JudikaturVfGH

G15/62 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
27. März 1963

Die Bestimmungen des § 20 Abs. 1, § 50, § 52 Abs 1 und des § 56 Abs. 1 Ärztegesetz sind in Handhabung des Kompetenztatbestandes "Einrichtungen beruflicher Vertretungen, soweit sie sich auf das ganze Bundesgebiet erstrecken, mit Ausnahme solcher auf land- und forstwirtschaftlichem Gebiet" ({Bundes-Verfassungsgesetz Art 10, Art. 10 Abs. 1 Z 8 B-VG}) und des Kompetenztatbestandes "berufliche Vertretungen, soweit sie nicht unter Art. 10 fallen, jedoch mit Ausnahme jener auf land- und forstwirtschaftlichem Gebiet" ({Bundes-Verfassungsgesetz Art 11, Art. 11 Abs 1 Z 2 B-VG}) erlassen worden. Die Bestimmung des § 63 Abs. 1, gemäß der der BM für soziale Verwaltung zur Vollziehung des Gesetzes zuständig ist, ändert daran allein schon deswegen nichts, weil sie hinsichtlich der Ärztekammern in den Bundesländern nur in Verbindung mit der besonderen Vorschrift des § 56 Abs. 1 angewendet werden kann.

Der Unterschied zwischen den beiden Kompetenztatbeständen "Einrichtung beruflicher Vertretungen, soweit sie sich auf das ganze Bundesgebiet erstrecken, mit Ausnahme solcher auf land- und forstwirtschaftlichem Gebiet" ({Bundes-Verfassungsgesetz Art 10, Art. 10 Abs. 1 Z 8 B-VG}) und "berufliche Vertretungen, soweit sie nicht unter Art. 10 fallen, jedoch mit Ausnahme jener auf land- und forstwirtschaftlichem Gebiet " ({Bundes-Verfassungsgesetz Art 11, Art. 11 Abs. 1 Z 2 B-VG}) liegt ausschließlich darin, daß unter den des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 10, Art. 10 B-VG} die beruflichen Vertretungen fallen, "soweit sie sich nicht auf das ganze Bundesgebiet erstrecken" , während unter den des Art. 11 die beruflichen Vertretungen fallen, soweit sie sich nicht auf das ganze Bundesgebiet erstrecken. Aus dem Wortlaut der beiden Stellen des B-VG selbst ergibt sich eindeutig ihr Inhalt.

Es gibt daneben keine diesen Inhalt verändernde Regelung der Verfassung. Durch die Inanspruchnahme eines der beiden Kompetenztatbestände wird die Inanspruchnahme des anderen nicht ausgeschlossen.

Die Bestimmung des {Ärztegesetz 1984 § 23, § 23 ÄrzteG} ist zwar mit "Kammerangehörige" überschrieben. Jedoch nur der erste Satz im Abs. 1 (gemäß dem ordentliche Kammerangehörige alle gemäß § 2 zur Ausübung des ärztlichen Berufes berechtigten Personen sind, sofern sie diesen Beruf auch tatsächlich ausüben) , sowie Abs. 7 (betreffend die Anzeige der Einstellung der Berufsausübung) und Abs. 10 (betreffend die außerordentliche Kammerangehörigkeit) enthalten dieser Überschrift entsprechende Regelungen, die unter den Kompetenztatbestand des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 11, Art. 11 Abs. 1 Z 2 B-VG} zu subsumieren sind.

Vor allem ist aber das in § 23 Abs. 1 letzter Satz enthaltene Verbot, die ärztliche Tätigkeit vor Erhalt der Bestätigung über die Eintragung in die Ärzteliste aufzunehmen, und ist die Entscheidung, ob die Voraussetzungen des § 2 zutreffen, und damit die Entscheidung, ob der Bewerber in die Ärzteliste einzutragen und ihm ein Ärzteausweis auszustellen ist oder nicht (§ 23 Abs. 2 und 3) , nicht als eine Regelung betreffend die Einrichtung der beruflichen Vertretung, sondern als eine Angelegenheit des "Gesundheitswesens" ({Bundes-Verfassungsgesetz Art 10, Art. 10 Abs. 1 Z 12 B-VG}) zu qualifizieren (vgl. auch die Vorschrift des § 2 Abs. 1 lit. e, gemäß der die Eintragung in die Ärzteliste eines der Erfordernisse für die Berufsausübung ist) .

