WI-8/55 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
§ 2 der NÖ Gemeindewahlordnung stimmt mit § 66 JN überein, auf den auch ausdrücklich hingewiesen wird. Daraus, daß die NÖ GWO den Abs. 2 des § 66 JN nicht übernommen hat, der ausdrücklich des Falles gedenkt, daß eine Person in den Sprengeln mehrerer Gerichte einen Wohnsitz hat, darf nicht geschlossen werden, daß ein mehrfacher ordentlicher Wohnsitz in verschiedenen Gemeinden nach der NÖ GWO nicht bestehen könnte, denn die Möglichkeit eines mehrfachen Wohnsitzes ergibt sich schon aus {Jurisdiktionsnorm § 66, § 66 Abs. 1 JN}; Abs. 2 des {Jurisdiktionsnorm § 66, § 66 JN} regelt nur die Konsequenz eines mehrfachen ordentlichen Wohnsitzes in bezug auf die örtliche Zuständigkeit der Gerichte. Die Annahme eines mehrfachen ordentlichen Wohnsitzes in verschiedenen Gemeinden hat aber zur Voraussetzung, daß für jeden Aufenthalt die Merkmale eines ordentlichen Wohnsitzes gegeben sein müssen.
Ein ordentlicher Wohnsitz ist nur an jenem Ort begründet, welchen die betreffende Person zu einem Mittelpunkt ihrer wirtschaftlichen, beruflichen oder gesellschaftlichen Betätigung zu gestalten die Absicht hatte. Dies bedeutet allerdings nicht, daß die Absicht dahin gehen muß, an dem gewählten Ort für immer zu bleiben; es genügt durchaus, daß der Ort nur bis auf weiteres zu diesem Mittelpunkt frei gewählt worden ist. Darum kann der ordentliche Wohnsitz eines Studierenden am Studienort oder eines Arbeiters am Beschäftigungsort nicht mit der Begründung allein verneint werden, daß es sich nicht um auf Dauer berechnete Verhältnisse handle. In gleicher Weise wäre es unrichtig zu sagen, daß schlechthin am Studienort oder Beschäftigungsort ein ordentlicher Wohnsitz gegeben wäre.
Die Frage des Besitzes in der Gemeinde ist kein Begriffsmerkmal für den ordentlichen Wohnsitz. Solange nur Zuflucht in der Gemeinde gesucht wird, kann von einem ordentlichen Wohnsitz in dem dargelegten Sinn nicht gesprochen werden. Dagegen wird ein solcher angenommen werden müssen, wenn dann der Lebensabend in der Gemeinde tatsächlich verbracht wird; allerdings kann ihn gegenwärtig eine bloß auf die Zukunft gerichtete Absicht nicht begründen.