V11/63 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Folgende Stellen der "Dienstvorschrift für die Erhebungsabteilungen (Gruppen) der österreichischen Bundesgendarmerie" (Erlaß des BM für Inneres vom 21. Juni 1946, Z 75.041-GD.5/46, i. d. F. des Erlasses vom 10. Mai 1948, Z 157.357-GD.5/47, Amtliche Verlautbarungen für die österreichische Bundesgendarmerie Nr. 3/1945 und Nr. 5/1948) werden als gesetzwidrig aufgehoben: a) Abschnitt II Abs. 1 Z 3; b) Abschnitt III Abs. 1; c) Abschnitt IV Z 3; d) Abschnitt V Abs. 1 und 2; e) Abschnitt VI Abs. 3; f) Abschnitt VIII Abs. 11.
Aus {Bundes-Verfassungsgesetz Art 10, Art. 10 Abs. 1 Z 14 B-VG} (vgl. auch § 1 des Gesetzes vom 27. November 1918, StGBl. Nr. 75, betreffend die Gendarmerie des Deutschösterreichischen Staates sowie § 20 Abs. 1 Behörden- Überleitungsgesetz) ergibt sich, daß die Bundesgendarmerie ein Wachkörper ist. Wachkörper sind, dies gilt auch für die Gendarmerie, nicht selbst Behörden, sondern Hilfsorgane der Behörden (vgl. Erk. Slg. 3108/1956) . Den Dienststellen der Gendarmerie mangelt - vom Dienstrecht und vom inneren Dienst abgesehen - eine selbständige Entscheidungskompetenz und Verfügungskompetenz. Soweit die Gendarmerie Anordnungen trifft, sind sie also stets jener Behörde zuzurechnen, als deren Hilfsorgan sie im konkreten Fall tätig wird, deren Vollziehungsgewalt sie handhabt. Hilfsorgane einer Verwaltungsbehörde können ihrem Wesen nach keine über die Zuständigkeit der Behörde hinausgehende Befugnis haben. Die Gendarmerie kann somit nur im Rahmen der sachlichen und örtlichen Zuständigkeit jener Behörde tätig werden, deren Hilfsorgan sie ist.
Ob und inwieweit die Gendarmerie behördliches Hilfsorgan ist, bestimmt das Gesetz. Das Gesetz bestimmt also insbesondere, in welchen Angelegenheiten die Gendarmerie als behördliches Hilfsorgan zu fungieren hat, welche Dienststellen (Organisationseinheiten) der Gendarmerie diese Funktion auszuüben haben und für welche Behörden sie dabei tätig werden.
Bei der Beurteilung der Frage, für welche Behörden die Gendarmerie ( ihre einzelnen Dienststellen und Organisationseinheiten) als Hilfsorgane zu fungieren haben, müssen jene gesetzlichen Vorschriften außer Betracht bleiben, die lediglich den inneren Dienst der Gendarmerie, insbesondere die innerdienstlichen Unterstellungsverhältnisse, regeln. Die gendarmerieinternen Angelegenheiten werden nicht von den Verwaltungsbehörden in den Ländern besorgt, deren Hilfsorgan die Gendarmerie ist, sondern von der Gendarmerie selbst wahrgenommen. Die diesbezüglichen Überordnungsverhältnisse und Unterordnungsverhältnisse sind im {Behörden-Überleitungsgesetz § 20, § 20 Abs. 2 Beh-ÜG} bestimmt (vgl. auch § 2 Abs. 3 Gendarmeriegesetz 1918 und § 4 des Gesetzes vom 25. Dezember 1894, RGBl. Nr. 1/1895, betreffend die Gendarmerie der im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder) . Damit sind die innerdienstlichen Unterstellungsverhältnisse erschöpfend geregelt. Außer dem BM für Inneres gibt es also keine Behörden, die den Gendarmeriekommanden ( Gendarmeriedienststellen, Gendarmerieorganisationseinheiten) innerdienstlich vorgesetzt sind. Im besonderen ist weder die Sicherheitsdirektion noch die Bezirkshauptmannschaft der Gendarmerie vorgesetzt, soweit es sich um Angelegenheiten des inneren Dienstes des Wachkörpers handelt.
