JudikaturVfGH

G1/62 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
19. Dezember 1962

Der Art. II Abs. 4, der Art. V Abs. 1 Z 1, 3 und 5 und die in Z 15 enthaltenen Worte" oder Darlehen aufzunehmen und für den Wohnungsbau zu verwenden ", schließlich der Art. VI des Bundesgesetzes vom 13. Dezember 1961 betreffend das Bundesfinanzgesetz für das Jahr 1962, BGBl. Nr. 1/1962, werden als verfassungswidrig aufgehoben.

Der Art. II Abs. 3, Abs. 5 und Abs. 6 der Art. III Abs. 2 und der Art. V Abs. 1 Z 2 des Bundesgesetzes vom 13. Dezember 1961, betreffend das BFG für das Jahr 1962, BGBl. Nr. 1/1962, werden nicht als verfassungswidrig aufgehoben.

Gesetzgeber bei der Bewilligung des Bundesvoranschlages nach {Bundes-Verfassungsgesetz Art 51, Art. 51 B-VG} ist gemäß {Bundes-Verfassungsgesetz Art 42, Art. 42 Abs. 5 B-VG} der Nationalrat allein. Er hat seine Gesetzgebungstätigkeit (Mitwirkung an der Vollziehung) in Form von einjährigen Finanzgesetzen, ausnahmsweise auch in Form von Sondergesetzen (Nachtragsgesetzen oder Budgetprovisorien) , auszuüben.

Die Bundesverfassung enthält weder eine Ermächtigung an den aus Nationalrat und Bundesrat bestehenden einfachen Gesetzgeber zur Ausführung von Bestimmungen des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 51, Art. 51 B-VG} noch eine Ermächtigung an den nur aus dem Nationalrat bestehenden Gesetzgeber, generelle, über ein Finanzjahr hinausgehende Regelungen betreffend die Bewilligung von Ausgaben zu treffen. Dem aus Nationalrat und Bundesrat bestehenden Gesetzgeber mangelt daher sowohl die Zuständigkeit zur Erlassung genereller Normen betreffend die Bewilligung des Bundesvoranschlages als auch zur Fassung von Gesetzesbeschlüssen hinsichtlich einzelner Finanzjahre. Letzteres ist ausschließlich Sache des Nationalrates. Generelle, also nicht bloß auf ein Finanzjahr beschränkte Regelungen hinsichtlich der Bewilligung des Bundesvoranschlages kann aber nur der Bundesverfassungsgesetzgeber treffen.

Die Punkte X und XII im Art. 6 des Verwaltungsentlastungsgesetzes regeln in Wahrheit Fragen der Bewilligung des Bundesvoranschlages.

Sie erteilen unter den dort angeführten Voraussetzungen die Bewilligung zur Überschreitung der im BFG festgestellten Kredite. Sie bewilligen also Ausgaben, die im BFG nicht bewilligt sind. Diese Regelung wird nicht bloß in Form eines für ein bestimmtes Finanzjahr erfolgenden Gesetzesbeschlusses (Aktes der Mitwirkung an der Vollziehung) , sondern generell getroffen. Da eine solche Regelung nur durch Bundesverfassungsgesetz erfolgen kann, waren die Punkte X und XII des Art. 6 VEG schon aus diesem Grunde als verfassungswidrig aufzuheben.

Die von der Bundesverfassung dem Nationalrat übertragenen Aufgaben der Mitwirkung an der Vollziehung schaffen für den Nationalrat nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten. Der Nationalrat kann eine ihm durch die Bundesverfassung eingeräumte Zuständigkeit ohne besondere Ermächtigung des Verfassungsgesetzgebers weder übertragen noch auf sie verzichten. Er kann sie ohne verfassungsgesetzliche Ermächtigung weder einschränken noch ausdehnen.

Aus {Bundes-Verfassungsgesetz Art 42, Art. 42 Abs. 5 B-VG} ergibt sich, daß bei der Erstellung des Bundesvoranschlages die Mitwirkung des Nationalrates an der Vollziehung in der Weise erfolgt, daß der Nationalrat in Form eines Bundesgesetzes, gegen welches dem Bundesrat kein Einspruchsrecht zusteht, den Bundesvoranschlag bewilligt.

Der {Bundes-Verfassungsgesetz Art 51, Art. 51 Abs. 1 B-VG} bestimmt, daß von der Bundesregierung dem Nationalrat spätestens 10 Wochen vor Ablauf des Finanzjahres ein Voranschlag der Einnahmen und Ausgaben für das folgende Finanzjahr vorzulegen ist. Wie sich aus {Bundes-Verfassungsgesetz Art 51, Art. 51 Abs. 3 B-VG} ergibt, ist die Vorlage eines Bundesvoranschlagsentwurfes gemeint, der erst durch die Bewilligung im BFG zum Bundesvoranschlag wird.

