JudikaturVfGH

KII-1/59 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
16. März 1960

Die Erlassung des im Entwurf vorgelegten Gesetzes betreffend die Novellierung des Tierseuchenfondsgesetzes vom 1. August 1950, LGBl. für Kärnten Nr. 18 fällt gemäß {Bundes-Verfassungsgesetz Art 15, Art. 15 Abs. 1 B-VG} in die Zuständigkeit des Landes Krnt.

Die Einrichtung eines Fonds zur Leistung von Beihilfen in wirtschaftlichen Notfällen betrieblicher Art, hervorgerufen durch Tierverluste, die nicht durch Seuche oder sonstige Krankheit entstehen, ist eine Angelegenheit, die gemäß {Bundes-Verfassungsgesetz § 15, § 15 Abs. 1 B-VG} in die Zuständigkeit der Länder fällt.

Die Bekämpfung einer wirtschaftlichen Notlage, die durch einen Tierverlust entstanden ist, der nicht infolge einer Seuche oder einer sonstigen Erkrankung eingetreten ist, gehört zu keiner der Angelegenheiten (Kompetenztatbestände) , deren gesetzliche Regelung durch Art. 10 - 12 B-VG oder andere Bestimmungen der Bundesverfassung dem Bund vorbehalten ist.

Aus den sich aus dem {Bundes-Verfassungsgesetz Art 10, Art. 10 Abs. 1 Z 13 B-VG} ergebenden komplementären Kompetenztatbeständen ist nur die Zuständigkeit zur Regelung der Organisation einer Stiftung oder eines Fonds abzuleiten.

Soweit die Stiftung oder der Fonds Aufgaben der Hoheitsverwaltung erfüllen soll, richtet sich die Zuständigkeit zur Übertragung dieser Aufgaben und zur Regelung ihrer Abwicklung nach der Zuständigkeit zur Gesetzgebung in der betreffenden Verwaltungsmaterie. Soweit aber die Stiftung oder der Fonds nicht Hoheitsaufgaben erfüllen, sondern die Geschäfte als Träger von privaten Rechten besorgen soll, gelten die Kompetenzverteilungsbestimmungen des B-VG nicht.

Fonds i. S. der Kompetenzartikel des B-VG ist ein Zweckvermögen, das gemäß gesetzlicher Vorschrift als juristische Person organisiert ist.

Handelt es sich um einen Fonds, dessen gesetzliche Regelung nicht unter den Kompetenztatbestand des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 10, Art. 10 Abs. 1 Z 13 B-VG} fällt, so ist der komplementäre Kompetenztatbestand des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 15, Art. 15 Abs. 1 B-VG} wirksam.

Die Bundesverfassung schreibt nicht vor, daß die Vollziehung des Bundes nur durch Organe des Bundes und die der Länder nur durch Organe des betreffenden Landes erfolgen darf. Sie sieht dagegen ausdrücklich vor, daß bestimmte Vollzugsangelegenheiten durch Organe der Gemeinden wahrzunehmen sind. Über die Besorgung der Vollziehung durch andere juristische Personen, also durch Organe anderer juristischer Personen, enthält die Bundesverfassung nichts.

Eine Novelle erfaßt den bereits bestehenden alten Gesetzestext, soweit er Voraussetzungen für den neuen Gesetzgebungsakt ist. Soweit zwischem dem bestehenden Gesetzestext und der Novelle dieser untrennbare Zusammenhang besteht, wird durch die Novelle das Gesetz neu erlassen. Soweit aber dieser Zusammenhang nicht besteht, der alte Gesetzestext also mit der Novelle nichts gemeinsam hat, bleibt das frühere Gesetz für sich allein unberührt bestehen.

Enthält die Verfassung keine Definition des zur Bezeichnung eines Kompetenztatbestandes verwendeten Begriffes, setzt sie vielmehr den Begriffsinhalt als bekannt voraus, so ist zu ermitteln, in welcher rechtlichen Prägung die Rechtsordnung diesen Begriff im Zeitpunkt der Schaffung des Kompetenztatbestandes verwendet hat.

Maßgeblich für die Feststellung, welcher Kompetenz i. S. der Bundesverfassung ein Gesetz zuzuordnen ist, ist der Inhalt des Gesetzes. Die Besorgung von Aufgaben, die ein Fonds als Träger von Privatrechten abzuwickeln hat, ist keine "Vollziehung" i. S. der Kompetenzbestimmungen der Verfassung.

Es ist anzunehmen, daß der Bundes-Verfassungsgesetzgeber es stillschweigend als verfassungsrechtlich zulässig ansah, für vereinzelte Aufgaben Organe von Nicht-Gebietskörperschaften mit der Vollzugsgewalt des Bundes oder eines Landes auszustatten, ihnen also Behördenqualität zu geben. Dies gilt auch für Fondsorgane. Diese Annahme kann aber nur soweit zutreffen, als sich nicht aus dem durch den Wesensgehalt der Bundesverfassung allgemein bestimmten Aufbau der staatlichen Verwaltung oder aus einzelnen besonderen Bestimmungen der Bundesverfassung eine Einschränkung ergibt. Durch die Übertragung von Hoheitsaufgaben auf Organe von Nicht-Gebietskörperschaften darf daher z. B. nicht in das Wesen der Bezirksverwaltung (§ 8 Abs. 5 Verf-ÜG 1920) oder der Landesschulbehörden (Art. 102 a B-VG, § 42 Verf-ÜG 1920) oder in den selbständigen Wirkungsbereich der Gemeinden (§ 8 Abs. 5 lit. f Verf-ÜG 1920) eingegriffen werden. Es muß u. a. auch das dem {Bundes-Verfassungsgesetz Art 102, Art. 102 B-VG} innewohnende Hindernis, bestimmte Angelegenheiten aus der Kompetenz des Landeshauptmannes als Organ der mittelbaren Bundesverwaltung herauszunehmen, beachtet werden.

Wer - ohne physische Person zu sein - kraft Gesetzes Träger von Rechten und Pflichten ist, die durch Organe wahrgenommen werden, ist juristische Person.

Nach der Bundesverfassung gibt es nur eine Vollziehung des Bundes und eine der Länder.

Ist Gegenstand des Verfahrens der Entwurf einer Novelle zu einem bereits bestehenden Gesetz, so ist zu beachten: Die Novelle erfaßt den bereits bestehenden alten Gesetzestext, soweit er Voraussetzung für den neuen Gesetzgebungsakt ist. Soweit zwischen dem bestehenden Gesetzestext und der Novelle dieser untrennbare Zusammenhang besteht, wird durch die Novelle das Gesetz neu erlassen werden. Soweit aber dieser Zusammenhang nicht besteht, der alte Gesetzestext also mit der Novelle nichts gemeinsam hat, bleibt das frühere Gesetz für sich allein unberührt bestehen. Ein bestehendes Gesetz kann aber nicht Gegenstand eines Verfahrens gemäß {Bundes-Verfassungsgesetz Art 138, Art. 138 Abs. 2 B-VG} sein.

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