Bei der Führung des öffentlichen Sicherheitsdienstes ist das Landesgendarmeriekommando Hilfsorgan der Sicherheitsdirektion, das Bezirksgendarmeriekommando mit den ihm unterstellten Postenkommanden Hilfsorgan der Bezirkshauptmannschaft. Dies bestimmt § 20 Abs. 3 Beh-ÜG (vgl. auch Erk. Slg. 2990/1956 und 3656/1959) . Unter " öffentlicher Sicherheitsdienst" ist im § 20 Abs. 3 Beh-ÜG - ebenso wie im § 16 dieses Gesetzes - nur die Exekutivtätigkeit für die " staatliche Sicherheitsverwaltung" ({Behörden-Überleitungsgesetz § 15, § 15 Abs. 4 Beh-ÜG}) zu verstehen, also die Exekutivtätigkeit in jenen Angelegenheiten, die - kurz umschrieben - den Aufgabenbereich der Sicherheitsdirektion bilden. Diese Aufgaben sind nach {Behörden-Überleitungsgesetz § 15, § 15 Abs. 1 Beh-ÜG} jene, die "von den Reichsstatthaltern auf dem Gebiete des öffentlichen Sicherheitswesens geführt wurden" und später in der Verordnung des BM für Inneres vom 26. Feber 1946, BGBl. Nr. 74, über die Einrichtung und den Wirkungsbereich der Sicherheitsdirektionen erschöpfend bestimmt worden sind. {Behörden-Überleitungsgesetz § 20, § 20 Abs. 3 Beh-ÜG} schließt aus, daß das Landesgendarmeriekommando bei der Führung des öffentlichen Sicherheitsdienstes als Hilfsorgan einer Bezirkshauptmannschaft handelt. Das Bezirksgendarmeriekommando und die ihm unterstellten Gendarmeriepostenkommanden dürfen bei der Führung des öffentlichen Sicherheitsdienstes nur im örtlichen und sachlichen Wirkungsbereich der betreffenden Bezirkshauptmannschaft, das Landesgendarmeriekommando darf hiebei nur im örtlichen und im sachlichen Wirkungsbereich der betreffenden Sicherheitsdirektion einschreiten. Die vorläufige Beschlagnahme eines Gegenstandes gemäß § 39 Abs. 2 VStG 1950 im Zusammenhang mit {Schieß- und Sprengmittelgesetz § 43, § 43 Abs. 1 Schieß- und Sprengmittelgesetz} darf nur durch die der Bezirkshauptmannschaft unterstellte Gendarmerie (nicht auch durch das Landesgendarmeriekommando) erfolgen, weil die Zuständigkeit, in dieser Sache als Verwaltungsstrafbehörde I. Instanz einzuschreiten, gemäß dem Verwaltungsstrafgesetz 1950 ausschließlich bei der Bezirksverwaltungsbehörde liegt, die Sicherheitsdirektion hiefür aber keine Zuständigkeit besitzt.
Zur "Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit " (§ 3 der zit. Verordnung BGBl. Nr. 74/1946) und damit zum öffentlichen Sicherheitsdienst i. S. des § 20 Abs. 3 Beh-ÜG gehören auch die Angelegenheiten der Strafjustiz. Auch hiefür gelten also die Unterstellungsverhältnisse gemäß {Behörden-Überleitungsgesetz § 20, § 20 Abs. 3 Beh-ÜG}. Allerdings greift hier eine Einschränkung Platz.
Die Beschlagnahme eines Gegenstandes ist, wenn sie über gemäß § 7 GendG 1894 erteilten Auftrag durchgeführt wird, dem Gericht oder der Staatsanwaltschaft zuzurechnen. Wird jedoch eine Beschlagnahme im Dienste der Strafrechtspflege durchgeführt, ohne daß ein vom Gericht oder der Staatsanwaltschaft der Gendarmerie unmittelbar erteilter Auftrag vorliegt, so ist die Amtshandlung der Bezirkshauptmannschaft zuzurechnen, wenn sie von der dieser Behörde unterstellten Gendarmerie vorgenommen wird, und sie ist der Sicherheitsdirektion zuzurechnen, wenn sie vom Landesgendarmeriekommando durchgeführt wird; die Vornahme solcher Amtshandlungen im Dienste der Strafjustiz fällt nämlich sowohl in den Wirkungsbereich der Bezirkshauptmannschaften als auch in den Wirkungsbereich der Sicherheitsdirektionen, da {Strafprozeßordnung 1975 § 24, § 24 StPO} von den Sicherheitsbehörden schlechthin spricht und sowohl die Bezirkshauptmannschaften als auch die Sicherheitsdirektionen Sicherheitsbehörden sind.
Eine Änderung dieser Rechtslage kann nur durch den Bundesgesetzgeber (Art. 10 Abs. 1 Z 7 und Z 14 B-VG) verfügt werden.
Ob und inwieweit die Gendarmerie auch andere Aufgaben als solche des öffentlichen Sicherheitsdienstes als behördliches Exekutivorgan zu besorgen hat und welchen Behörden diese Tätigkeit zuzurechnen ist, wird durch die die einzelnen Materien regelnden Gesetze bestimmt.
Dabei wird die Vorschrift des § 2 Abs. 1 GendG 1918 zu beachten sein, aus der sich jedenfalls ergibt, daß das Landesgendarmeriekommando nicht den Bezirkshauptmannschaften unterstellt ist. Ein Abgehen von dieser Vorschrift könnte nur durch den Bundesgesetzgeber in Handhabung der Kompetenz gemäß {Bundes-Verfassungsgesetz Art 10, Art. 10 Abs. 1 Z 14 B-VG} verfügt werden. Nur durch ein solches Gesetz könnte also angeordnet werden, daß die Landesgendarmeriekommanden generell oder in gewissen Fällen als Hilfsorgane der Bezirkshauptmannschaften tätig zu werden haben.
