KI-4/59 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Ein in einem Landesgesetz enthaltener deklarativer Hinweis auf eine vom Bunde erlassene Vorschrift ist verfassungsrechtlich unbedenklich.
Hat eine Agrarbehörde ausgesprochen, daß ein Rechtsgeschäft von allen Stempelgebühren und Rechtsgebühren (einschließlich der Gerichtsgebühren) befreit ist, die Justizverwaltung aber hinsichtlich dieses Rechtsgeschäftes einen Zahlungsauftrag betreffend die Gerichtsgebühren erlassen, so liegt ein Konflikt gemäß § 47 VerfGG 1953 vor.
Entsteht der Konflikt zwischen einer Agrarbezirksbehörde und einer Justizverwaltungsbehörde, so ist die Landesregierung "beteiligte Regierung" i. S. des § 47 VerfGG 1953.
Oberste Verwaltungsbehörde des Bundes oder eines Landes i. S. des § 42 VerfGG ist immer jene, in deren Zuständigkeitsbereich die den Gegenstand des Streites bildende Leistung fällt.
Der VfGH ist der Meinung, daß die Materie der Vorschreibung (Einhebung und Eintreibung) von Gerichtsgebühren eine Angelegenheit der Justizverwaltung ist.
Die Materie der Gerichts- und Justizverwaltungsgebühren ist eine Angelegenheit der "Bundesfinanzen, insbesondere öffentliche Abgaben, die ausschließlich oder teilweise für den Bund einzuheben sind; .... " , die nach {Bundes-Verfassungsgesetz Art 10, Art. 10 Abs. 1 Z 4 B-VG} in die Zuständigkeit des Bundes nach Gesetzgebung und Vollziehung fällt.
Ein Beamter des Gerichtes (Kostenbeamter: § 6 Abs. 1 Gerichtliches Einbringungsgesetz 1948, BGBl. Nr. 109/1948) hat die Ausfertigungen des Zahlungsauftrages herzustellen und unter der Bezeichnung des Gerichtes zu unterfertigen (§ 11 Abs. 1 und 2 Gerichtliche Einbringungsverordnung und Amtswirtschaftsverordnung, BGBl. Nr. 185/1948) und sämtliche Ausfertigungen des Zahlungsauftrages der Einbringungsstelle zu übersenden, welche sie an den Zahlungspflichtigen zustellt. Die Erlassung eines Zahlungsauftrages über Gerichtsgebühren ist somit nicht das Ergebnis einer richterlichen Tätigkeit. Über einen Berichtigungsantrag gegen einen Zahlungsauftrag entscheidet der Präsident des Gerichtshofes erster Instanz, wenn aber der Zahlungsauftrag von einem Oberlandesgericht erlassen wurde, der Präsident dieses Gerichtshofes, und zwar nach der ausdrücklichen Vorschrift des {Gerichtliches Einbringungsgesetz 1962 § 7, § 7 Abs. 3 GEG} 1948, BGBl. Nr. 109/1948, im Justizverwaltungsverfahren durch Bescheid. Nach § 7 Abs. 6 GEG 1948 ist ein Rechtsmittel gegen den Berichtigungsbescheid ausgeschlossen. Ein solcher Bescheid ist jedoch vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechtes bekämpfbar.
In den Angelegenheiten der Bodenreform ist nach {Bundes-Verfassungsgesetz Art 12, Art. 12 Abs. 1 B-VG} die Erlassung von Ausführungsgesetzen und die Vollziehung Landessache. {Bundes-Verfassungsgesetz Art 12, Art. 12 Abs. 2 B-VG} enthält eine hievon abweichende Sonderregelung für die Vollziehung nur für die Entscheidung in oberster Instanz und in der Landesinstanz. Was die Agrarbehörden erster Instanz anlangt, so ist die Bundesgesetzgebung nur zur Regelung der Grundsätze für deren Einrichtung ermächtigt, die Ausführungsgesetzgebung ist Landessache. Die Agrarbehörden erster Instanz sind somit im Landesvollziehungsbereich tätig.
Ist das Amt der Landesregierung Agrarbezirksbehörde (§ 3 Abs. 2 Agrarbehördengesetz 1950) , so ist die Landesregierung dem Amt gegenüber weder sachlich in Betracht kommende Oberbehörde noch oberste Verwaltungsbehörde. Sachlich in Betracht kommende Oberbehörde ist der Landesagrarsenat (§ 2 Abs. 2 Agrarverfahrensgesetz) .
§ 15 AgrVG ist eine unmittelbar wirksame abgabenrechtliche Bundesvorschrift.
Das Vorliegen eines Kompetenzkonfliktes ist eine Voraussetzung für die Entscheidung des VfGH. Das Fehlen dieser Voraussetzung macht den Antrag aus dem Grunde der Unzuständigkeit des VfGH unzulässig.
Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Kompetenzkonflikt gegeben ist, ist der VfGH nicht an die Qualifikation des Sachverhalts durch die antragstellende Partei gebunden. Er hat den unterbreiteten Sachverhalt nach seiner wahren Rechtsnatur zu untersuchen.