Alle übrigen Bestimmungen des § 23, überdies aber noch § 21 Abs. 2 lit. b - gemäß dieser Gesetzesstelle sind die Ärztekammern besonders berufen, "die Anmeldungen für die Ausübung des ärztlichen Berufes entgegenzunehmen und Verzeichnisse der zur Berufsausübung berechtigten Ärzte (Ärztelisten) zu führen" - und lit. c - gemäß dieser Gesetzesstelle sind die Ärztekammern besonders berufen, "Bestätigungen über die Eintragung in das Verzeichnis der zur Berufsausübung berechtigten Ärzte auszustellen" - stehen mit der Eintragung in die Ärzteliste und mit der Ausstellung des Ärzteausweises in einem untrennbaren Zusammenhang, sie sind ebenfalls dem Kompetenztatbestand "Gesundheitswesen" zu unterstellen. Die genannten Gesetzesstellen lassen sich - wie aufgezeigt - ihrem Wortlaut nach in solche, die dem Art. 10 B-VG zuzuordnen sind, und solche, die unter {Bundes-Verfassungsgesetz Art 11, Art. 11 B-VG} fallen, zerlegen. Die Regelungen betreffend den Rechtszug an den Landeshauptmann (§ 23 Abs. 3 und 8) beziehen sich ausschließlich auf Vorschriften des Gesundheitswesens (Art. 10 B-VG) , sie widersprechen daher nicht der Vorschrift des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 103, Art. 103 Abs. 4 B-VG}. Weder § 23 noch § 21 Abs. 2 lit. b und c haben einen die Vollziehungsbereiche des Bundes und der Länder vermischenden Inhalt. Eine Verfassungswidrigkeit in der Form, daß die Gesetzesstellen eine untrennbare Verknüpfung des Vollzugsbereiches des Bundes mit dem der Länder enthalten, haftet ihnen also nicht an.

Es ist nicht zulässig, daß der Gesetzgeber gemäß Art. 10 B-VG behördliche Zuständigkeiten auf Körperschaften öffentlichen Rechtes überträgt, deren Schaffung und Einrichtung nicht Ausfluß einer der Zuständigkeiten nach {Bundes-Verfassungsgesetz Art 10, Art. 10 B-VG} ist.

Es ist zwar anzunehmen, daß der Bundesverfassungsgesetzgeber es als verfassungsrechtlich zulässig angesehen hat, für vereinzelte Vollziehungsaufgaben Organe von Nicht-Gebietskörperschaften durch Bundesgesetz oder Landesgesetz mit der Vollziehungsgewalt des Bundes bzw. des Landes auszustatten, ihnen also Behördenqualität zu geben.

Diese Annahme kann jedoch - wie der VfGH in seinem Erk. Slg. 3685/1960 ausgeführt hat - nur so weit zutreffen, als sich nicht aus dem durch den Wesensgehalt der Bundesverfassung allgemein bestimmten Aufbau der staatlichen Verwaltung oder aus einzelnen besonderen Bestimmungen der Bundesverfassung eine Einschränkung ergibt. Zum Wesen der Verfassung gehört das föderalistische Prinzip und damit die Trennung der Vollziehungsbereiche des Bundes und der Länder mit einer entsprechenden Trennung der Vollziehungsorgane. Die Verfassung selbst läßt allerdings Ausnahmen von dieser Trennung der Vollziehungsorgane zu. Sie regelt, ob und inwieweit der Bund seine Vollziehung in den Ländern durch Organe der Länder, nämlich durch den Landeshauptmann und die ihm unterstellten Landesbehörden, besorgen lassen kann oder muß (mittelbare Bundesverwaltung) , sie bestimmt, daß der Landesgesetzgeber mit Zustimmung der Bundesregierung die Mitwirkung von Bundesorganen bei der Vollziehung eines Landesgesetzes vorsehen kann oder muß (z. B {Bundes-Verfassungsgesetz Art 97, Art. 97 Abs. 2 B-VG}; § 3 Lehrerdienstrechts- Kompetenzgesetz; {Bundes-Verfassungsgesetz Art 15, Art. 15 Abs. 3 B-VG}) ; sie enthält außerdem eine ausdrückliche Regelung betreffend den vom Bund und von den Ländern an die Gemeinden übertragenen Wirkungskreis ({Bundes-Verfassungsgesetz Art 119, Art. 119 B-VG}) . Es muß angenommen werden, daß über die in der Verfassung ausdrücklich geregelten Fälle hinaus eine Übertragung von Vollziehungsaufgaben an Organe eines anderen Vollziehungsbereiches unzulässig ist.

Im Hinblick auf das zum Wesen der Verfassung gehörende föderalistische Prinzip und der daraus resultierenden Trennung der Vollziehungsbereiche des Bundes und der Länder sowie mangels einer diesbezüglichen Ausnahme in der Verfassung erscheint es unzulässig, daß die Bundesgesetzgebung Vollziehungsaufgaben des Bundes an Körperschaften öffentlichen Rechtes überträgt, die im Rahmen der Landesvollziehung eingerichtet sind.