Der Gendarmerie kommen also außer den Aufgaben des öffentlichen Sicherheitsdienstes Exekutivaufgaben nur so weit zu als sie ihr durch die die einzelnen Materien regelnden Gesetze zugewiesen sind, wobei der Landesgesetzgeber an {Bundes-Verfassungsgesetz Art 97, Art. 97 Abs. 2 B-VG} gebunden ist. Dabei ist die Gendarmerie im Bezirk Hilfsorgan der Bezirkshauptmannschaft, soweit diese Aufgaben in die Zuständigkeit dieser Behörde fallen ( vgl. insbesondere § 3 Abs. 1 erster Satzteil GendG 1894) . Das Landesgendarmeriekommando darf solche Aufgaben nur dann als Hilfsorgan der Bezirkshauptmannschaften besorgen, wenn dies bundesgesetzlich ({Bundes-Verfassungsgesetz Art 10, Art. 10 Abs. 1 Z 14 B-VG}) in Abweichung von der Vorschrift des § 2 Abs. 1 GendG 1918 besonders angeordnet ist.
Bei der Beschlagnahme einer Waffe auf Grund der §§ 86 und 128 des NÖ Jagdgesetzes in Verbindung mit § 39 VStG 1950 durch einen Gendarmen handelt es sich um eine faktische Amtshandlung der im Landesvollziehungsbereiche einschreitenden Verwaltungsstrafbehörde erster Instanz, also der Bezirkshauptmannschaft; nur die Gendarmerie im Bezirk, nicht auch das Landesgendarmeriekommando, darf (weil eine bundesgesetzliche Sonderregelung fehlt) diese Amtshandlung als Hilfsorgan der Bezirkshauptmannschaft vornehmen.
Die staatspolizeilichen Angelegenheiten und die kriminalpolizeilichen Angelegenheiten gehören zur Sicherheitspolizei (Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit) . Die Materie gehört zum Wirkungsbereich der Sicherheitsdirektion (§ 15 Abs. 1 Beh-ÜG; § 3 der Verordnung vom 26. Feber 1946, BGBl. Nr. 74, über die Einrichtung und den Wirkungsbereich der Sicherheitsdirektionen) .
Soweit die Sicherheitsdirektion zu einem unmittelbaren Einschreiten zuständig ist (vgl. z. B. {Strafprozeßordnung 1975 § 24, § 24 StPO}, Art. II § 4 Abs. 2 V-ÜG 1929) , ist es Aufgabe des Landesgendarmeriekommandos, dabei als Hilfsorgan der Sicherheitsdirektion zu fungieren (§ 20 Abs. 3 Beh-ÜG) .
Gemäß § 7 GendG 1894 sind die Gerichte ohne jede Einschränkung befugt, die Dienstleistung der Gendarmerie unmittelbar in Anspruch zu nehmen.
Gemäß {Behörden-Überleitungsgesetz § 20, § 20 Abs. 3 Beh-ÜG} ist das Landesgendarmeriekommando als Ganzheit der Sicherheitsdirektion unterstellt. Weisungen der Sicherheitsdirektion dürfen nur an das Landesgendarmeriekommando als Einheit, nicht auch - unter Ausschaltung dieser Einheit - an innerdienstliche Gliederungen des Landesgendarmeriekommandos gerichtet werden.
Eine Verordnungsvorschrift, gemäß der als Hilfsorgan der Sicherheitsdirektion handelnde Beamte des Landesgendarmeriekommandos im Bedarfsfall berechtigt sind, ihre dienstliche Tätigkeit auf den Bereich eines anderen Bundeslandes auszudehnen, ist gesetzwidrig, weil die örtliche Zuständigkeit der Sicherheitsdirektion an der Grenze des Bundeslandes endet und das Gesetz eine Vermischung der örtlichen Zuständigkeiten der Sicherheitsdirektionen nicht erlaubt.
Wachkörper sind nicht selbst Behörden, sondern Hilfsorgane der Behörden.
Hilfsorgane einer Verwaltungsbehörde können ihrem Wesen nach keine über die Zuständigkeit der Behörde hinausgehende Befugnis haben.
Soweit die Sicherheitsdirektion keine Zuständigkeit besitzt, im Amtsbereiche einer Bundespolizeibehörde unmittelbar Amtshandlungen durch ihre Exekutivorgane vorzunehmen, kann diese Zuständigkeit nicht durch ein Einvernehmen mit der Bundespolizeibehörde begründet werden.
Soweit sie aber zuständig ist, bedarf sie zur Ausübung dieser Zuständigkeit nicht erst des Einvernehmens mit der Bundespolizeibehörde.
Anträge der Bundesregierung und der Landesregierungen gemäß {Bundes-Verfassungsgesetz Art 139, Art. 139 Abs. 1 B-VG} können rechtmäßigerweise nur bestehende Verordnungen zum Gegenstand haben. Art. 89 Abs. 3 und {Bundes-Verfassungsgesetz Art 139, Art. 139 Abs. 3 B-VG} gelten lediglich für Gerichtsanträge und für vom VfGH von Amts wegen eingeleitete Prüfungsverfahren.
Enthält der Antrag keine Ausführung der Anfechtungsgründe, so ist er zurückzuweisen.