Ist das Amt der Landesregierung Agrarbezirksbehörde (§ 3 Abs. 2 AgrBeh 1950) , so ist die Landesregierung dem Amt gegenüber weder sachlich in Betracht kommende Oberbehörde noch oberste Verwaltungsbehörde. Die Landesregierung ist demnach nicht i. S. des § 42 VerfGG legitimiert.
Innerhalb des § 53 zweiter Satz FGG 1951 ist § 49 keine Grundsatzbestimmung, sondern ein Element des gesetzlichen Tatbestandes.
Der VfGH ist nicht berufen, zur Frage der richtigen Auslegung des § 53 FGG Stellung zu nehmen. Nur so viel kann gesagt werden, daß die im § 49 vorgesehene Erklärung der Agrarbehörde, daß ein Kaufvertrag oder Tauschvertrag für die Flurverfassung vorteilhaft ist, für die Justizverwaltungsbehörden ein Sachverhaltselement ist und daß es ihnen nicht zukommt, diese Erklärung dahin zu prüfen, ob die Agrarbehörde die maßgeblichen Verhältnisse richtig beurteilt hat.
Wenn die Justizverwaltungsbehörde es dennoch täte, so handelte sie noch immer nicht unzuständigerweise, ihre Entscheidung wäre nur wegen Nichtbeachtung des Sachverhaltselementes rechtswidrig.
Daß § 15 AgrVG 1950 eine unmittelbar wirksame abgabenrechtliche Bundesvorschrift ist, kann nicht bezweifelt werden. Sie gewährt eine sachliche Gebührenfreiheit, wie sie {Gerichtsgebührengesetz § 12, § 12 Gerichtsgebührengesetz} und Justizverwaltungsgebührengesetz, BGBl. Nr. 75/1950, vorhergesehen hat. Dasselbe gilt aber auch für § 53 FGG 1951. Es ist zwar ein rechtstechnischer Mangel, daß nicht ausdrücklich hervorgehoben wurde, daß es sich um unmittelbar anwendbares Bundesrecht handelt, doch ist angesichts des Inhaltes der Vorschrift und der Kompetenzlage hieran jeglicher Zweifel ausgeschlossen. § 59 FGG 1951 betraut denn auch mit der Vollziehung des § 53 das BM für Finanzen.
§ 112 des Tir. Flurverfassungs-Landesgesetzes, LGBl. Nr. 32/1952, demzufolge hinsichtlich der Befreiung von Abgaben die Bestimmungen des § 15 AgrVG 1950 gelten, ist weder eine landesgesetzliche Ausführungsbestimmung zu einer Bundesgrundsatznorm noch auch eine selbständige landesgesetzliche Regelung über Bundesabgaben, sondern lediglich ein deklarativer Hinweis auf eine vom Bunde erlassene Vorschrift, was verfassungsrechtlich unbedenklich ist.
Das BM für Justiz ist die oberste Justizverwaltungsbehörde des Bundes. In seinen Aufgabenbereich fallen auch die " Justizverwaltungssachen" . Nun besagt {Bundes-Verfassungsgesetz Art 87, Art. 87 Abs. 2 B-VG}, daß sich ein Richter bei Erledigung einer Justizverwaltungssache nicht in Ausübung seines richterlichen Amtes befindet. Dies bedeutet, daß - als Ausnahme von der grundlegenden Vorschrift des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 94, Art. 94 B-VG}, wonach die Justiz von der Verwaltung in allen Instanzen getrennt ist - in Justizverwaltungssachen sonst unabhängige Richter als weisungsgebundene Verwaltungsbeamte tätig sein dürfen. Damit hat - im übrigen schon durch § 6 des Grundgesetzes vom 22. November 1918, StGBl. Nr. 38, über die richterliche Gewalt - § 73 des Gerichtsorganisationsgesetzes, nach welchem die Gerichte hinsichtlich der Geschäfte der Justizverwaltung dem BM für Justiz untergeordnet sind, die verfassungsgesetzliche Deckung erhalten. Die Erledigung einer Justizverwaltungssache durch einen Richter ist somit keine gerichtliche Tätigkeit, denn eine solche liegt nur vor, wenn ein mit den Garantien der Unabsetzbarkeit und Unversetzbarkeit ausgestattetes unabhängiges Organ tätig wird.
§ 73 des GOG, nach welchem die Gerichte hinsichtlich der Geschäfte der Justizverwaltung dem BM für Justiz untergeordnet sind, ist verfassungsrechtlich gedeckt.
Zur Beurteilung der Frage, ob die Voraussetzungen für eine Befreiung von Gerichtsgebühren gegeben sind, sind - auch wenn es sich um eine Gebührenfreiheit gemäß § 53 Flurverfassungs-Grundsatzgesetz 1951 bzw. § 15 AgrVG handelt - ausschließlich die mit deren Verwaltung betrauten Justizverwaltungsbehörden zuständig. Im besonderen sind daher nur diese Behörden zur Handhabung des § 53 FGG 1951, BGBl. Nr. 103, zuständig und nur ihnen obliegt die Entscheidung, ob ein Kaufvertrag oder Tauschvertrag den Bestimmungen des § 49 FGG 1951 entspricht.