Durch die (gesetzliche) Einrichtung eines Instanzenzuges von einer Behörde des Landesvollziehungsbereiches zu einer Behörde des Bundesvollziehungsbereiches wird eine Verbindung zwischen den beiden Vollziehungsbereichen hergestellt. Dies widerspricht aber dem der Verfassung innewohnenden Gebot, daß der Vollziehungsbereich des Bundes von dem der Länder absolut getrennt sein muß. Und zwar liegt die Verfassungswidrigkeit im Instanzenzug als ganzem, zu dem die Unterinstanz wesensnotwendig gehört.

Aus § 50 und 52 Abs. 1 ÄrzteG ergibt sich nicht, daß die Österreichische Ärztekammer in verfassungswidriger Weise mit den Ärztekammern in den Bundesländern zu einer organisatorischen Einheit verbunden waren. Die Tätigkeit, die die Ärztekammern in ihrer Eigenschaft als Mitglieder der Österreichischen Ärztekammer (durch ihre Präsidenten und Vizepräsidenten in der Vollversammlung der Österreichischen Ärztekammer) entfalten, fällt nicht unter Art. 11 Abs. 1 Z 2 B-VG. Diese Tätigkeit wird nicht im Vollziehungsbereiche des betreffenden Landes ausgeübt und daher auch nicht von der Landesregierung überwacht; sie ist vielmehr der Österreichischen Ärztekammer zuzurechnen und fällt daher unter die Aufsicht des BM für soziale Verwaltung. Es handelt sich um die Erfüllung der Pflichten aus der Zwangsmitgliedschaft, die den Ärztekammern in den Ländern durch eine auf Grund der Kompetenzbestimmung des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 10, Art. 10 Abs. 1 Z 8 B-VG} erlassene Vorschrift auferlegt worden sind. Diese Pflichtenerfüllung ragt ebensowenig über den Vollziehungsbereich des Bundes hinaus, wie die Befolgung der auf Grund des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 11, Art. 11 Abs. 1 Z 2 B-VG} erlassenen Vorschrift über die Pflichten der Ärzte im Zusammenhang mit der Zwangsmitgliedschaft bei den Ärztekammern in den Bundesländern über den Vollziehungsbereich der Länder hinausragt.

Eine Vermischung der Tätigkeit der Ärztekammern in den Bundesländern, die sie in ihrer Eigenschaft als Mitglieder der Österreichischen Ärztekammer entfalten, mit ihrer Tätigkeit im Vollziehungsbereich der Länder liegt nicht vor. Eine rechtliche Verbindung zwischen dem Vollziehungsbereich des Bundes einerseits und dem der Länder andererseits besteht nicht.

§ 49 Abs. 2 lit. j ÄrzteG darf nur im Zusammenhang mit § 49 Abs. 1 gehandhabt werden. Eine verfassungswidrige Vermischung der Vollziehungsbereiche liegt demnach auch hier nicht vor. Eine Verfassungswidrigkeit in anderer Hinsicht ist auch nicht hervorgekommen.

§ 49 Abs. 2 lit. k ÄrzteG wendet sich ausschließlich an die Österreichische Ärztekammer. Der Wirkungsbereich der Ärztekammern in den Bundesländern wird durch sie rechtlich nicht berührt.

Die Österreichische Ärztekammer wird bei der Stellung von Anträgen gemäß § 52 Abs. 9 lit. b ÄrzteG ebenso ausschließlich im Vollziehungsbereich des Bundes tätig, wie der BM für soziale Verwaltung bei der Erlassung der diesbezüglichen Verordnungen in diesem Vollziehungsbereich handelt.

Der Disziplinarrat ist im Vollziehungsbereich des Landes tätig, dagegen handelt der Disziplinarsenat im Vollziehungsbereiche des Bundes. Durch den Instanzenzug wird eine Verbindung zwischen den beiden Vollziehungsbereichen hergestellt. Dies widerspricht aber dem der Verfassung innewohnenden Gebot, daß der Vollziehungsbereich des Bundes von dem der Länder absolut getrennt sein muß. Es sind daher die §§ 41, 42, 43, 44 Abs. 2, 45 Abs. 5 ÄrzteG verfassungswidrig.

Ebenso ist § 47 verfassungswidrig.

Mit Hoheitsbefugnissen ausgestattete Körperschaften sind Körperschaften öffentlichen Rechtes.

Hat die antragstellende Regierung keine Begründung für ihre Behauptung gegeben, daß die gesetzlichen Bestimmungen, auf die sich der Antrag bezieht, verfassungswidrig seien, so ist dieser Antrag wegen dieses Mangels im Hinblick auf § 62 Abs. 1 letzter Satz VerfGG 1953 zurückzuweisen.

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