JudikaturVfGH

G21/63 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
12. März 1964

Dem Antrag auf Aufhebung der Bestimmungen des § 52 Abs. 2 (früher Abs. 3) und des § 48 Abs. 4 des Marktordnungsgesetzes vom 16. Dezember 1958, BGBl. Nr. 276, i. d. F. der Bundesgesetze BGBl. Nr. 85/1960, 156/1960, 168/1961 und 220/1962 wird keine Folge gegeben.

Der Wortlaut des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 69, Art. 69 Abs. 1 erster Satz B-VG} besagt, daß mit den obersten Verwaltungsgeschäften des Bundes der Bundeskanzler, der Vizekanzler und die übrigen BM betraut sind (soweit diese Geschäfte nicht dem Bundespräsidenten übertragen sind) ; dem Wortlaut ist aber nicht zu entnehmen, daß die Bestimmung eine Regelung betreffend den Wirkungsbereich (das Ressort) der genannten Organe enthält. Ebenso enthält weder der Art. 77 Abs. 2 B-VG noch eine andere Vorschrift der Verfassung eine Regelung betreffend den Wirkungsbereich des Bundeskanzleramtes und der einzelnen BM und damit auch betreffend den Wirkungsbereich des Bundeskanzlers und der einzelnen BM ({Bundes-Verfassungsgesetz Art 77, Art. 77 Abs. 3 B-VG}) . Insbesondere enthält auch Art. 69 Abs. 1 zweiter Satz keine den Wirkungsbereich des Bundeskanzlers und der BM ganz oder teilweise, unmittelbar oder mittelbar bestimmende Regelung. Dieser zweite Satz enthält nicht einmal eine Anordnung betreffend die Betrauung der Bundesregierung mit Verwaltungsaufgaben. Die Bundesgesetzgebung, die gemäß {Bundes-Verfassungsgesetz Art 77, Art. 77 Abs. 2 B-VG} den Wirkungsbereich des Bundeskanzleramtes und der einzelnen BM festzusetzen hat, ist also hinsichtlich der Aufteilung der obersten Verwaltungsgeschäfte auf die einzelnen Ressorts nicht eingeengt. Ihr ist insbesondere auch durch keine Vorschrift der Verfassung verwehrt, eine Regelung zu treffen, gemäß der ein bestimmtes Verwaltungsgeschäft mehreren Ressorts mit der Einschränkung zugewiesen wird, daß die Besorgung nur einvernehmlich erfolgen darf. In einem solchen Fall sind eben mehrere BM mit diesem obersten Verwaltungsgeschäft "betraut" i. S. des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 69, Art. 69 Abs. 1 B-VG}. Eine Vorschrift, gemäß der die BM einvernehmlich vorzugehen haben, widerspricht ebensowenig den Regelungen der Verfassung über die Ministerverantwortlichkeit wie etwa das Erfordernis der Einstimmigkeit bei der Fassung von Beschlüssen der Bundesregierung (das von Kelsen - Die Bundesverfassung vom 1. Oktober 1920, Wien 1922, Seite 166 - gerade aus der Ministerverantwortlichkeit abgeleitet wird) .

Nach der Verfassung müssen alle Verwaltungsbehörden, die keine obersten Organe i. S. des B-VG sind (von den verfassungsgesetzlich geschaffenen Ausnahmen kann hier abgesehen werden) der Leitung und der Weisung der zuständigen obersten Organe des Bundes und der Länder ({Bundes-Verfassungsgesetz Art 20, Art. 20 Abs. 1 B-VG}) unterstellt sein. Dieses Unterstellungsverhältnis wird aber nicht dadurch hinfällig, daß die obersten Organe keine Weisungen geben.

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