JudikaturVfGH

G20/62 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
16. Oktober 1963

Die im § 2 Abs. 2 des Gesetzes vom 15. September 1959 über die Landesgesellschaft für die Allgemeinversorgung mit elektrischer Energie im Burgenland, LGBl. für das Bgld. Nr. 20, enthaltenen Worte: "der Niederösterreichischen Elektrizitätswerke-Aktiengesellschaft und" werden als verfassungswidrig aufgehoben. Die durch das Bgld. Landesgesetz LGBl. Nr. 20/1959 getroffenen Maßnahmen sind ihrem Wesen nach "Verländerung" . Der VfGH hat in seinem Erk. Slg. 2092/1959 eine "Verländerung" einer Verstaatlichung gleichgestellt und in ständiger Rechtsprechung dargelegt, daß eine Verstaatlichung als Enteignung zu werten ist. Der Bgld. Landtag ist auf Grund des § 3 Abs. 2 Übergangsgesetz 1920 nicht berechtigt gewesen, vom Energiewirtschaftsgesetz, DRGBl. I S. 1451/1935, ausgehend die Legalenteignung des § 2 Abs. 2 des Bgld. Landesgesetzes LGBl. Nr. 20/1959 zu verfügen.

Die an keine Voraussetzungen gebundene und keinen Beschränkungen unterworfene Überführung der gesamten Elektrizitätswirtschaft eines Landes in eine Landesgesellschaft im Wege der Enteignung ist nicht identisch mit dem Gegenstande der Regelung des EnWG, DRGBl. I S. 1451/1935. Auf {Übergangsgesetz § 3, § 3 Abs. 2 ÜG 1920} kann daher vom EnWG ausgehend eine solche nicht gestützt werden.

Eine "Verländerung" ist eine Verstaatlichung.

Eine Verstaatlichung ist als Enteignung zu werten.

Gemäß {Bundes-Verfassungsgesetz Art 10, Art. 10 Abs. 1 Z 6 B-VG} gehören Enteignungen zu Zwecken der Assanierung jedenfalls, sonstige Enteignungen dann nach Gesetzgebung Z. Vollziehung in die Zuständigkeit des Bundes, wenn sie nicht Angelegenheiten betreffen, die in den selbständigen Wirkungsbereich der Länder fallen. Aus diesem Kompetenzartikel ist zu folgern, daß die Zuständigkeit des Bundes oder der Länder zur Enteignung grundsätzlich danach zu beurteilen ist, ob die Angelegenheit, zu deren Zweck die Enteignung verfügt wird, der Zuständigkeit des Bundes oder der Länder unterliegt.

Das 2. Verstaatlichungsgesetz ist weder in seiner Gänze noch in Einzelbestimmungen ein Grundsatzgesetz, wie sich aus seiner Form und seinem Inhalt ergibt.

Das EnWG, DRGBl. I S. 1451/1935 ist als ein Gesetz zu werten, das nach der Übergangsregelung des {Übergangsgesetz § 3, § 3 Abs. 2 ÜG 1920} durch drei Jahre als Bundesgesetz in Gültigkeit geblieben und dessen Wirksamkeit mit 21. Oktober 1948 erloschen ist. Das EnWG, DRGBl. I S. 1451/1935, hat das Eigentum an den Anlagen der Unternehmen der Energiewirtschaft ( Elektrizitätsversorgung und Gasversorgung) grundsätzlich unberührt gelassen, ja es hatte sogar durch die im § 17 Abs. 1 angeordnete Aufhebung des Gesetzes betreffend die Sozialisierung der Elektrizitätswirtschaft vom 31. Dezember 1919 (RGBl. 1920 S. 19) die früher bestandene Befugnis der öffentlichen Hand, das Recht der Ausnutzung von Anlagen der Elektrizitätswirtschaft oder das Eigentum an solchen Anlagen gegen angemessene Entschädigung zu übernehmen, beseitigt. Nur die Enteignung der Anlagen und Rechte von Unternehmen, die außerstande waren, ihre Versorgungsaufgaben zu erfüllen, war nunmehr noch zugelassen.

