V35/59 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Die Klausel des {Allgemeines Sozialversicherungsgesetz § 31, § 31 Abs. 2 ASVG} "Wahrnehmung des allgemeinen Interesses der Sozialversicherung" umschreibt den gesetzlichen Wirkungskreis des Hauptverbandes überhaupt. Die im Gesetze aufgezählten Einzelfälle (vgl. die Einleitungsworte des § 31 Abs. 3: "Ihm obliegt insbesondere: .....") sind diesem Oberbegriff unterzuordnen, wobei allerdings bei den namentlich aufgezählten Kompetenzen die Frage, ob es sich um allgemeine Interessen handelt, nicht aufgeworfen werden kann. Man kann daher nicht sagen, daß eine Angelegenheit zwar zum gesetzlichen Wirkungskreis des Hauptverbandes gehöre, aber nicht die allgemeinen Interessen der Sozialversicherung zu berühren brauche.
Der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger ist in mancher Beziehung mit hoheitlichen Befugnissen ausgestattet. Er ist daher jedenfalls auch Behörde. Darum ist ein von ihm erlassener und mit dem Anspruch auf Befolgung ausgestatteter genereller Verwaltungsakt eine Verordnung i. S. des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 139, Art. 139 B-VG}.
§ 455 Abs. 2 hat die Angelegenheit "Mustersatzung" abschließend geregelt und ist somit gegenüber dem {Allgemeines Sozialversicherungsgesetz § 31, § 31 ASVG} die lex specialis.
§ 39 Abs. 4 lit. d der vom Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger am 15. Oktober 1956 beschlossenen und am 20. November 1956 vom BM für soziale Verwaltung genehmigten Mustersatzung wird als gesetzwidrig aufgehoben.
Zufolge § 449 Abs. 1 kann sich zwar die staatliche Aufsicht über die Versicherungsträger auch auf Fragen der Zweckmäßigkeit der Gebarung erstrecken, sie soll sich jedoch auf wichtige Fragen beschränken und in das Eigenleben und in die Selbstverantwortung der Versicherungsträger nicht unnötig einmengen. Der Grundsatz des Eigenlebens und der Selbstverantwortung manifestiert sich vor allem in der Befugnis, sich eine Satzung zu geben. Diese Befugnis wird von der Hauptversammlung des Sozialversicherungsträgers ausgeübt, welche aus Versicherungsvertretern, die von den öffentlichrechtlichen Interessenvertretungen der Dienstnehmer und Dienstgeber entsendet werden (§§ 421, 427 ASVG) , gebildet wird ({Allgemeines Sozialversicherungsgesetz § 435, § 435 Abs. 1 Z 4 ASVG} . Diese organisatorischen Bestimmungen entsprechen in hohem Maße den Grundsätzen einer Selbstverwaltung. Der Grundsatz einer selbstverantwortlichen Verwaltung durch die einzelnen Versicherungsträger darf nur insoweit durchbrochen werden, als es das Gesetz klar und unmißverständlich anordnet.