JudikaturVfGH

B21/56 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
10. Dezember 1956

Ein Widerspruch der Kleingartenverordnung DRGBl. I S. 347/1944 zu Bestimmungen der Bundesverfassung konnte nicht festgestellt werden.

Eine durch die verfassungsgesetzliche Anordnung des R-ÜG bewirkte Rezeption einer Verordnung, die Gesetzeskraft hat, schließt jede Frage nach einer Verfassungswidrigkeit dieser Verordnung aus.

Hingegen hätte die am 1. Mai 1945, also später, in Kraft getretene Vorläufige Verfassung, StGBl. Nr. 5, und weiterhin das B-VG mit seinem Wirksamwerden am 19. Dezember 1945 einer solchen Verordnung derogieren können.

Unter den Kompetenztatbestand Zivilrechtswesen sind nur jene Materien zu subsumieren, die nach der Systematik der Rechtsordnung wie sie zur Zeit des Wirksamkeitsbeginnes der Kompetenzverteilung der Bundesverfassung bestanden hat, als Angelegenheiten des Zivilrechtes, Prozeßrechtes und Exekutionsrechtes anzusehen waren. Aus dieser Umschreibung des Begriffsinhaltes ergibt sich, daß der Kompetenztatbestand "Zivilrechtswesen" keineswegs durch die Summe der im Zeitpunkt der Schaffung der Bundesverfassung bestehenden Bestimmungen zivilrechtlichen, prozeßrechtlichen oder exekutionsrechtlichen Inhaltes erschöpft wird, sondern daß jederzeit auch neue Regelungen unter diesen Kompetenztatbestand fallen, sofern sie nur nach ihrem inhaltlichen Gehalt systematisch dem Zivilrecht, Prozeßrecht oder Exekutionsrecht angehören.

Der geltenden Bundesverfassung ist eine Bestimmung, daß Angelegenheiten des Zivilrechtes ausschließlich den Gerichten zur Vollziehung übertragen werden müssen, fremd. Der Bundesgesetzgeber kann Verwaltungsbehörden mit der Rechtsprechung in Zivilrechtsangelegenheiten betrauen und auf den ihm kompetenzmäßig zugeordneten Gebieten den Gerichten Verwaltungsaufgaben zuweisen.

Der Begriff "Zivilrechtssachen" im Art. 92 B-VG umfaßt nur jenen Teilbereich des Zivilrechtes im materiellen Sinn, dessen Vollziehung nach Maßgabe der einfachen Bundesgesetze den Gerichten obliegt. Es ist nicht angängig, aus {Bundes-Verfassungsgesetz Art 92, Art. 92 B-VG} zu folgern, daß auch in den Fällen, in denen Verwaltungsbehörden über zivilrechtliche Ansprüche zu entscheiden haben, der Rechtszug an den Obersten Gerichtshof nicht versperrt werden darf.

Der Grundsatz der Trennung von Justiz und Verwaltung bedeutet u. a., daß nicht über eine und dieselbe Frage sowohl Gerichte als auch Verwaltungsbehörden, sei es im gemeinsamen Zusammenwirken, sei es im instanzenmäßig gegliederten Nacheinander, entscheiden dürfen.

{Jurisdiktionsnorm § 1, § 1 JN} ist verfassungsgesetzlich einwandfrei, wenn er ausspricht, daß die Gerichtsbarkeit in bürgerlichen Rechtssachen durch die im einzelnen aufgezählten ordentlichen Gerichte nur ausgeübt wird, soweit dieselben nicht durch besondere Gesetze vor andere Behörden oder Organe verwiesen sind.

Von Gerichtsbarkeit kann dort nicht gesprochen werden, wo nicht Gerichte zur Vollziehung berufen sind.

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