KI-1/63 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Ein verneinender (negativer) Kompetenzkonflikt liegt vor, wenn zwei Behörden in derselben Sache angerufen wurden und beide Behörden die Entscheidung in der Sache selbst abgelehnt haben, und zwar eine zu Unrecht. Ob die Ablehnung der Sachentscheidung aus dem Grunde der Unzuständigkeit oder wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges erfolgt, macht keinen Unterschied aus.
Die Schiedsgerichte der Sozialversicherung sind keine ordentlichen Gerichte. Auch das Oberlandesgericht Wien, das nach seiner organisatorischen Stellung an sich ein ordentliches Gericht ist, ist in seinem ihm durch das ASVG zugewiesenen Zuständigkeitsbereich als Rechtsmittelgericht über den Schiedsgerichten der Sozialversicherung wegen des funktionellen Zuständigkeitszusammenhanges ein "anderes Gericht" i. S. des Art. 138 Abs. 1 lit. b letzter Halbsatz B-VG.
Zwischen diesen Gerichten und einem ordentlichen Gerichte ist somit bei Zutreffen der übrigen Voraussetzungen ein Kompetenzkonflikt möglich.
Die ordentlichen Gerichte sind zur Feststellung, ob es sich bei einem bestimmten Unfall um einen versicherungsgeschützten Arbeitsunfall handelt, nicht zuständig. Die Ansprüche eines nach dem ASVG Versicherten sind in materiellrechtlicher und verfahrensrechtlicher Hinsicht im ASVG in abschließender Weise geregelt. Zur Handhabung des Gesetzes sind ausschließlich die Versicherungsträger, die Verwaltungsbehörden, die Schiedsgerichte der Sozialversicherung und das Oberlandesgericht Wien berufen. Liegt kein Arbeitsunfall vor oder beträgt bei einem Arbeitsunfall die Minderung der Erwerbsfähigkeit weniger als 20 v. H., so gebührt keine Versehrtenrente ({Allgemeines Sozialversicherungsgesetz § 203, § 203 ASVG} . In beiden Fällen ist der Antrag auf Zuerkennung einer Versehrtenrente abzuweisen. Das Vorliegen eines Arbeitsunfalles ist lediglich ein Tatbestandsmerkmal des Anspruches auf die Versicherungsleistung. Das Gesetz schließt es aus, daß über das Vorhandensein dieses Anspruchselementes selbständig - bescheidmäßig oder urteilsmäßig - entschieden werden könnte. Da ein Arbeitsunfall an und für sich - ohne das Hinzutreten einer Erwerbsminderung in dem vom Gesetze bestimmten Ausmaß - keinen Anspruch auf die Versicherungsleistung der Versehrtenrente gibt, so begründet er auch kein Recht oder Rechtsverhältnis gegenüber dem Sozialversicherungsträger, seine Feststellung hätte den Charakter der Lösung einer abstrakten Rechtsfrage. Die abschließende Regelung im ASVG läßt für eine Anwendung des {Zivilprozeßordnung § 228, § 228 ZPO} keinen Raum. Die Rechtskraft einer Abweisung des Anspruches auf eine Versehrtenrente mangels einer entsprechenden Einbuße an Erwerbsfähigkeit steht einer neuerlichen Entscheidung nicht entgegen, wenn sich in der Folge eine Erhöhung der Erwerbseinbuße eingestellt hat.