorgesehen. § 20 Abs. 1 FinStrG ist somit jedenfalls hinsichtlich der Ersatzfreiheitsstrafen für Geldstrafen durch den Vorbehalt gedeckt.
Der in Rede stehende Vorbehalt zu {Europäische Menschenrechtskonvention Art 5, Art. 5 MRK} ist kein gemäß Art. 64 unzulässiger allgemeiner Vorbehalt; wenn nämlich die Konvention mit einem ganzen System gesetzlicher Regelungen zusammentrifft, das mit der betreffenden Vorschrift nicht übereinstimmt und mit dem Vorbehalt dieses ganze System ausgenommen wird, also wie hier die gesamten Maßnahmen des Freiheitsentzuges, wie sie in den Verwaltungsverfahrensgesetzen vorgesehen sind, bleibt es immer ein Vorbehalt zu einer bestimmten Vorschrift der Konvention, die mit den in Österreich geltenden Gesetzen nicht übereinstimmt.
Ist die Verhängung einer Freiheitsstrafe durch eine Verwaltungsbehörde auf Grund des Vorbehaltes zu Art. 5 MRK möglich, so ist auch das Verfahren, das zu einer solchen Verurteilung führt, durch den Vorbehalt gedeckt. Daraus folgt aber, daß auch § 53 Abs. 9, 10 und 13 FinStrG, durch die die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden begründet wird, durch den österreichischen Vorbehalt gedeckt sind, daß somit die im FinStrG vorgesehenen Verwaltungsbehörden und deren Befugnis, Freiheitsstrafen zu verhängen, mindestens soweit sich die Maßnahmen mit den in den Verwaltungsverfahrensgesetzen vorgesehenen Maßnahmen decken, vom Vorbehalt zu {Europäische Menschenrechtskonvention Art 5, Art. 5 MRK} erfaßt sind.
Die Bedingung des Vorbehaltes, daß die Entscheidungen, mit denen Maßnahmen des Freiheitsentzuges im Sinne der Verwaltungsverfahrensgesetze getroffen werden, der nachprüfenden Kontrolle der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes unterworfen sind, trifft nicht nur für die Entscheidungen der Finanzlandesdirektionen als Finanzstrafbehörden 2. Instanz, sondern auch für die Rechtsmittelentscheidungen der Berufungssenate als den Organen der Finanzstrafbehörden 2. Instanz. Der VfGH kann gemäß {Bundes-Verfassungsgesetz Art 144, Art. 144 B-VG} ausnahmslos gegen alle Bescheide einer Verwaltungsbehörde angerufen werden, also auch gegen die Rechtsmittelentscheidungen der Finanzstrafbehörden in 2. Instanz. Und die Anrufung des VwGH ist im § 169 FinStrG auch gegen Entscheidungen der Berufungssenate ausdrücklich vorgesehen. Es sind deshalb alle Bedingungen erfüllt. § 20 Abs. 1 und § 53 Abs. 9, 10 und 13 FinStrG widersprechen nicht der MRK und sind jedenfalls in dieser Hinsicht nicht verfassungswidrig.