B216/62 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Gegen den § 72 Abs. 1 bis 4 EStG 1953 bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken; insbesondere nicht im Hinblick auf {Bundes-Verfassungsgesetz Art 83, Art. 83 Abs. 2 B-VG} oder den Gleichheitssatz.
Durch eine meritorische gesetzliche Regelung kann der Vorschrift des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 83, Art. 83 Abs. 2 B-VG} nicht widersprochen werden. Ein Gesetz, das selbst unmittelbar die Zuständigkeit ausreichend bestimmt, kann unmöglich der genannten Verfassungsvorschrift widersprechen.
Aus § 72 Abs. 1 und 2 leg. cit. ergibt sich eindeutig, daß der Arbeitnehmer zwar Steuerschuldner ist, aber nur in den dort taxativ aufgezählten wenigen Fällen von der Behörde in Anspruch genommen werden darf, während sich die Behörde im übrigen unmittelbar und ausschließlich an den Arbeitgeber als den für die Einbehaltung und die Abfuhr der Lohnsteuer Haftenden zu halten hat. Dem Arbeitnehmer steht in diesem Fall, wenn er vermeint, es sei die Steuer zu Unrecht abgezogen und abgeführt worden, die Möglichkeit offen, die Rückzahlung gemäß {Bundesabgabenordnung § 239, § 239 BAO}, BGBl. Nr. 194/1961 (früher gemäß § 150 ff. Abgabenordnung) , zu fordern. Nun deutet im § 72 Abs. 3 EStG 1953 nichts darauf hin, daß von der in Abs. 1 und 2 getroffenen grundlegenden Regelung abgegangen werden soll, wenn es sich um die Nachforderung der Lohnsteuer handelt. Es wird im Gegenteil ausdrücklich vorgeschrieben, daß gegen "die in den Abs. 1 und 2 genannten Personen" ein Nachforderungsbescheid zu erlassen ist und nicht etwa gegen die Arbeitgeber und Arbeitnehmer schlechthin. Wird dazu noch in Betracht gezogen, daß es offensichtlich Zweck der Zitierung der Abs. 1 und 2 in Abs. 3 ist, den im Abs. 1 und 2 enthaltenen Grundgedanken, die Arbeitnehmer - wie oben umschrieben - nur ausnahmsweise unmittelbar in Anspruch zu nehmen, auch im Fall der Lohnsteuernachforderung zu verwirklichen, so muß der Regelung des Abs. 3 der Inhalt beigemessen werden, daß ein Lohnsteuernachzahlungsbescheid gegen den Arbeitnehmer gemäß § 72 Abs. 3 EStG 1953 nur dann zu erlassen ist, wenn ein Fall der Inanspruchnahme des Arbeitnehmers i. S. des § 72 Abs. 2 leg. cit. gegeben ist.
Nachforderungsbescheide i. S. des § 72 Abs. 3 EStG 1953, die, weil kein Fall des Abs. 2 vorliegt, nur gegen Arbeitgeber erlassen werden, haben keine Rechtskraftwirkung gegen den Arbeitnehmer; sie begründen daher dem Arbeitnehmer gegenüber keine Rechte noch stellen sie Rechte oder Tatsachen fest. Der in der Regelung liegende Ausschluß des Arbeitnehmers als Steuerschuldner von der Parteistellung und die damit geschaffene verschiedene Behandlung im Vergleich zum haftenden Arbeitgeber erscheint nicht unsachlich.
Der {Bundesabgabenordnung § 92, § 92 BAO} hat dem § 72 Abs. 3 EStG 1953 nicht derogiert.