In den inneren Angelegenheiten der gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften ist den staatlichen Organen durch Art. 15 StGG jede Kompetenz zur Gesetzgebung und Vollziehung genommen. In diesen Angelegenheiten ist die Tätigkeit der gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften keine staatliche Tätigkeit i. S. der Bundesverfassung; ihre generellen und individuellen Akte sind nicht Verordnungen und nicht Bescheide i. S. der Bundesverfassung.
Die Organe einer gesetzlich anerkannten Kirche oder Religionsgesellschaft könnten nur dann als staatliche Behörden und ihre Akte nur dann als Verordnungen und Bescheide angesehen werden, wenn und soweit ihnen eine Kompetenz in einer äußeren Angelegenheit übertragen ist; sie müßten dann je nach dem Gegenstand dieser äußeren Angelegenheit funktionell als Bundesbehörden und Landesbehörden und ihre Akte als Bundesvollzugsakte oder Landesvollzugsakte qualifiziert werden.
Zu den inneren Angelegenheiten einer gesetzlich anerkannten Kirche oder Religionsgesellschaft zählt auch die Erhebung von Beiträgen zur Deckung ihres Sachbedarfes oder Personalbedarfes. Sie bleibt es auch dann, wenn die so gewonnenen Mittel zur Besorgung von äußeren Angelegenheiten verwendet werden, die der gesetzlich anerkannten Kirche oder Religionsgesellschaft von Staats wegen zur Besorgung übertragen wurden. Denn die Regelung der Frage der Tragung der Kosten für die Besorgung solcher Angelegenheiten ist selbst eine äußere Angelegenheit, die aber die gesetzlich anerkannte Kirche oder Religionsgesellschaft nicht hindert, ihrerseits ohne gesetzliche Verpflichtung diese Kosten aus ihren Mitteln zu tragen.
Die Staatsaufsicht gegenüber den gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften ist der Staatsaufsicht über die Selbstverwaltung vergleichbar. Auch dort ist für manche Akte der Selbstverwaltung die aufsichtsbehördliche Genehmigung vorgesehen.
Durch eine solche aufsichtsbehördliche Genehmigung wird aber das Wesen des Aktes der Selbstverwaltung nicht verändert. Er bleibt ein Akt der Selbstverwaltung und wird nicht zu einem Akt der unmittelbaren Selbstverwaltung. Für den Bereich des Kirchenbeitragswesens gilt das gleiche.
Die Evangelische Kirche A. und H. B. in Österreich ist eine gesetzlich anerkannte Kirche.
§ 4 Abs. 4 der Evangelischen Kirchenbeitragsordnung vom 30. November 1956, ABl. Nr. 20/1957, bestimmt, daß die in glaubensverschiedener, jedoch nicht in gemischt-evangelischer Ehe (A. B. H. B.) lebenden Angehörigen der evangelischen Kirche die Hälfte jenes Kirchenbeitrages zu entrichten haben, der zu leisten wäre, wenn beide Ehegatten der evangelischen Kirche angehören würden. Diese Bestimmung überschreitet bei Normierung der Rechtspflicht der Beitragsleistung nicht den Kreis der Kirchenangehörigen. Sie ist daher eine die inneren Angelegenheiten der evangelischen Kirche betreffende Norm und hat somit ihrem Inhalte nach nicht den Charakter einer Verordnungsnorm "einer Bundes- oder Landesbehörde" .
Die staatsaufsichtliche Genehmigung i. S. des § 3 Abs. 2 des Kirchenbeitragsgesetzes, GBLÖ Nr. 548/1939, schafft nicht erst das Recht der Kirchen zur Einhebung von Kirchenbeiträgen. Sie bedeutet nur den staatlichen Ausspruch gegenüber der betreffenden Kirche, daß vom Standpunkt des Bundes aus gegen die Kirchenbeitragsordnung keine Bedenken bestehen. Sie stellt einen ausschließlich an die Kirche gerichteten Bescheid dar. Darüber hinaus hat sie keine Wirkungen. Sie sagt insbesondere nichts über die Gültigkeit und Verbindlichkeit der KirchenbeitragsO gegenüber den Kirchenmitgliedern aus. Sie bindet daher auch in keiner Weise die Gerichte in der Frage der Verbindlichkeit der KirchenbeitragsO gegenüber den Kirchenmitgliedern. Diese Verbindlichkeit ergibt sich vielmehr aus der Zugehörigkeit der Mitglieder zur betreffenden Kirche und ist daher ausschließlich nach jenen Rechtssätzen zu beurteilen, die die Rechtsverhältnisse der Mitglieder zu ihrer Kirche regeln.
Generelle Verwaltungsakte, die die gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften in ihren inneren Angelegenheiten setzen, sind keine Verordnungen.
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