Der Bundesvoranschlag hat eine Spezialisierung der Ausgaben mindestens hinsichtlich ihrer Art vorzunehmen und für die einzelnen Arten der Ausgaben Kredite festzustellen. Die Vollziehung ist an die bewilligten Kredite gebunden. Aus dem Ausdruck" Kredite "ergibt sich, daß es sich um Ermächtigungen handelt, bis zu den bewilligten Beträgen Ausgaben zu tätigen. {Bundes-Verfassungsgesetz Art 51, Art. 51 B-VG} sieht eine andere Form der Bewilligung von Ausgaben als durch Kredite, also ziffernmäßige Festsetzung von Beträgen, nicht vor. Der Nationalrat darf die Höhe der Ausgaben daher auch nicht in anderer Form umschreiben. Dies gilt auch, wenn der Gesetzgeber das Budget flexibel gestalten will, etwa indem er unter bestimmten Voraussetzungen für eine Ausgabenart einen zusätzlichen Kredit bewilligt. Der Betrag muß ziffernmäßig festgesetzt oder unmittelbar oder mittelbar aus dem Bundesvoranschlag selbst ziffernmäßig errechenbar sein. Ein ziffernmäßiger Vergleich der veranschlagten Einnahmen mit den bewilligten Ausgaben muß möglich sein. Der Begriff" Einsparungen "als Mittel, durch welches die Mehrausgaben ermöglicht werden sollen, ist vollkommen unbestimmt.

Darunter kann sowohl die sparsame Durchführung bewilligter Vorhaben als auch die Nichtdurchführung vollkommen unbestimmter einzelner bewilligter Aufgaben oder Vorhaben verstanden werden. Es ist auch nicht bestimmt, wo und wie eingespart werden soll.

Hat die antragstellende Regierung keine Begründung für ihre Behauptung gegeben, daß die gesetzlichen Bestimmungen, auf die sich der Antrag bezieht, verfassungswidrig seien, so ist dieser Antrag wegen dieses Mangels im Hinblick auf § 62 Abs. 1 letzter Satz VerfGG 1953 zurückzuweisen.

Die Übernahme von Bundeshaftung im Zusammenhang mit der Durchführung kurzfristiger Kreditoperationen des Bundes ist eine Verfügung über Bundesvermögen.

Eine an die Vollziehung erteilte gesetzliche Ermächtigung, über Bundesvermögen zu verfügen, ohne daß der Inhalt der Rechtsgeschäfte bestimmt wird, ist verfassungswidrig.

Eine an einen BM erteilte gesetzliche Ermächtigung zur Durchführung von Kreditoperationen des Bundes, die wohl den Zweck der Kreditoperationen nennt und auch die Höhe begrenzt, aber keine weiteren Bestimmungen über den Inhalt der abzuschließenden Rechtsgeschäfte enthält, verletzt die Budgethoheit des Nationalrates, weil sie die Zuständigkeit des Nationalrates zur Aufnahme oder Konvertierung von Bundesanleihen an den BM in verfassungswidriger Weise delegiert. Sie verletzt auch den in Art. 18 Abs. 1 B-VG verankerten Grundsatz, daß die gesamte staatliche Verwaltung nur auf Grund der Gesetze ausgeübt werden darf, weil sie die Verwaltungsbehörde zu einem Handeln ermächtigt, das nicht durch das Gesetz vorausbestimmt ist.

Die dem BM für Finanzen erteilte gesetzliche Ermächtigung, zur vorübergehenden Kassenstärkung bis zu einem bestimmten Betrag kurzfristige Kreditoperationen im Inland und Ausland mit einer Laufzeit bis Ende desselben Jahres durchzuführen, ist nicht verfassungswidrig, weil diese Kreditoperationen nicht der Aufnahme einer Anleihe, sondern lediglich der vorübergehenden Kassenstärkung dienen und sie hinsichtlich des Höchstausmaßes, der Höchstdauer und, da sie gewöhnlich durch Hingabe von Schatzscheinen vorgenommen werden, auch in der Höhe der Verzinsung bestimmt sind.

Eine gesetzliche Ermächtigung, Bundesschuldverpflichtungen zu prolongieren, die keine Bestimmung über die Zeit der Prolongation enthält, ist ebenso eine verfassungswidrige Delegation der von der Bundesverfassung festgelegten Zuständigkeit des Nationalrates und widerspricht ebenso dem {Bundes-Verfassungsgesetz Art 18, Art. 18 Abs. 1 B-VG} wie eine Ermächtigung zur Änderung der Bedingungen oder Konsolidierung von Bundesschuldverpflichtungen ohne nähere Bestimmung, welche Änderungen vorgenommen werden sollen.

Ist der Wortlaut der Bestimmung eindeutig, so ist es nicht möglich, auf die historische Interpretation zurückzugreifen. Zur historischen Interpretation ist nur dann zu greifen, wenn die Ausdrucksweise des Gesetzes zweifelhaft ist.

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