KII-1/57 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Die Zuständigkeit zur Gesetzgebung auch für Neuregelungen auf dem Gebiete des Volksbildungswesens ist nach der für die Angelegenheiten des Schulwesens, Erziehungswesens und Volksbildungswesens ({Bundes-Verfassungsgesetz Art 14, Art. 14 B-VG}) derzeit geltenden vorläufigen Regelung des § 42 Übergangsgesetz 1920 i. d. F. des V-ÜG 1929 zu beurteilen.
Der VfGH ist der Ansicht, daß diese Unterstellung der Musiklehranstalten aller Art unter den Begriff des Schulwesens, bzw. nach der Kompetenzverteilung des B-VG unter den Begriff des "Schul-, Erziehungs- und Volksbildungswesens" auch nach der heutigen Rechtslage vollkommen gerechtfertigt erscheint. Denn es kann auf keinen Fall geleugnet werden, daß die Erteilung des Musikunterrichtes - sehr zum Unterschied von den lediglich der Förderung des gesellschaftlichen Lebens dienenden Tanzschulen oder der bloßen sportlichen Ertüchtigung dienenden Skischulen und sportlichen Lehranstalten aller anderen Arten - auch sehr wesentliche pädagogische und volkserzieherische Ziele verfolgt und daher geradezu begriffsnotwendig unter den im {Bundes-Verfassungsgesetz Art 14, Art. 14 B-VG} geprägten Begriff " Schul-, Erziehungs- und Volksbildungswesen" subsumiert werden muß.
Man kann daher nicht sagen, daß das provisorische Privatschulgesetz nicht auch Volksbildungszwecken dient.
Der Kompetenzbegriff Schulwesen, Erziehungswesen und Volksbildungswesen ist ein einheitlicher, was seine Trennung nach den Merkmalen "Schule" , "Erziehung" und "Volksbildung" ausschließt. Die Ausdrücke "Änderung der bezüglichen Bundesgesetze" und "Änderung der bezüglichen Landesgesetze" in § 42 Z 3 V-ÜG 1920 besagen nichts anderes als "Änderung des bezüglichen Rechtszustandes " . Es bedarf paktierter Gesetze, wenn nur überhaupt der bestehende Rechtszustand abgeändert werden soll.
Für die unter den Begriff des Schulwesens, Erziehungswesens und Volksbildungswesens fallenden und nicht schon auf Grund spezieller verfassungsrechtlicher Grundlagen geregelten Angelegenheiten gilt kraft der verfassungsrechtlichen Rezeption des § 42 Z 3 V-ÜG 1929 auch heute noch hinsichtlich der Gesetzgebung die Kompetenzregelung des Grundsatzgesetzes über die Reichsvertretung vom 21. Dezember 1867, RGBl. Nr. 141, nach welcher dem Reiche (Staate) nur die Feststellung der Grundsätze des Unterrichtswesens bezüglich der Volksschulen und Gymnasien und die Gesetzgebung über die Universitäten vorbehalten sind, während alle übrigen Akte der Gesetzgebung in die Länderkompetenz fallen (§ 11 lit. i und § 12 .
Das Gesetz vom 25. Feber 1920, StGBl. Nr. 98, über Kammern für Handel, Gewerbe und Industrie hat im § 2, der vom Wirkungskreis handelt, diesen Kammern als beratenden Körpern auch die Aufgabe übertragen, Einrichtungen und Anstalten zur Förderung des Handels, des Gewerbes, der Industrie und des Exportes oder des diesen Erwerbszweigen dienenden Bildungswesens selbst ins Leben zu rufen oder an der Einrichtung und Verwaltung solcher Institutionen mitzuwirken (§ 2 Abs. 2 Z 2) . Dieser Zweig des Bildungswesens ist daher als eine Angelegenheit des Gewerbes und der Industrie oder der Kammern für Handel, Gewerbe und Industrie ({Bundes-Verfassungsgesetz Art 10, Art. 10 Abs. 1 Z 8 B-VG} qualifiziert. Ähnlich berief das Gesetz vom 26. Feber 1920, StGBl. Nr. 100, über die Errichtung von Kammern für Arbeiter und Angestellte (Arbeiterkammern) , diese Kammern, zur Förderung der fachlichen, der allgemeinen geistigen und körperlichen Ausbildung der Arbeiter und Angestellten und zur Heranbildung des Nachwuchses der Arbeiterschaft Einrichtungen und Anstalten ins Leben zu rufen und zu verwalten oder an der Einrichtung und Verwaltung solcher Institutionen mitzuwirken. Auch dieser Aufgabenbereich fällt aus dem allgemeinen Begriff des Schulwesens, Erziehungswesens und Volksbildungswesens heraus und ist unter dem Gesichtspunkt des Kompetenzbegriffes "Kammern für Arbeiter und Angestellte" (Art. 10 Abs. 1 Z. 11 B-VG) zu beurteilen.
Die Pflege des Volkstanzes und der Volkstracht dürfte nicht eine Agende des Volksbildungswesens sein, sondern unter die Kompetenz nach {Bundes-Verfassungsgesetz Art 15, Art. 15 B-VG} fallen.