Seit dem Inkrafttreten des Staatsvertrages von Wien, BGBl. Nr. 152/1955, am 27. Juli 1955 sind die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des Kompetenztatbestandes des Art. 10 Abs. 1 Z 15 B-VG zur Gänze weggefallen. Dieser Wegfall kann aber nicht die Umwandlung eines auf Grund des Art. 10 Abs. 1 Z 15 B-VG erlassenen Bundesgesetzes, das Angelegenheiten regelt, die ansonsten dem {Bundes-Verfassungsgesetz Art 12, Art. 12 B-VG} zu unterstellen sind, in ein Bundesgrundsatzgesetz bewirken. Es trifft jedenfalls dann nicht zu, daß nach Wegfall der Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des Kompetenztatbestandes des Art. 10 Abs. 1 Z 15 B-VG die Zuständigkeit zur Gesetzgebung in diesen Angelegenheiten nach {Übergangsgesetz § 3, § 3 Abs. 2 ÜG 1920} auf die Länder übergegangen sei, wenn das auf Grund des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 10, Art. 10 Abs. 1 Z 15 B-VG} erlassene Gesetz am 21. Oktober 1945 noch nicht vorhanden war.

Die Landesgesetzgebungen können zwar - bezogen auf das Jahr 1945 - gemäß § 3 Abs. 2 ÜG die in {Bundes-Verfassungsgesetz Art 12, Art. 12 B-VG} bezeichneten Angelegenheiten - mit gewissen Einschränkungen - seit 21. Oktober 1948 frei regeln.

Dies gilt jedoch - weil das Verfassungsübergangsrecht nur für den Übergang von einer Verfassungsordnung auf eine andere Verfassungsordnung nicht aber innerhalb einer Verfassungsordnung zur Lösung von Einzelproblemen des Kompetenzwechsels anwendbar ist - lediglich für Fälle des Überganges von der Vorläufigen Verfassung des Jahres 1945 auf die derzeit geltende Verfassung, also für Gesetze, die am 21. Oktober 1945 schon vorhanden waren.

Der VfGH kann der Auslegung nicht beipflichten, daß mit dem Ausdrucke "zur Gänze" in § 3 Abs. 2 ÜG 1920 eine erschöpfende inhaltliche Regelung gemeint sei. Der Ausdruck "zur Gänze" bedeutet vielmehr eine ausschließlich "durch Staatsgesetz" , also weder durch Grundsatzgesetz (Rahmengesetz) noch durch Landesgesetz herbeigeführte Regelung. Zur Neuregelung auf Grund des § 3 Abs. 2 leg. cit. ist die Landesgesetzgebung zuständig, soweit der Gegenstand der Neuregelung identisch ist mit dem Gegenstand der "ausschließlich durch Staatsgesetze" herbeigeführten Regelung.

Hat ein Bescheid eine Instandsetzungspflicht von Anlagen zum Gegenstand, die als wasserbautechnische Einheiten in örtlich bestimmter Abgrenzung ausschließlich im Sprengel einer Behörde gelegen sind, sind die besonderen Zuständigkeitsbestimmungen des § 101 WRG 1959 nicht anwendbar.

Der VfGH erkennt über die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes von Amts wegen dann, wenn es die Voraussetzung für sein Erkenntnis bildet ({Bundes-Verfassungsgesetz Art 140, Art. 140 Abs. 1 B-VG}) . Das ist der Fall, wenn eine Rechtsnorm von der Behörde angewendet wurde oder auch nur anzuwenden war, weil der VfGH seiner Pflicht auf Überprüfung, ob ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht verletzt worden ist, nicht nachkommen kann, ohne den Bescheid an Hand dieser Rechtsnormen zu prüfen. Damit wendet sie der Gerichtshof selbst an; er darf sie aber erst dann anwenden, wenn gegen sie keine Bedenken bestehen. Die Auswirkung des Normenprüfungsverfahrens auf den Einzelfall ist allerdings unerheblich.

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