JudikaturVfGH

G23/56 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
14. Dezember 1956

Der VfGH ist nicht der Ansicht, daß der Wirkungskreis der Landtage durch das B-VG abschließend geregelt worden ist. Die Landesverfassungsgesetze ({Bundes-Verfassungsgesetz Art 99, Art. 99 B-VG}) können als Ausführungsgesetze zum B-VG in Bindung an die Grundlage der Bundesverfassung (parlamentarisches System) auf diesem Gebiete Regelungen erlassen. Die Landesverfassungsgesetze übertragen denn auch in Ergänzung des B-VG den Landtagen z. B. das für parlamentarische Körperschaften typische Recht der Behandlung der Landesvoranschläge und auch typische parlamentarische Kontrollrechte, wie das Resolutionsrecht, Interpellationsrecht und Enqueterecht, die sich allesamt auf die Mitwirkung der Landtage an der Landesvollziehung beziehen. Hingegen ist es der einfachen Bundesgesetzgebung oder Landesgesetzgebung verwehrt, den durch das B-VG und die Landesverfassungsgesetze bestimmten Wirkungskreis der Landtage zu verändern, weil dies eine Veränderung der Verfassungsrechtslage wäre.

§ 11 Abs. 1 Schlußsatz F-VG 1948 deckt die Bestimmung des § 28 des Abgabenrechtsmittelgesetzes, nach welcher die Landtage für die Berufungskommission eines jeden Bundeslandes die erste Gruppe der Mitglieder zu wählen haben. Das F-VG hat aber nur den Fall der Heranziehung von Steuerverwaltungseinrichtungen der Länder oder Gemeinden (Gemeindeverbände) im Auge; Bestimmungen über die Bildung und Zusammensetzung einer Bundesbehörde können aber offensichtlich nicht unter {Finanz-Verfassungsgesetz 1948 § 11, § 11 Abs. 1 F-VG} subsumiert werden.

Dem Nationalrat kann durch Bestimmungen eines einfachen Bundesgesetzes keine neue, im B-VG nicht vorgesehene Befugnis übertragen werden.

Gegen die Heranziehung nicht berufsmäßiger Organwalter zu Mitgliedern von Kollegialbehörden besteht kein verfassungsrechtlicher Einwand.

In Art. 20 B-VG liegt kein Auftrag des Verfassungsgesetzgebers an den einfachen Gesetzgeber, dem Weisungsrecht einen konkreten Inhalt zu geben oder auf die Übertretung der korrespondierenden Gehorsamspflicht Sanktionen anzuordnen. Art. 20 B-VG gibt den vorgesetzten Organen das Recht zur Erteilung von individuellen und generellen Weisungen an die nachgeordneten Verwaltungsorgane und qualifiziert das Zuwiderhandeln gegen sie als ein unrechtmäßiges Verhalten im internen Organverhältnis. Daß die ergangenen Weisungen auch durchsetzbar sein müßten, ist dem {Bundes-Verfassungsgesetz Art 20, Art. 20 B-VG} nicht zu entnehmen. Es kann daher nicht verlangt werden, daß der Gesetzgeber, wenn er Personen zu Organwaltern bestellt, gleichzeitig Bestimmungen zur Sicherung des Weisungsrechtes und der Gehorsamspflicht treffe.

{Bundes-Verfassungsgesetz Art 20, Art. 20 B-VG} verbietet allerdings dem einfachen Gesetzgeber überall dort, wo nicht eine auf verfassungsgesetzliche Bestimmungen zurückführende Sonderrechtslage gegeben ist, dem vorgesetzten Organ das Recht auf Weisungen zu nehmen, oder die Weigerung des nachgeordneten Organs, individuellen oder generellen Weisungen nachzukommen, für rechtmäßig zu erklären.

Auch Mitglieder von Kollegialbehörden sind dem Gebote des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 20, Art. 20 B-VG} unterworfen. Als Verwaltungsorgane sind sie unmittelbar dem dort statuierten Abhängigkeitsverhältnis unterworfen. Es mag sein, daß es nicht sehr sinnvoll ist, Kollegialbehörden zu schaffen und ihre Mitglieder an Weisungen zu binden. Diese Überlegung kann aber nicht zur Verneinung des Weisungsrechtes überhaupt führen, sondern nur eine vernünftige und zweckmäßige Ausübung dieses Rechtes nahelegen. Da aber das Weisungsrecht den vor allem in der Praxis bedeutsamen Fall der generellen Weisung (Dienstinstruktion) in sich schließt, ist seine Anwendung gegenüber Mitgliedern von Kollegialbehörden auch praktisch unentbehrlich.

Das AbgRG hat durch weitere Einrichtungen dem BM für Finanzen die Kontrolle über das im allgemeinen der Rechtsprechung der Berufungskommissionen überlassene Rechtsgebiet gewahrt. Dieser kann auf Grund seines Aufsichtsrechtes zur Erzielung einheitlicher Rechtsanwendung eine Rechtsanschauung aussprechen, die für alle Berufungskommissionen des Bundesgebietes insolange bindend ist, als nicht der VwGH in einem anderen Sinne entscheidet. Dazu kommt die ebenfalls der rechtlichen Einflußnahme des BM für Finanzen unterliegende Befugnis der Präsidenten der Finanzlandesdirektionen, gegen Entscheidungen der Berufungssenate die Beschwerde an den VwGH einzubringen (§ 23) . Diese vom Gesetze hervorgehobenen Befugnisse schließen die Annahme aus, daß der BM für Finanzen auf dem den Berufungskommissionen zugewiesenen Gebiete ausgeschaltet wäre. Das oberste Vollzugsorgan des Bundes ist daher in der Lage, den ihm nach Art. 20 und 69 B-VG zukommenden Einfluß auf die ihm unterstellte Behörde, mag sie auch in letzter Instanz entscheiden, zur Geltung zu bringen. Es verschlägt nichts, daß diese Befugnisse, die im übrigen das Weisungsrecht nach {Bundes-Verfassungsgesetz Art 20, Art. 20 B-VG} in keiner Weise berühren, der Rechtskontrolle dienen, weil dadurch nur die Eigenart der konkreten Verwaltungsmaterie zum Ausdruck gebracht wird, die in der Anwendung von Rechtsvorschriften besteht, wobei der Übung eines freien Ermessens kaum ein Platz eingeräumt ist.

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